# taz.de -- Kolumne Nach Geburt: Juhuu, ich habe mich schwer verletzt! | |
> Meine Tochter fand ihren Fahrradunfall total lustig. Nur wir Eltern haben | |
> wohl die Gelassenheit verloren und sind gerädert vom Wochenende im | |
> Krankenhaus. | |
Bild: Es würde mich nicht wundern, wenn sie dieses Wochenende irgendwann mal a… | |
„Und dann hab ich mit dem Gesicht gebremst.“ So erklärte Tochter eins der | |
Ärztin ihren Fahrradunfall. Ganz ruhig. Ganz ernst. Ganz vernünftig. Als | |
würde sie einen Vortrag voller Fachtermini halten. Und ich nur so: Hihihi. | |
Oh Mann, war das Gesicht blutig, verschrammt, verbeult, die Nase dick, die | |
Lippe aufgeschlagen nachdem sie auf dem Tempelhofer Feld von ihrem kleinen | |
Fahrrad gestürzt war. (Bevor die Frage aufkommt: Ja, sie trug einen Helm. | |
Aber dessen Schutz scheint da an seine Grenzen zu kommen, wo man mit dem | |
Gesicht über den Asphalt schlittert). Also das volle Programm: | |
Krankenwagen, Krankenhaus, das ganze Wochenende. | |
Und während meine Freundin da blieb, Tochter zwei bei Verwandten | |
untergebracht war, ich zu Hause Sachen packte und in die Klinik brachte, | |
wir ein bisschen geschockt, ein bisschen genervt, angespannt und gestresst | |
waren, fand Tochter eins das Ganze: spitze. | |
[1][Eine Scheibe Graubrot ohne Butter zum Abendbrot?] Topp. Quietschendes | |
Metallgitterbett, das eher für Ein- als für Vierjährige gedacht ist? Topp. | |
Automat, aus dem man sich jederzeit Wasser – mit oder ohne Kohlensäure – | |
zapfen kann? Topp. Besuch von Papa und Schwester? Topp. Schon mal ausmalen, | |
wie man das Ganze den Erzieherinnen und den Kindern im Kinderladen erzählt? | |
Topp. Und so weiter. | |
## Die Gelassenheit verloren | |
Und wir Eltern? Wir haben wohl irgendwo zwischen Erwachsenwerdung, | |
Berufsgedöns, Kinder haben und erziehen unsere Gelassenheit verloren. Wir | |
warten, ständig angespannt, dass mal eine Schwester kommt, eine Ärztin, ein | |
Chirurg, der sich ihre dicke, blaue, mit komischen Knubbeln versehene Nase | |
anguckt. Immer nervös, immer auf glühenden Kohlen. „Sonntags geht hier | |
alles etwas ruhiger zu“, sagt die Schwester. Ich antworte: „Ja, klar, | |
danke.“ Und denke: „Scheiße. Ich will hier endlich raus.“ Wir haben genug | |
hier geschlafen, genug vom Mehrbettzimmer, genug vom Graubrot. | |
Tochter eins geht es völlig anders: Völlig angstfrei freut sie sich auf | |
jedes Messen von Temperatur, Blutdruck und Sauerstoffsättigung. | |
Es würde mich nicht wundern, wenn sie dieses Wochenende irgendwann mal in | |
ihrer Autobiografie (Titel: „Wollt ihr etwa, dass ich mich wieder an Gemüse | |
gewöhne?!?“, Originalzitat) als das schönste Wochenende ihrer Kindheit | |
beschreibt. Und Tochter zwei wird ihr beipflichten: Die hat schließlich am | |
Unfalltag von Tante, Onkel und drei Cousinen das | |
All-inclusive-Wohfühl-Paket inklusive Schoko-Müsli zum Abendbrot bekommen. | |
Nur wir Eltern sind am Montag gerädert von diesem Wochenende. Und mich | |
beschleicht das Gefühl, dass das nicht nur an Graubrot, fremden Menschen im | |
Zimmer und dem deutschen Gesundheitssystem liegt. Ich zumindest habe meine | |
nie vorhandene Lässigkeit und Gelassenheit irgendwo im Alltag verlegt. | |
Tochter eins ist am Montag wieder aufs Rad gestiegen und losgefahren. Fand | |
sie: topp. | |
14 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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