| # taz.de -- Kolumne Blind mit Kind: Sie nennen es „Kreativ-Chaos“ | |
| > Wenn es eines gibt, das alle Kinderzimmer gemeinsam haben, ist es | |
| > Unordnung. Will man die als blinde Mutter beseitigen, braucht es eine | |
| > gute Strategie. | |
| Bild: Standard in so ziemlich jedem Kinderzimmer: Alles durcheinander | |
| Wer Kinder hat(te), kennt das Problem: Aufräumen ist eine | |
| Standardbeschäftigung, die niemals von anhaltendem Erfolg gekrönt wird. Um | |
| genau zu sein, braucht man nur ein einziges Kind, das fünf Minuten spielt – | |
| und die ganze Wohnung versinkt in kreativem Chaos! Puzzleteile in | |
| Mini-Maus-Rucksäcken, Knete in Puppenfläschchen und halbe Holzeier im | |
| Einhornstall. Alles muss auseinandersortiert und an seinen ursprünglichen | |
| Ort zurückgebracht werden. Sonst – muss man sich irgendwann die panische | |
| Frage nach dem Verbleib der Lieblingspuppe gefallen lassen oder traut sich | |
| womöglich nie wieder Besuch einzuladen. | |
| Als blinde Eltern hat man immerhin den Vorteil, sich bei all dem Chaos | |
| nicht in seiner eigenen ästhetischen Welt beziehungsweise | |
| Wohnungswahrnehmung gestört fühlen zu müssen, aber auch den gravierenden | |
| Nachteil, ständig völlig unvorbereitet auf Malbüchern auszurutschen, sich | |
| Puppenspangen in den Fuß zu rammen oder Spielzeugpferden ein Ohr | |
| abzutreten. Daueraufräumen steht also schon aus Selbstschutzgründen immer | |
| auf der Tagesordnung – und erregt leicht das Mitleid der Mitmenschen: „Ihr | |
| Armen, ihr findet ja gar nichts mehr wieder! Wäre es nicht so viel | |
| einfacher, wenn ihr sehen könntet?“ | |
| Zweifelsohne! Jeder Blinde, der in Eile seinen Stock in der Wohnung verlegt | |
| hat, hat unter Umständen auch schon mal den Tatbestand verflucht, ihm nicht | |
| einfach einen Blick hinterherwerfen zu können. Alles abtasten kostet Zeit, | |
| die man gerade im Alltagsstress nicht hat. | |
| Meine Strategie für das Kinderzimmer: Alles auf einen Haufen kehren und | |
| dann planvoll nach Bestimmungsort abtragen (erst die Kaufladensachen, dann | |
| die Puppenkleidung, dann das Playmobil.). Wie beim Putzen lohnt sich auch | |
| beim Aufräumen ein systematisches Vorgehen: Ebenso wie ich die gerade aus | |
| dem Topf gespritzte Tomatensoße beim nächsten flächendeckenden Wischen der | |
| Wand automatisch entdecken werde, wird mir auch der dringlich vermisste | |
| Glitzerring irgendwann sprichwörtlich in die Hände fallen, wenn ich mich | |
| strategisch vorarbeite und genug Geduld aufbringe. Ein blindes Huhn findet | |
| auch mal ein Korn – die Frage ist nur, wann: Täglich werde ich die Wand auf | |
| Verdacht jedenfalls nicht wischen und auch der Ring wird vielleicht eine | |
| Weile verschollen bleiben. | |
| Wenn meine Tochter ihn dringlich sucht? Dann muss sie unter Umständen | |
| selbst gucken – und das ist vielleicht die beste Aufräum-Erziehungsmethode! | |
| „Mama, wo ist mein Rucksack?“ Ich zucke die Achseln: „Nicht an der | |
| Garderobe, wo er hingehört? Schade! Ich habe ihn leider auch nicht | |
| gesehen!“ Wir lachen beide. | |
| Fazit: Wer sucht, der wird finden, wer das Kinderzimmer aufräumt, wird fünf | |
| Sekunden seine Freude daran haben. Und nur, weil ich etwas nicht so gut, | |
| schnell oder gezielt tun kann wie Sehende, werde ich es nicht komplett sein | |
| lassen, obwohl ich auf das ständige Aufräumen gut und gerne verzichten | |
| könnte. | |
| 15 May 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannah Reuter | |
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