# taz.de -- Linke debattiert Industriestrategie: Von China lernen | |
> Die ökonomischen Erfolge der Volksrepublik schrecken auch die Linkspartei | |
> auf. Die Bundestagsfraktion debattiert staatliche Industriepolitik. | |
Bild: Gehört BASF (hier das Werk in Ludwigshafen) zur Industriestrategie der L… | |
Berlin taz | Vielleicht merkt man eine gewisse Wirtschaftsferne der | |
Linkspartei nirgendwo so sehr wie im [1][gerade verabschiedeten Programm | |
zur Europawahl]: „Linke Industriepolitik heißt, dass Investitionen | |
schwerpunktmäßig in strukturschwache Regionen geleitet werden“, heißt es | |
darin. Und: „Besondere Schwerpunkte sollen dabei u.a. auf erneuerbare | |
Energien, flächendeckende, digitale Teilhabe sowie auf die Herstellung von | |
Bussen, Bahnen und anderen nachhaltigen Verkehrsmitteln gelegt werden.“ | |
Was ist mit der Chemieindustrie, dem Maschinenbau? Nicht einmal die | |
Automobilindustrie wird ausdrücklich erwähnt. Ganze Industriebereiche | |
kommen im Wahlprogramm nicht vor. | |
Am Dienstag hatte die Bundestagsfraktion der Linken nun zu einem | |
Fachgespräch „Die Transformation politisch gestalten – Für einen aktiven | |
Staat in der Industriepolitik“ eingeladen. Spätestens seit | |
[2][Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) für eine aktive | |
staatliche Industriepolitik plädiert], ist das Thema auf der Tagesordnung. | |
Die spannende Frage war, ob der Linken diesmal mehr einfallen würde als | |
Arbeitsplätze bei erneuerbaren Energien, der Produktion von Bussen und | |
Bohnen und dem Netzausbau? Antwort: Ja, aber die Debatten stehen – ähnlich | |
wie auf der politischen Ebene insgesamt – noch am Anfang. | |
## Ex-Wirtschaftsweiser macht den Aufschlag | |
Den Aufschlag beim Fachgespräch machte der [3][ehemalige Wirtschaftsweise | |
Peter Bofinger], der schon rund eineinhalb Jahre vor Altmaier in der | |
Frankfurter Allgemeinen eine staatliche Industriepolitik gefordert hatte. | |
Das Echo war damals nicht allzu positiv. Heute, auch unter dem stärkeren | |
Eindruck der Erfolge Chinas mit staatlicher Planungspolitik, hat sich die | |
Stimmung etwas verändert. | |
Bofinger machte mehrere Argumente geltend: Der Staat habe das meiste Geld | |
für Forschung und Investitionen zur Verfügung. Unternehmer neigten zudem zu | |
Pfadabhängigkeit – also daran festzuhalten, was (noch) erfolgreich laufe. | |
Und schließlich: Es sei gefährlich, passiv zu bleiben, wenn große | |
Wettbewerber wie China Industriepolitik betrieben. | |
Historische Erfolgsbeispiele für Industriepolitik seien Airbus, der ICE, | |
die Förderung der erneuerbaren Energien und die Atomenergie. Bofinger | |
begrüßte Altmaiers Aufschlag, hielt aber das Ziel des Wirtschaftsministers, | |
den Industrieanteil an der Bruttowertschöpfung auf über 25 Prozent zu | |
steigern, für falsch: „Genauso gut kann man sagen, ich wünsche mir, dass es | |
im Sommer warm wird.“ | |
Auch Astrid Ziegler (IG Metall) zeigte sich grundsätzlich über Altmaiers | |
Aufschlag erfreut. Sie erwähnte auch eine lange Liste an | |
Schlüsselindustrien, in denen Deutschland führend ist: von der Stahl- und | |
Aluminiumindustrie über die Autoindustrie bis hin zur optischen Industrie. | |
„Die Geschwindigkeit des Wandels ist hoch. Wir müssen so schnell wie | |
möglich Antworten finden“, sagte sie. | |
## Gewerkschaften wollen nicht Bremser sein | |
Die Gewerkschaften möchten nicht als Bremser dastehen und nicht in Zukunft | |
(nur) die Verlierer des technologischen Wandels vertreten müssen. Dennoch | |
kritisierte Ziegler Wirtschaftsminister Altmaier: Die betriebliche | |
Mitbestimmung komme bei ihm als Thema nicht vor, obwohl sie „zentraler | |
Bestandteil des deutschen Innovationstypus“ sei. | |
Tomas Nieber (Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE) sprach in seinem | |
Vortrag an, weshalb Gewerkschaften und Linke noch länger über eine | |
staatliche Industriepolitik debattieren dürften: Ohne den Wandel selbst | |
voranzutreiben, drohen Arbeitsplatzverluste durch die Konkurrenz vor allem | |
aus Fernost, mit Industriepolitik Arbeitsplatzverluste durch den | |
Produktivitätsfortschritt, etwa in der Automobilindustrie. Nieber plädierte | |
deshalb dafür, „auf lange Sicht“ das übriggebliebene Arbeitsvolumen neu zu | |
verteilen. Aber was heißt „lange Sicht“? | |
Ralf Krämer, Mitglied im Bundesvorstand der Linken, erinnerte in der | |
anschließenden Debatte daran, dass andere Länder Probleme wegen des | |
deutschen Exportüberschusses haben, was maßgeblich am hohen deutschen | |
Industrieanteil liege. „Es geht darum, einen geordneten Prozess zu | |
organisieren, damit der Industrieanteil niedriger wird“, sagte er. | |
Auch wenn Krämer daraufhin keine Reaktionen bekam: Das dürfte die IG Metall | |
anders sehen. Dort wird man froh sein, dass die Linke die deutsche | |
Industriezukunft in einer ganzen Reihe von Sektoren zu sehen beginnt – und | |
nicht nur in den besonders umweltfreundlichen. | |
19 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Europaparteitag-der-Linken/!5575923 | |
[2] /Kommentar-Industriestrategie-2030/!5567492 | |
[3] /Wirtschaftsweiser-ueber-Regierung/!5573008 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
## TAGS | |
Die Linke | |
Peter Bofinger | |
Peter Altmaier | |
China | |
China | |
Schwerpunkt Europawahl | |
Sprunginnovation | |
Robert Habeck | |
Peter Altmaier | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Beschäftigte der Tech-Industrie in China: Protest gegen die 72-Stunden-Woche | |
Arbeiten von 9 bis 9 Uhr, sechs Tage am Stück – Alibaba-Chef Jack Ma | |
findet, Überstunden seien für junge Leute ein „großer Segen“. Die sehen … | |
anders. | |
Linke Wohn- und Mietenpolitik: Airbnb auf links gedreht | |
Kurz vor der Europawahl verkündet die Linkspartei einen Fünf-Punkte-Plan | |
für bezahlbare Mieten. Airbnb soll etwa stärker reguliert werden. | |
Hightech-Produkte schneller vermarkten: Im Sprint zu disruptiven Innovationen | |
Mit der „Agentur für Sprunginnovationen“ möchte die Bundesregierung, dass | |
neue Technologien schnell in Produkte umgesetzt werden. | |
Grüne und Gewerkschaften: Plötzlich Seite an Seite | |
Die Ökopartei knüpft neue Allianzen mit DGB, IG Metall und Ver.di. Dahinter | |
stecken handfeste Interessen – auf beiden Seiten. | |
Kommentar „Industriestrategie 2030“: Altmaiers verstörender Ansatz | |
Wirtschaftsminister Peter Altmaier will „nationale Champions“. Das ist | |
falsch – weil so ökologische Innovationen auf der Strecke bleiben. |