| # taz.de -- Kolumne Blind mit Kind: Ich mach das! Weil ihr blind seid | |
| > Die Tochter unserer Autorin ist sich mittlerweile der „Problematik“ | |
| > Blindheit bewusst. Sie findet dafür ihre ganz eigenen Lösungen. | |
| Bild: Mütter bringen ihre Kinder zur Schule – der Klassiker. Aber es geht au… | |
| „Wenn ich groß bin, kauf ich ein Auto und fahr Mama und Papa überall hin!�… | |
| verkündet meine Tochter in die Pizza essende Runde. Alle finden das süß. | |
| Ich auch, aber ich weiß auch, was das bedeutet: Sie ist sich der | |
| Problematik „Blindheit“ jetzt bewusst. Hat sie nur den schlauen Schluss | |
| gezogen, dass es für die Umwelt sicherer wäre, wenn sie an unserer Stelle | |
| das Auto steuern würde? Oder hat der gesellschaftliche Diskurs über | |
| hilfsbedürftige Blinde Wirkung gezeigt? | |
| Ich erinnere mich, dass sie verwirrt war, als [1][ihr älterer Kitafreund] | |
| ihr mitteilte, sie müsse ihre Mama führen, weil die sonst gegen Bäume | |
| laufen würde. Sie musste lange darüber nachdenken, ob das stimmen konnte. | |
| Wohl nicht, aber im Supermarkt musste sie schnell die Erfahrung machen, | |
| dass sie etwas besser konnte als wir: Auf der Dose erkennen, ob ein Haufen | |
| Bohnen oder Mais darin sein würde. | |
| Sie freut sich natürlich, manchmal mehr zu können, bei der Ortssuche dem | |
| wegweisenden Finger von Passanten zu folgen oder uns über die Farbe der | |
| Socken zu informieren. „Ich mache das, weil ihr das ja nicht sehen könnt!“, | |
| ist ein Satz, den wir jetzt manchmal hören. Weil sie ihn von anderen hört? | |
| Manchmal erklärt sie selbst wildfremden Leuten auf der Straße, dass ihre | |
| Eltern blind sind. | |
| Ja, sie muss das, was jahrelang völlig selbstverständlich im Umgang war, | |
| erst einmal kognitiv verarbeiten. Aber was, wenn sie dabei genau das Bild | |
| von den armen Blinden übernimmt? Fühlt sie sich dann verpflichtet, uns zu | |
| helfen? Sind wir dann noch vollwertige Eltern in ihren Augen? | |
| ## Ohne gängige Klischees | |
| „Ich muss mal“, sagt meine Tochter in der Pizzeria. „Mama, schnell!“ Der | |
| Vater ihrer besten Freundin fragt mich, ob er mir das WC zeigen solle. | |
| Warum nicht? Ich war immerhin noch nie in diesem Restaurant. Ob er vor der | |
| Tür warten solle? [2][Nein, der Weg war nicht so kompliziert – raus kommt | |
| man besser als rein!] | |
| So dringlich die Geschäfte waren, so schwer wiegt die Angst, zu verpassen, | |
| was die Freundin draußen gerade treibt. „Darf ich vorrennen?“, fragt sie | |
| hastig. Warum nicht! Ich schlage mich mit dem Stock durch die Pizzeria auf | |
| die Terrasse. Die Mädels sind gut hörbar damit beschäftigt, den Gehweg mit | |
| Wasser aus der alten Straßenpumpe zu fluten. | |
| „Ich dachte, sie hilft dir raus!“, sagt der Vater der Kitafreundin und es | |
| klingt, als wäre er ein bisschen verärgert über so wenig Bewusstheit. Das | |
| wäre vielleicht hilfreich gewesen, aber für mich langfristig hilfreicher | |
| ist, dass sie davon ausgeht, dass Mama schon allein klarkommt. Wenn ich | |
| großes Glück habe, wird meine Tochter mit dem [3][Thema Behinderung | |
| wirklich ganz bewusst umgehen,] ohne den gängigen Klischees anheimzufallen. | |
| Dann werde ich bei ihr im Auto mitfahren können, wenn es sich gerade | |
| anbietet – ohne mich blind fühlen zu müssen. Und sie wird wissen, dass sie | |
| ihre Mutter an die U-Bahn verweisen kann, wenn es ihr gerade nicht passt. | |
| 28 Jun 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hannah Reuter | |
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