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# taz.de -- Neue Biografie zu Walter Gropius: Herrenreiter Gropius
> Der Künstler und Autor Bernd Polster rüttelt mit seiner Biografie über
> Walter Gropius am Bild des großen Architekten.
Bild: Walter Gropius (1883–1969), Architekt und von Bauhaus-Direktor von 1919…
Seit Roland Barthes in den 1950ern von den „Mythen des Alltags“ sprach,
weiß man, dass der Mythos keinesfalls allein der Antike angehört. Es gibt
auch Mythen der Jetztzeit. Was sie mit dem Altertum verbindet, ist der
Umstand, dass auch ihnen geglaubt wird, so als hätte man es mit
tatsächlichen Begebenheiten zu tun.
Aus gegebenem Anlass hat sich der Publizist und Künstler Bernd Polster nun
mit einem besonders mythenumwobenen Fall befasst. Der 100. Geburtstag der
Gründung des Bauhauses in Weimar wird wie eine Staatsaktion groß in Szene
gesetzt. Bundespräsident Steinmeier sprach zur offiziellen Eröffnung des
Bauhaus-Jahres 2019, und drei neue Bauhaus-Museen werden gerade auf den Weg
gebracht.
Dabei könnte man bei diesem Gründungsjubiläum bereits einem Mythos
aufgesessen sein. So erinnerte Bernd Polster am Dienstag im Literaturforum
im Brecht-Haus am Ende seiner Lesung aus seiner neuen Biografie zu Walter
Gropius daran, dass eine Gründung im eigentlichen Sinne gar nicht
stattgefunden hat.
Was vor 100 Jahren in Weimar passierte, war keine Neugründung, sondern eine
Vereinigung zweier bestehender Schulen, einer Kunst‑ und einer
Gewerbeschule, unter dem neuen Namen „Staatliches Bauhaus“. Nun kann man
sagen, das sei Wortklauberei. Aber es zeigt doch schon, wie Gropius als
erster Direktor der neubenannten Schule als Gründungsfigur eine Bedeutung
zugeschreiben wird, die bei genauerem Hinsehen zumindest relativiert werden
muss.
## Es muss Spaß machen, Legende um Legende zu widerlegen
Polsters Gropius-Biografie ist voll von solchen Facetten des
Gropius-Mythos. Vor allem aber zeigt sie, wie Gropius seine
Selbstüberhöhung durch Fake News praktisch bewerkstelligt hat. Am Dienstag
gab Polster davon einige Kostproben. Erstaunlicherweise kann Polster sich
offenbar über seine Entlarvungen von Gropius’ Geschichtsklitterungen immer
noch amüsieren. Es muss Spaß gemacht haben, Legende um Legende zu
widerlegen, die bis heute gültig sind, ohne dass jemals nachgefragt worden
wäre.
So war es Polster, der sich als erster ausführlich mit Gropius’ Herkunft
und Kindheit befasst hat. Gropius selbst hat sich darüber nicht weiter
verbreitet und sein erster Biograf Reginald R. Isaacs benötigte 1983 dafür
eine Seite. In Polsters 650 Seiten dickem Gropius-Buch macht das für den
späteren Bauhaus-Direktor so prägende „Kaiserreich“ rund ein Drittel des
Platzes aus – und ist damit ungefähr genauso gewichtig wie die „Weimarer
Republik“ und „England und Amerika“, also die restlichen beiden Drittel d…
Werkes.
21-mal kommen Glücksfeen als metaphorische Lückenfüller in Polstery
Schilderung vor, wenn in Gropius’ Leben sich jene unwahrscheinlichen
Zufälle ereigneten, die man anders nicht erklären kann. Gropius’ Leben
liest sich denn auch wie ein Roman, so unglaublich sind die glücklichen
Fügungen und Erfolge eines Menschen, den Polster noch in seiner Jugend als
jemand ohne besondere Interessen oder Talente beschreibt.
Und doch sollte sich herausstellen, dass dieser Gropius in der Lage war,
Menschen (darunter auch viele Frauen) zu beeindrucken, zu mobilisieren und
für eigene Zwecke „einzuspannen“.
## Gropius’ Reitkünste
Es nimmt daher nicht wunder, dass Gropius ein hervorragender Reiter war.
Ja, dass Gropius’ Reitkünste für Polster eine Art Schlüssel zum Verständn…
von dessen Charakter sind. Gropius war es von Kindheit an gewohnt, im
Sattel zu sitzen und auf die Welt herabzuschauen.
Mit dem Reiten verband sich offenbar Gropius’ Fähigkeit, Personal und
Untergebene zu „führen“, ihnen aber auch die nötige Bewegungsfreiheit zu
geben. Diese Qualitäten hat Gropius nicht nur als Husar im Weltkrieg
eingesetzt, bei der er tatsächlich durch tollkühne Husarenstücke auffiel,
sondern das hat er offenbar auch am Bauhaus geschickt anzuwenden gewusst.
Gropius führte, ließ aber „seinen“ Lehrern genügend Freiheit, das
umzusetzen, was man dann zum Beispiel Bauhaus-Pädagogik nannte. Die stammte
nämlich von Johannes Itten, der den berühmten Vorkurs am Bauhaus einführte.
Itten wiederum hatte Gropius durch seine Frau Alma Mahler kennengelernt.
Alma selbst traf er während einer Kur durch Zufall – oder durch eine
Glücksfee.
Im Brecht-Haus ergänzte Polster seine Lektüre durch Bildprojektionen von
Zeichnungen aus eigner Hand. Darin zu sehen waren Personen, die in Gropius’
Leben eine Rolle spielten. So konnte man erkennen, dass Polster selbst gut
zeichnen kann. Eine Eigenschaft, die Gropius völlig abging. Dieser
Architektur-Heros des 20. Jahrhunderts hat keinen „seiner“ Entwürfe selbst
gezeichnet.
## Der Menschenfischer
Dafür fand Gropius stets Personal. Darunter viele gute Leute, deren Anteil
an „seinem“ Werk Gropius erfolgreich vergessen machen konnte. Auch mit
Hilfe der vielen „Experten“, die Gropius’ Legenden in eigener Sache einfa…
weitererzählt haben.
Ob und inwieweit Gropius an den ihm zugeschriebenen Bauten überhaupt
beteiligt war, ist vielfach ungewiss. Dass er aber allein Urheber gewesen
wäre, ist nach Polster die unwahrscheinlichste Annahme. Trotzdem wird der
Mythos einer Gropius-Architektur beständig weiter perpetuiert. Aufklärung
muss eben alle jene fürchterlich schmerzen, die sich im Glauben an ihren
Architekturgott fest verwurzelt fühlen.
7 Apr 2019
## AUTOREN
Ronald Berg
## TAGS
Bauhaus Jubiläum 2019
Walter Gropius
Bauhaus Jubiläum 2019
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Bauhaus
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