| # taz.de -- Kolumne Blind mit Kind: „Guck mal“ bedeutet „Fass mal an“ | |
| > Kinder haben keine Ahnung von Schwerbehinderung und stereotypen | |
| > Vorstellungen. Für sie ist das Leben mit blinden Menschen normal. | |
| Bild: Wenn sie ein Bild malt, gibt es eine Beschreibung gratis dazu | |
| „Was ist das?“, fragt mich die Spielkameradin meiner Tochter und zeigt | |
| vermutlich unmissverständlich mit dem Finger auf das Objekt ihrer Begierde. | |
| „Was denn?“, hake ich nach. Doch bevor ich zu einer Erklärung für meine | |
| Blindheit ansetzen kann, kommt mir die kleine „Blindenexpertin“ zu Hilfe: | |
| „Ach, du musst das richtig zeigen – Mama kann das doch nicht sehen!“, sagt | |
| meine Tochter und legt meine Hand auf das Glas in der Tischmitte. „Honig“, | |
| erkläre ich, und damit ist die Sache für die beiden Mädels auch schon | |
| wieder erledigt. | |
| Für mich nicht ganz – ich muss ein bisschen Honig von der Tischplatte | |
| wischen und bin mal wieder einen Moment lang beeindruckt davon, dass sich | |
| bewahrheitet hat, was wir uns immer gedacht und erhofft hatten: Sie wächst | |
| da rein – für sie ist es normal! Es – das ist die Blindheit oder der Umgang | |
| mit ihr, von dem doch so viel Aufhebens gemacht wird. | |
| Kleinkinder wissen davon nichts. Sie haben keine Ahnung von | |
| Schwerbehinderungen, von praktischen Einschränkungen [1][und stereotypen | |
| Vorstellungen.] | |
| ## Die Intuition meiner Tochter | |
| Sie merken natürlich, dass sie nicht direkt angeguckt werden, dass sie, mit | |
| dem Finger auf etwas deutend, auf ihr fragendes „Da?“ keine adäquate | |
| Antwort bekommen und dass auch das Bild im Bilderbuch nicht von jedem | |
| automatisch beschrieben wird – nehmen es als gegeben hin und versuchen | |
| etwas anderes. | |
| Wenn das Buch nicht geht, geht vielleicht das mit der Filzraupe, die | |
| umgehend erklärt wird, wenn man den Finger der Eltern darauf legt … und es | |
| lohnt sich, schnell Ortsangaben äußern zu können, um die runtergefallenen | |
| Gegenstände nicht selbst aufheben zu müssen. Intuitiv wusste meine Tochter | |
| schon mit zwei Jahren, dass „Guck mal“ für Mama und Papa eigentlich „Fass | |
| mal an“ bedeutet. | |
| Wenn wir das einmal nicht tun, fühlt sie sich beschummelt: „Guck mal, meine | |
| neuen Schuhe!“ Sie stellt ihr Füßchen gut hörbar vor mir ab. „Schön!“… | |
| ich betont begeistert. Immerhin habe ich die Dinger gekauft und heute | |
| bereits das fünfte Mal bewundert. „Du guckst gar nicht!“, schimpft sie und | |
| hebt ihr Bein, um mir den dreckigen Schuh in die Hand zu schieben … | |
| ## „Hör doch, wie ich tanze“ | |
| Richtig schwierig wird es, wenn sie etwas Tolles gemacht hat, was die | |
| Eltern unbedingt zu bewundern haben. Dann vergisst sie doch, was eigentlich | |
| nicht geht, und wir müssen auf jedes Bild fassen, das sie gemalt hat. Eine | |
| Audiodeskription gibt’s wenigstens von ihr höchstpersönlich gratis, denn | |
| sie erklärt im Detail, warum das Auto rosa ist und wo der Vogel sitzt. | |
| Davonkommen lässt sie uns nie mit unseren dummen Ausreden. Leider auch dann | |
| nicht, wenn es gerade mal sehr praktisch wäre. Wie während der | |
| Ballettstunde. Da müsste man nicht herumsitzen, [2][sondern könnte in der | |
| Zeit einkaufen gehen] … „Zugucken? Ich kann doch nicht sehen, was du da | |
| machst!“ | |
| „Dann hör doch, wie ich tanze!“ | |
| 4 Apr 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hannah Reuter | |
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