# taz.de -- Der Hausbesuch: Unter Dach und Fachwerk | |
> Das Fachwerkhaus von Dietrich Klages aus Celle stand ursprünglich im | |
> Nachbarort – der Wiederaufbau ist sein Lebenshobby. | |
Bild: Pensionär, Vollzeit-Opa, ehemaliger Lehrer, Fachwerkliebhaber: Dietrich … | |
Möglich, dass jeder Heimat an etwas anderem festmacht. Für die einen mag es | |
der Geschmack eines Apfels sein, für andere der Horizont oder die Berge. | |
Für Dietrich Klages ist es das Fachwerkhaus. | |
Draußen: Osterloh sei eine Inselgegend, sagt Dietrich Klages. Der Ortsteil | |
von Celle ist eingerahmt durch den Fluss Aller. Früher fuhr nicht einmal | |
ein Schulbus. Es gab vier Bauernhöfe. Heute leben 300 Einwohner im Ort: | |
Einfamilienhäuser mit weiten Gärten, hölzerne Zäune wirken mehr wie | |
Dekoration als Abgrenzung, alte Eichen spenden Schatten. Die auf Klages | |
Grundstück ist so alt wie sein ältester Sohn. | |
Drinnen: In der Eingangshalle blickt man direkt auf einen stockwerkhohen | |
Kamin. Um ihn zentrieren sich Anbauten. Rechts die Kochnische, daneben die | |
Stube, zwei Zimmer links. Eine dunkle, schmale Holztreppe führt ins zweite | |
Geschoss. Die hohe Decke wird von handgeschlagenen Eichenbalken gehalten. | |
500 Jahre alt, sagt Klages. Sie wirken wie Dinosaurierknochen. | |
Das Dachschiff sei genau wie das einer Kirche, erklärt Klages, blickt nach | |
oben und tritt auf ein Spielauto seiner Enkel. Ihr Mittagsschlafplatz, eine | |
Nische unter den Dachfenstern, war früher das Getreidelager. Dort, wo jetzt | |
der Küchentisch mit selbst getöpfertem Geschirr und einem iPad steht, war | |
der Kuhstall. | |
Lebenshobby: So nennt Dietrich Klages sein Haus, Baujahr 1564. Er, Baujahr | |
1949, murmelgroße Brillengläser und weißer Bart, ist seit sechs Jahren | |
Pensionär, Vollzeit-Opa, ehemaliger Lehrer, schon damals selbsterklärter | |
Fachwerkliebhaber. Ehrenvorsitzender des Fachwerkverbands, heißt es auf | |
einer eingerahmten Urkunde. | |
Das Haus: Die Hände in die Hüften gestemmt, pausiert Klages vor einem | |
Schwarz-Weiß-Bild am Küchenschrank. Es zeigt seine Frau, gerade einmal 20, | |
skeptischer Blick. Der jüngste Sohn, knöcheltief im Stroh, schaut neugierig | |
in die Kamera. 1978 besichtigen sie das erste Mal das Haus. Die Vorbesitzer | |
sind gestorben, ein Kälbchen grast im Stall. Damals steht das Fachwerkhaus | |
im Nachbarort. Die Prämisse für den Kauf: Das Haus muss abgebaut und in | |
Osterloh wieder aufgebaut werden. Mit dem Denkmalschutzamt wird er sich die | |
nächsten Jahrzehnte öfters beschäftigen. | |
Der Umzug: „Ihr seid verrückt“, sagte sein Vater. „Wir waren eben jung�… | |
sagt Klages heute. Die zweite Tochter wird an dem Tag geboren, als sie den | |
Vertrag unterschreiben. „Es war nicht immer einfach“, sagt er, blickt zur | |
Decke, noch immer stehen Kreidenummern auf den mannsdicken Balken: „Nach | |
einmal Sägen war die Kettensäge stumpf.“ Einen Bauplan gab es nicht. Mit | |
einem Architekten rekonstruierten sie den Aufbau. Zwei Jahre dauert der | |
Umbau, doch bis heute ist das Projekt nicht abgeschlossen. Klages letztes | |
Werk: ein Holzkarussell im Garten für die Enkelkinder. | |
Familie: Die Enkel, zehn und zwölf Jahre alt, sind die Jüngsten im selbst | |
gezeichneten Stammbaum, davon gibt es zwei im Haus. Wochenweise seien die | |
Enkelkinder und Kinder zu Besuch. Endlich habe er Zeit für sie, sagt | |
Klages. Seine Frau arbeitet gerade ehrenamtlich in einem „Sozialladen“. | |
Baukastenprinzip: Seit sechs Jahren ist Dietrich Klages in Rente. Davor war | |
er Grund- und Hauptschullehrer in der Schule, die er als Kind selbst | |
besucht hatte. „Ich habe nur meinen Grundschullehrer abgelöst“, sagt er in | |
seinem Büro, 38 Jahre lang korrigierte er dort die Schularbeiten. Im Regal: | |
Bücher über Physik, Bausatz-Radios seiner Schüler, selbst programmierte | |
Displays, eine Edelsteinsammlung und Abzeichen: „Fachwerk macht Schule“. | |
Klages mochte seinen Beruf. Stellvertretend durfte er als Lehrer seine | |
Interessen ausleben. Heute gehen seine Enkelkinder in die selbe Schule. | |
Eine Etage höher: Die Treppe hinauf geht es in Klages Atelier, das auch | |
sein Ruheraum ist: weiß gestrichene Dielen, Staffeleien, vor dem | |
Dachfenster ein Teleskop: „Gestern habe ich Jupiter gesehen“, erzählt er. | |
Auf einem Holzpodest liegt eine Yogamatte. Zwischen Landschaftsmalereien | |
und selbst gezeichneten Postern zu Quantenphysik meditiert Klages dort | |
morgens und abends. Mit beidem, Spiritualität und Physik, könne man die | |
Welt erklären, sagt er. „Es macht mich glücklich, wenn Dinge einfach und | |
logisch sind.“ Fachwerk wäre noch so ein Beispiel. | |
Fachwerk: „Vielleicht war ich in meinem früheren Leben Tischler.“ Klages | |
läuft einen Raum weiter. Auf dem früheren Heuboden steht eine Miniatur | |
seines größten Hobbys: ein etwa hüfthohes Holzmodell des Hauses. In der | |
Hand hält er einen hölzernen Messstab: „Goldener Schnitt“, sagt er und | |
misst Drei-zu-Vier-Verhältnisse ab. | |
„Irre, wie die das früher gemacht haben“, sagt er, spricht von Tischlern, | |
die ihr Wissen nur mündlich weitergegeben haben, mit nichts als einem | |
Beutel loszogen, einer Bauart, die noch keine Hebebühnen und Werkzeuge | |
kannte, sondern nur das Material, das eh in der Gegend war: Eichen und | |
Lehm. | |
Das Alte konservieren: Als 2014 in der Altstadt von Celle, in ein großes | |
zusammenhängendes Fachwerkensemble, ein Einkaufszentrum gebaut werden soll, | |
protestiert Klages, arbeitet in Gremien, betreibt Kontra-Lobbyarbeit. Mit | |
Erfolg: „Es hätte unsere ganze Altstadt kaputt gemacht.“ Für Klages gehö… | |
das Fachwerkhaus und Heimat zusammen. | |
Heimat: Klages’ weitester Schritt hinaus führt 120 Kilometer, zum Studium | |
nach Göttingen. „Es war klar, dass ich zurückkomme“, sagt er und zeigt | |
Bilder aus einem Fotoband des Orts, in dem auch sein Haus vorkommt. Zurück | |
gründet er die internationale Meditationsgesellschaft. Man kennt Klages aus | |
Vereinen und als Lehrer, der tagelang mit Schülern durch die Dörfer radelt, | |
um alte Häuser zu inspizieren. | |
Über zehn Jahre organisiert seine Familie das Dorffest. Bilder zeigen | |
Erwachsene gegen Kinder beim Tauziehen, „natürlich haben die immer | |
gewonnen“. Im Garten feiern sie Geburtstage, Gottesdienste, Hochzeiten: | |
„Muss man überhaupt woanders hingehen? Uns geht es doch gut hier.“ Heimat, | |
das seien für ihn die hügelige Landschaft, die Aller, Fachwerkgebäude, die | |
älter sind als die Idee Deutschlands. Für Klages gibt es keine deutsche | |
Kultur, sondern nur eine regionale. | |
Besuch: Während bei den Nachbarn die Deutschlandflagge weht, schwingt an | |
einem Fahnenmast der Klages die europäische und die Kölner Flagge, „weil | |
die Enkelkinder aus Köln zu Besuch sind“. Am selben Tisch, an dem auch | |
früher die Bauernfamilien aßen, drängen sich die vier Enkel und Klages | |
Frau. Im Hintergrund läuft die Melodie von der Sendung mit der Maus. | |
Erst seit der Rente koche ihr Mann, sagt Kathrin Klages und verteilt das | |
Essen. Es gibt Nudeln mit Tomatensoße, für den Jüngsten mit Apfelmus. „Sie | |
war eben dominant.“ Klages lächelt. Vor vierzig Jahren lernen sie sich im | |
Partykeller ihrer Eltern kennen: „Für uns war es gut, so früh zu heiraten.�… | |
Nur zusammen hätten sie das mit dem Haus gemacht. Was sie beide sorgt: Ob | |
eines der Kinder das Haus übernehmen wird. | |
Damals und Heute: Früher wurde die Hofübergabe zeremoniell um den Ofen | |
gefeiert. Der offene Kamin sei heute sein Lieblingsort, „heilig“, sagt | |
Klages und schürt das Feuer. Darüber hängt ein selbst gemaltes Bild seiner | |
Frau in expressionistischen Grundtönen. Traditionell sei das der Platz im | |
Haus gewesen, den die künftige Braut dreimal umringen musste, erzählt er. | |
Als der Rohbau stand, organisierten sie hier Partys. Sie waren mehr als | |
vierzig Leute. Abba lief: „Wir haben jeden Schritt gefeiert.“ | |
Als an Weihnachten mal der Strom ausfiel, briet Klages Würstchen im Kamin. | |
Für die Kinder sei es das Größte, wenn er dort auch Crêpes macht. Früher | |
schon sei das klassische Fachwerkhaus der Ort gewesen, der Familie, Vieh | |
und Ernte verband. Heute zentriere sich hier, um den Ofen, sein Glück. | |
15 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Ann Esswein | |
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