# taz.de -- Starkbieranstich in München: Herr Söder hält sich ein Dusel | |
> Das Politiker-Derblecken ist Bayerns wichtigste Kabarett-Veranstaltung. | |
> Dieses Jahr steht erstmals der neue Ministerpräsident im Mittelpunkt. | |
Bild: Stephan Zinner in der Rolle des Markus Söder – und das Dusel aus dem K… | |
MÜNCHEN taz | Zeitenwende am Münchner Nockherberg: Am Dienstag Abend stand | |
dort wieder das Politiker-Derblecken an, das wichtigste Kabarett-Ereignis | |
Bayerns. Auf der Bühne stand zuletzt acht Jahre lang die Kabarettistin | |
Luise Kinseher alias Mama Bavaria und tadelte in der Fastenpredigt ihre | |
Kinder, die bayerischen Politiker. In der ersten Reihe stets: | |
Ministerpräsident Horst Seehofer. | |
Vor einem Jahr nun befand Kinseher, es sei genug, und trat ab – freiwillig. | |
Und Seehofer tat es ihr gleich – weniger freiwillig. So ist es an diesem | |
Abend Kinsehers erst 33 Jahre alter Kollege Maxi Schafroth, der auf der | |
Bühne steht – und Markus Söder als Ministerpräsidenten vor sich im Publikum | |
sitzen hat. | |
Ein bisschen Kinseher hat Schafroth dann doch hinübergerettet in die neue | |
Ära. Die Vorgängerin war stets bedacht, ihre missratenen Kinder bei aller | |
Schelte doch immer noch liebevoll an den mütterlichen Busen zu drücken. | |
Auch Schafroth tritt nicht wirklich auf als Levitenleser, als Nörgler oder | |
Grantler. Man müsse die Politiker freundlich umarmen, um sie dann hinten | |
ein bisschen abzuwatschen, hatte [1][der Kabarettist vor seinem Auftritt | |
angekündigt]. Von ihm sei jetzt „keine aufgesetzte Schauspielerei“ zu | |
erwarten, sagt er dann auf der Bühne. „Das ist dein Kompetenzbereich, | |
lieber Markus Söder, da grätsch’ ich dir nicht rein.“ Das ist so eine | |
Watschn. | |
Schafroths Rede ist witzig, sympathisch und meist treffend – wenn auch | |
alles in allem eher freundlich. Die Gefahr, dass dem einen oder anderen das | |
Lachen so richtig im Hals stecken bleiben könnte, ist gering. Die | |
Wahrheiten kommen mitunter in Wattebäuschen – oder so allgemein formuliert, | |
dass sich niemand persönlich angesprochen fühlen muss: „Wenn die CSU | |
behauptet, sie wär’ eine christliche Partei, dann kann ich als Allgäuer | |
Ex-Ministrant auch behaupten, dass ich ein Schweigemönch bin.“ | |
## „No Passport, no Nächstenliebe“ | |
Am ärgsten knöpft sich der Kabarettist Innenminister Joachim Herrmann vor, | |
der stellvertretend für die Migrationspolitik der CSU geradestehen muss. | |
„He believes in Nächstenliebe. But to receive Nächstenliebe, you need a | |
German Passport“, erklärt Schafroth den Asylbewerbern im Land. „No | |
Passport, no Nächstenliebe.“ | |
Schafroth spickt seine Rede mit Bildern und Metaphern aus seiner Allgäuer | |
Heimat. Die CSU, sagt er etwa, sei jetzt grün, sozial, dynamisch, urban, da | |
sei alles drin. „Das erinnert mich so a bissl an unsere alte | |
Dorfwirtschaft, die haben auch kurz vor der Insolvenz noch einmal eine ganz | |
dicke Speisekarte gedruckt.“ | |
Jetzt hat die CSU in der Staatsregierung ja auch noch die Freien Wähler an | |
ihrer Seite. Deren Chef Hubert Aiwanger hat es Schafroth besonders angetan: | |
„Ganz glücklich sitzt er da, mit seinem Freibier. Du nimmst mit, was geht. | |
Du bist so einer, der am Ende von der Raiffeisenvollversammlung noch die | |
übrigen Schnitzelsemmeln zammfrisst.“ | |
## Söder ist jetzt Bienenfreund | |
Szenenwechsel: Auf die Fastenpredigt folgt in der zweiten Hälfte der | |
Veranstaltung traditionell das Singspiel, ein Bühnenstück mit verteilten | |
Rollen und Musik. Schauplatz ist dieses Mal ein heruntergekommener | |
Wellness-Bereich unterhalb der Staatskanzlei. Thema ist das größte | |
politische Mysterium des vergangenen Jahres in Bayern – die Metamorphose | |
des Markus Söder. | |
„Markus Söder ist jetzt auch wieder Europäer. Er ist offener geworden, | |
lockerer, jünger, schöner, weiblicher. Und er ist ein Bienenfreund.“ Sagt | |
kein geringerer als der von Stephan Zinner großartig verkörperte Markus | |
Söder selbst. | |
Und seinem verdutzten Vize Aiwanger erklärt der Ministerpräsident im | |
violetten Trainingsanzug, dass er sich das Ego operativ habe verkleinern | |
lassen: „Das war schon ein größerer Eingriff. Das hat ja schon gewuchert, | |
teilweise sogar bösartig.“ Nebenwirkung habe die OP keine, er könne bloß | |
dieses eine Wort nicht mehr sagen: „Ich.“ Passt ja, Söder spricht ohnehin | |
fast nur noch von der „geschlossenen Mannschaftsleistung“. Mit dem | |
„W-w-w-ir“ hakt es jedoch noch etwas. | |
## Söders Privatdusel | |
Die Zweifel an der Authentizität des neuen Söders sind im Stück freilich | |
ähnlich groß wie in der politischen Realität. Im Singspiel allerdings | |
bekennt Söder zuletzt: „Das mit dem Wir-Sagen ist doch ein billiger Trick. | |
Das is’ mir fast selber schon peinlich.“ | |
Doch der Trick kann noch nicht die einzige Erklärung sein. Denn alle – von | |
Aiwanger bis Andrea Nahles – fragen sich: Wie macht er das bloß? Warum | |
sitzt Markus Söder so unverschämt fest im Sattel – nach einer denkbar | |
herben Wahlniederlage im letzten Jahr? | |
Im Singspiel erfahren wir die Antwort: Es ist das Dusel, „das kleine | |
Glück“, wie auch der Titel des Stücks lautet. Das Dusel ist ein kleines | |
felliges Etwas, das Söder im Wellness-Keller in einen Spind gesperrt hat, | |
wo es ihm stets zu Diensten sein muss – auch wenn es sich empört, es sei | |
kein „Privatdusel für karrieregeile Streber, sondern das Bayern-Dusel“. | |
## Nicht ganz so gut wie letztes Jahr | |
Es folgen nette Szenen, viel Dialogwitz, doch letztlich plätschert das | |
Geschehen im Badekeller so vor sich hin, [2][an die Leistung vom letzten | |
Jahr] kommen die Autoren Richard Oehmann und Stefan Betz nicht mehr heran. | |
Die Latte hängt aber auch denkbar hoch. | |
Eine Überraschung aus der Abteilung Folklore gelingt ihnen jedoch wieder. | |
War es im vergangenen Jahr noch die originale Uschi Glas, die als Halbblut | |
Apanatschi einen Immobilienhai mimte, tritt diesmal die leibhaftige | |
Marianne mit dem leibhaftigen Michael als Marianne und Michael auf – | |
singend, versteht sich: „Es war ein Glückstag ganz gewiss, wia's Dusel | |
bayerisch geworden is'.“ | |
Am Ende ist das Dusel tot und alle Fragen offen. Und wie immer bei Satire, | |
Kabarett oder überhaupt Kunst stellt sich die Frage: Ob's wohl hilft? | |
„Kritisches Theater“, hat Schafroth zuvor gesagt, „das ist wie die | |
Homöopathie: Die Linken glauben dran, wir wissen – es ist wirkungslos.“ Die | |
Politiker, die echten, loben schließlich ihre Derblecker, versuchen noch | |
einmal zu beweisen, dass sie Humor haben, und machen sich auf den Heimweg | |
in die Wirklichkeit. Am Mittwoch trifft man sich wieder – bei der | |
Plenarsitzung im Landtag. | |
13 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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