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# taz.de -- Die Wahrheit: Borreln mit Pilsje und Bitterballen
> Ditjes und Datjes aus Deichgrafland. Eine meeresweite Wahrheit-Reportage
> aus den knallorangefarbenen, holländischen Bergen.
Die europäischen Tiefebenen – weit, ganz weit weg liegen sie an diesem
lauen Frühlingstag für unseren knallorangefarbenen Zug. Mit viel Tatütata
überquert der „Willem van Oranje“ die samtenen, holländischen Berge.
Letztere fahren schon seit Längerem vier, mancherorts sogar fünf Sterne im
„Lonely Planet“ ein.
Hier, zwei Meter oberhalb des Meeresspiegels, ticken die Uhren anders, auch
nach der beschwerlichen Zeitumstellung voriges Wochenende. In den
holländischen Bergen spielt etwa der in die Jahre, Monate und Tage
gekommene Brexit keine Rolle. Heidi Klum oder Elmar Brok interessieren hier
niemanden, weder im Großraumwagen, noch draußen auf der Alm. In den
holländischen Bergen verhallen außerdem Appelle des deutschen Uno-Pförtners
Heiko Maas. Jegliches Gewese dringt in diese Idylle schlicht nicht durch.
Durchatmen heißt es in dieser würzigen Gebirgsluft, schweigen, in sich
gehen.
Unser valensinafarbener Sprinter, eine Art Bummelzug der Nederlandse
Spoorwegen, kurz und bündig NS genannt, bahnt sich bedächtig schnaufend
seinen Weg durch die gebirgige Wald- und Wüstenlandschaft Richtung
Amsterdam. Dessen käsebleiche Bewohner nennen es schlicht „Hamsterdam“. Ein
liebevoller, ein grappig Begriff, für ihre von Touristen seit Jahren
komplett linksliegengelassene Hauptstadt. Bester Beweis: Kaffeeläden,
sogenannte Coffee Shops setzen in Hamsterdam seit geraumer Zeit schon
Kaffeesatz an. Und die letzten paar Kreuzfahrtschiffspassagiere vermodern
an ausgetrockneten Grachten.
Mit „Willem van Oranje“ geht es also durch ein Land, das fälschlicherweise
von deutschen Goudagenießern Holland genannt wird. Richtig muss es
selbstverständlich die Niederlande heißen, einheimisch kurz, und im
bescheidenen Singular, Nederland. Zeit nun das Land des Ramsch-Discounters
Hema, des fischigen Haring und der stets königlichen Máxima in ganzer
Breite Revue passieren zu lassen. Und erst wenn unser „Willem van Oranje“
das weiträumig gebirgige Terrain durchkrochen und das platte Hamsterdam
Centraal erreicht hat, wird diese tiefschürfende Analyse beendet sein.
## Tulpenblüte in der Tür
Was nun gibt es zu berichten aus dem lekker Land der rund 17 Millionen
Deichgräfinnen und Deichgrafen? Wo tropft der Wasserhahn? Warum kräht die
Henne? Und woraus gewinnt man die quasi altijd getrunkene Buttermilch, die
karnemelk? Eins wurde dank massig belegter broodjes bereits herausgefunden:
Die Tulpenblüte steht quasi in der Tür.
Holland, so viel ist darüber hinaus klar, ist ein interessantes Land. Denn
wenn die Holländer eins nicht sind, dann ist es politisch korrekt sein.
Obwohl? Na ja, beginnen wir so: Holland steht auch im Jahr 2019 noch total
auf Plastik. Statistiken der königlich holländischen Postlotterie haben
ergeben, dass jeder Einwohner pro Tag durchschnittlich 17 To-go-Becher und
23 Einwegkäseverpackungen wegwirft. Müll wird nur an ungeraden, hohen
Feiertagen, wie dem Koningsdag am 27. April, getrennt.
Außerdem lehnen 102 Prozent der Holländerinnnen und Holländer das Tragen
von Fahrradhelmen kategorisch ab. Die Nackthelm-Kampagne von
Bundesverkehrsandi Scheuer, sie wäre hier gar nicht erst ersonnen worden.
Holland an sich besteht nämlich nicht, wie etwa Deutschland, aus Fleisch,
Blut und Kotflügeln, sondern aus einem riesigen Hollandrad mit extra
breitem und sehr gezellig Lenker.
Aus Letzterem folgt: Das Hollandrad hat immer Vorfahrt gegenüber den
wenigen noch vorhandenen Verbrennungsmotoren inklusive ihrer Lenker. Die
wiederum fahren hierzulande schnell aus der Haut, denn der Autofahrer an
sich ist nicht nur in den holländischen Bergen eine arme Sau. Zu melden hat
er nullkommanix. Und deshalb trägt der Einheimische, Kinder inklusive, beim
Radeln auch keinen Helm.
Wir hier im Zug sind nun drei Meter unterhalb des Meeresspiegels angelangt.
Der NS-Sprinter macht ein Päus-chen, dann setzt die Lokomotive des „Willem
van Oranje“ zum Gipfelsturm an auf den 23 Meter hohen
Beatrix-und-Claus-Berg. In unserem nach frühjährlichen Narzissen duftenden
Coupé wird nachdrücklich die Tür aufgeschoben. Vor uns steht ein Mann wie
aus dem Parship-Prospekt, mit einem Mundwerk, das nichts Gutes erwarten
lässt.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen, Gnädigste?“, fragt der Parship-Typ. Wir
nicken huldvoll, und schon quasselt die smarte Strippe los. Dieses, sein
schönes Holland, sei in höchster Gefahr, es würde mit dieser gezellig
Kulturnation ob „Klima- und Migrantengedöns“ nur noch bergab gehen. „Wie
das?“, entgegnen wir, „unser Sprinter erklimmt doch gerade den 23 Meter
hohen Beatrix-und-Claus-Berg?“ Der „Vollblutpolitiker“, wie sich uns der
Parshiper vorstellt, nickt: „Ganz rechts, äh recht, doch ansonsten ist
Holland in Gefahr! Diese boreal gelegene, wenn sie mir die zierliche
faschistoide Anleihe erlauben, dieses nördlich gelegene Kleinod, wird bald
kein Borrel mehr haben!“
Schluss mit Borrel? Wir nicken dem „Vollblutpolitiker“ verständig zu.
Schluss mit Borrel, das bedeutet wahrhaft eine große Gefahr für Holland!
Denn was dem Holländer sein Borrel mit Käse, Bitterballen und Bier, ist dem
Deutschen sein ebenso alkoholisierter Feierabend. Im Unterschied zu
Deutschland werkt der Holländer allerdings zu Wochenanfang fleißiger und
beginnt dann schon Donnerstagmittag mit dem finalen Wochenabschluss. Ab da
borrelt er durch bis Montagfrüh. Das Phänomen heißt Domibo, nach dem
schönen Wochentag Donderdag, gemixt mit Borrel. Freitags „arbeitet“ der
Holländer nur noch zu Hause.
## Feierabend mit dem Feierabend
Thierry Baudet, als der sich uns im Sprinter-Coupé der Parshiper vorstellt,
hat im Jahr 2016 nach eigenen Aussagen nicht nur des öfteren geborrelt,
nein, er hat auch eine Partei gegründet, das Forum voor Democratie (FvD).
Und damit, so Baudet, würde er nun nicht als fliegender, sondern als
französisch-indonesischer Holländer gezellig und erfolgreich bei Wahlen
hausieren gehen.
Ja, das durch und durch orangefarben angestrichene Holland nimmt es mit
rechts, links, oben und unten anders. Hier ist man, was politische und
sonstige Richtungen angeht, nicht so elefantendünnhäutig wie in
Deutschland. Da gehört es sich quer durch alle Parteien etwa, auch noch dem
letzten Fascho zum Sieg zu gratulieren. Ganz echt jetzt, kein Witz. Dass
man der AfD nun endlich mal zu ihrem „Erfolg“ gratulieren sollte, steht in
der BRD derzeit bekanntlich nicht im Knigge.
Just diesen Sachverhalt versuchen wir dem Parshiper und „Vollblutpolitiker“
Baudet im NS-Sprinter zu verklaren, da verlässt unser Zug auch schon die
holländischen Berge und nimmt Kurs auf Hamsterdam. Der Beau verabschiedet
sich samt seinem hässlichen Mundwerk formvollendet. Ja, nun sei es eben
Donnerstagmittag – Zeit für Bier und Brotzeit: „Zeit für Domibo,
Gnädigste!“ Baudet springt behände aus dem rasenden „Willem van Oranje“.
Wir öffnen derweil schon mal ein Pilsje.
6 Apr 2019
## AUTOREN
Harriet Wolff
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