Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- EU plant Zulassung von Bayer-Insektengift: Pestizid kann wohl Föte…
> Der Konzern will, dass die EU die Erlaubnis für Thiacloprid verlängert.
> Doch eigentlich sind Pestizide verboten, die wahrscheinlich die
> Fruchtbarkeit schädigen.
Bild: Südpfälzische Obstbaumplantage mit Löwenzahn
Der Name des Leverkusener Chemiekonzerns Bayer ist nach dem Kauf des
US-Saatgut- und Pestizidherstellers Monsanto im vergangenen Jahr toxisch:
Diese Woche hat zum zweiten Mal ein Gericht in Kalifornien einem Kläger
rund 80 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen, der jahrelang
Glyphosat gesprüht und dann Krebs bekommen hat. Der Aktienkurs ist seit der
ersten Verurteilung vergangenen August bis heute um rund 40 Prozent
eingebrochen.
Viele Aktionäre treibt die blanke Angst, dass Bayer die mehr als 11.000
Glyphosat-Klagen sehr teuer zu stehen kommen werden. Die Fondsgesellschaft
Union Investment, die 1 Prozent der Aktien hält, kündigte [1][in der taz]
an, sich wegen des Reputationsverlustes auf der Bayer-Hauptversammlung Ende
April kritisch zu äußern. Denn das Image von Monsanto als einem der
meistgehassten Unternehmen färbt zunehmend auf Bayer ab.
Doch hinter den Kulissen ist der Einfluss des Konzerns ungebrochen. Die
EU-Kommission will nun sogar ein Pestizid der Bayer AG wiederzulassen, das
laut Behörden wahrscheinlich ungeborene Kinder und die Fruchtbarkeit
schädigen kann.
Die im [2][April 2020] auslaufende Erlaubnis für das Insektengift
Thiacloprid solle durch eine neue ersetzt werden, kündigte die Behörde dem
EU-Parlament in einer unveröffentlichten Liste mit geplanten Verordnungen
an, die der taz vorliegt. Eine Kommissionssprecherin dementierte das auf
Anfrage nicht, sondern erklärte lediglich: „Es ist zu früh, um zu sagen, ob
und wann eine Abstimmung darüber angesetzt wird.“ Die Mitgliedstaaten
können eine Wiedergenehmigung jedoch verhindern.
Die EU-Kommission hat Thiacloprid zwar [3][2005 zugelassen]. Später stufte
sie es aber als „wahrscheinlich reproduktionstoxisch“ ein, weil es in
neuen Versuchen eindeutig Tiere in ihrer Fortpflanzung beeinträchtigt hat
und so [4][offenbar auch bei Menschen] wirkt.
Solche Substanzen dürfen gemäß [5][EU-Pestizidverordnung] aus dem Jahr 2009
nicht als Pflanzenschutzmittel erlaubt werden – es sei denn, sie kommen
nicht mit Menschen in Kontakt oder sie sind unbedingt nötig für die
Landwirtschaft. Genau auf diese Ausnahmen beruft sich Bayer. Der Wirkstoff
sei sicher anwendbar und ein wichtiges Hilfsmittel für Bauern.
Der Konzern mischt Thiacloprid zum Beispiel seinen Insektenvernichtern
„[6][Calypso]“ und „[7][Biscaya]“ bei. Mit ihnen lassen sich etwa
Blattläuse auf Apfelbäumen oder Getreidepflanzen töten. Oder den
Apfelwickler, dessen Raupe sich in die Frucht bohrt und damit laut Bayer
der Hauptschädling im Apfel- und generell Kernobstbau ist. Ohne Thiacloprid
könne man ihn in Deutschland kaum bekämpfen, so das Unternehmen. Die
EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) hat das überprüft – und kommt
zu dem Schluss: Stimmt nicht.
## Es geht auch ohne
Für viele Schädlinge und Pflanzen stehe „ein gutes Angebot an alternativen
Insektizidwirkstoffen“ zur Verfügung, „für einige Anwendungen jedoch gibt
es keine ausreichenden chemischen Alternativen“, heißt es in einem
[8][Gutachten der Efsa]. Es existiere aber auch eine „große Auswahl an
nicht-chemischen Methoden“: Die Weiße Fliege etwa lasse sich auch durch
Netze von Kopfkohl fernhalten. Raubmilben könnten gegen Spinnmilben
eingesetzt werden, die Zierpflanzen anfressen. Allerdings seien solche
Methoden oft nicht so effizient und wirtschaftlich wie Chemie.
„Das ist der Preis, um die Gesundheit, Böden und die Umwelt zu erhalten.
Wenn es der EU-Kommission ernst ist mit den Schutz vor schädlichen
Pestiziden, muss sie die Anwendung von Thiacloprid dringend verbieten“,
sagt Lebensmittelexpertin Franziska Achterberg von der
Umweltschutzorganisation Greenpeace. Das forderte Ende Februar auch das
[9][EU-Parlament.]
Biobauern würden ja zeigen, dass man auch ohne Pestizide Nahrungsmittel
erzeugen könne, so Achterberg. Die Landwirte müssten auf robuste Arten
setzen und Schädlingen vorbeugen, indem sie zum Beispiel in Fruchtfolgen
mehr Pflanzenarten auf einem Feld abwechseln. Wenn der Schädling einmal da
ist, gebe es immer noch die im Biolandbau erprobten nicht-chemischen
Methoden der Bekämpfung.
Die Efsa liefert auch Belege dafür, dass der Wirkstoff sehr wohl mit
Menschen in Kontakt kommt. Zum Beispiel werde in Fabriken Saatgut mit dem
Mittel behandelt, schreibt die Behörde in ihrer [10][Bewertung des
Wirkstoffs]. Die Experten schätzten, dass in einem von drei untersuchten
Werken Arbeiter mehr als die offiziell vertretbare Dosis abbekommen hätten.
## Keine Entwarnung
Die Rückstände in Lebensmitteln würden zwar unter dem Grenzwert liegen,
doch zu den Mengen der ebenfalls schädlichen Abbauprodukte von Thiacloprid
lägen nicht genügend Daten vor. Die Efsa vermutet jedoch, dass sie höher
sein könnten als zulässig. Mangels Daten gab die Behörde auch keine
Entwarnung, was die Spuren in Trinkwasser sowie das Risiko für Vögel und
Säugetiere, Wasserorganismen und Bienen angeht. Der Neurobiologe
[11][Randolf Menzel] von der Freien Universität Berlin beispielsweise
warnt, dass „die Wirkung von Thiacloprid im Gehirn der Insekten auch bei
niedrigen Dosen massiv ist“.
Um den Stoff zu verbieten, benötigt die EU-Kommission aber die
Unterstützung der Mitgliedstaaten. „Bundesagrarministerin Julia Klöckner
sollte sich daher für ein Komplettverbot einsetzen“, verlangt
Greenpeace-Aktivistin Achterberg. Frankreich habe Pestizide mit Thiacloprid
bereits verboten. Auf die Frage der taz, wie sich die CDU-Politikerin
verhalten will, antwortete ihr Ministerium lediglich: „Die
wissenschaftliche Bewertung des Wirkstoffs auf europäischer Ebene ist noch
nicht abgeschlossen.“
Thiacloprid gehört zur Pestizidgruppe der Neonikotinoide. Sie hatten lange
den Ruf einer Wunderwaffe, weil sie Fressfeinde der Pflanzen töten, aber
nützliche Insekten angeblich nicht. Dann entdeckten Forscher allerdings,
dass die Substanzen doch Bienen und andere Bestäuber schädigen können: Drei
Neonikotinoide – Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid – sind daher
seit Ende 2018 in der EU [12][im Freiland verboten].
Umweltschützer befürchten, dass die Bauern nun häufiger Thiacloprid
einsetzen. Laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
wurden 2017 rund 93 Tonnen davon in Pflanzenschutzmitteln in Verkehr
gebracht.
Die EU-Kommission hält den Wirkstoff nicht nur für wahrscheinlich
reproduktionstoxisch: Sie hat ihn auch mit den Warnhinweisen „[13][Giftig
beim Verschlucken]“, „Gesundheitsschädlich bei Einatmen“, „Kann vermut…
Krebs erzeugen“ und „Sehr giftig für Wasserorganismen“ versehen.
29 Mar 2019
## LINKS
[1] /Fondsmanager-ueber-Glyphosat-Urteile/!5581639/
[2] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1553438967050&uri=C…
[3] http://ec.europa.eu/food/plant/pesticides/eu-pesticides-database/public/?ev…
[4] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32008R1272
[5] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A32009R1107
[6] https://agrar.bayer.de/Produkte/Pflanzenschutzmittel/Calypso
[7] https://agrar.bayer.de/Produkte/Pflanzenschutzmittel/Biscaya
[8] https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/action/downloadSupplement?doi=10.2903%…
[9] http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-8-2019-0139_DE.html
[10] https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.2903/j.efsa.2019.5595
[11] https://www.topagrar.com/acker/news/eu-ausschuss-beschliesst-verbot-von-dr…
[12] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=OJ%3AL%3A2018%3A1…
[13] https://echa.europa.eu/de/information-on-chemicals/cl-inventory-database/-…
## AUTOREN
Jost Maurin
## TAGS
Schwerpunkt Bayer AG
Schwerpunkt Glyphosat
Insekten
Landwirtschaft
Schwerpunkt Pestizide
Schwerpunkt Bayer AG
Schwerpunkt Glyphosat
Landwirtschaft
Schwerpunkt Glyphosat
Schwerpunkt Bayer AG
Schwerpunkt Glyphosat
## ARTIKEL ZUM THEMA
Agrarsubventionen in Deutschland: EU-Millionen für Großbauern
Unter den Top-Empfängern war 2018 ein riesiger Betrieb aus Thüringen, der
Kleinbauern verdrängt. Das belegt eine nun aktualisierte Datenbank.
Pestizid Thiacloprid schädigt Föten: Deutschland will Verbot
Landwirtschaftsministerin Klöckner kündigt an, bei der EU gegen ein
Insektengift der Bayer AG zu kämpfen. Die EU-Kommission findet das nun gut.
Nach der Übernahme durch Bayer: Monsanto versaut Ökobilanz
Durch den Kauf von Monsanto belastet Bayer die Umwelt stärker als vorher.
Aktivisten beantragen deshalb, den Konzernvorstand nicht zu entlasten.
Prozesse wegen Krebs durch Glyphosat: US-Richter drängt Bayer zu Vergleich
Bereits nach dem ersten Schuldspruch unter seiner Leitung: Richter Chhabria
ordnet Gespräche über eine gütliche Einigung an.
Pestizide in Deutschland: Im Namen der Bienen und Käfer
Der Ökoverband BUND legt Widerspruch gegen Pestizidzulassungen ein. Die
zuständigen Behörden sind im Rechtsstreit.
Geschworener verteidigt Glyphosaturteil: Nicht Emotionen, sondern Fakten
Für Bayer sind die Jurys in den US-Prozessen wegen Krebs durch Glyphosat
ahnungslose Laien. Dem widerspricht nun ein Geschworener.
Urteil gegen Glyphosat in den USA: Bayer soll 80 Millionen Dollar zahlen
Wegen ihres Unkrautvernichters Roundup wurde die Bayer-Tochter Monsanto nun
zu hohem Schadenersatz verurteilt. Bayer will das nicht akzeptieren.
Schuldspruch gegen Glyphosat in USA: Bayer AG schwer erkrankt
Wird der Chemiekonzern zum Übernahmekandidaten? Bayer drohen
Milliardenstrafen in Krebs-Prozessen wegen seines Pestizids.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.