| # taz.de -- Die CDU-Chefin und die EU: Kramp-Karrenbauer ohrfeigt Macron | |
| > Der französische Präsident will den großen Sprung für Europa. Warum die | |
| > Antwort von Kramp-Karrenbauer ein Totalverriss von Macrons Ideen ist. | |
| Bild: Ängste schüren, den Stammtisch bedienen: Kramp-Karrenbauer mit einer re… | |
| CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer lebt offenbar in einem anderen Europa | |
| als Emmanuel Macron. Die vielleicht nächste deutsche Kanzlerin antwortet | |
| [1][in der Welt am Sonntag] auf die [2][europäischen Visionen des | |
| französischen Präsidenten], die er in den Tagen zuvor EU-weit in 28 | |
| Tageszeitungen gleichzeitig veröffentlicht hat. Wer hoffte, die beiden | |
| könnten bald ein neues Tandem bilden, um den Kontinent endlich aus der | |
| Erstarrung zu lösen, hat umsonst gehofft. Fünf Punkte, warum mit AKK nichts | |
| von Macrons Ideen bleibt. | |
| ## 1) Macron lebt in Europa, AKK in Deutschland | |
| Macron warnte davor, dass Europa in Gefahr ist – AKK tätschelt den | |
| Europäer*innen die Wange und sagt, dass doch alles gut sei. Es scheint, als | |
| lebten beide auf unterschiedlichen Kontinenten. So sieht Macron die EU als | |
| Bollwerk für „Frieden, Wohlstand und Freiheit“, das bedroht wird von | |
| nationalistischer Abschottung und Manipulationen etwa aus Russland. Da | |
| müsse man sich zur Wehr setzen – durch eine „europäische Agentur für den | |
| Schutz der Demokratie“. Für AKK dagegen ist alles im Lot, die Bürger*innen | |
| der EU brächten nur mehr „Klarheit und Orientierung“. In der digitalen | |
| Wirtschaft etwa, bei der Migration, beim Klimawandel, dem Terrorismus oder | |
| bei internationalen Konflikten. | |
| Macron schreibt: „Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so | |
| wichtig. Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr.“ | |
| Kramp-Karrenbauer schreibt: „Die Zustimmung zur europäischen Idee ist | |
| derzeit so hoch wie nie. Was die EU in den Augen der Bürger jedoch | |
| vermissen lässt, sind Klarheit, Orientierung und Handlungsfähigkeit zu | |
| wesentlichen Fragen der Zeit.“ | |
| ## 2) Macron will Soziales, AKK so: niemals! | |
| Macrons Ideen für ein sozialeres Europa lässt die CDU-Chefin an einem | |
| einzigen Satz zerschellen: „Dabei geht es zuerst um die Sicherung der | |
| Grundlagen unseres Wohlstandes.“ Man muss AKK hier korrekt missverstehen. | |
| Sie meint damit deutschen, nicht europäischen Wohlstand. Denn auf die Idee, | |
| die wichtigste Aufgabe Europas sei die Sicherung des Wohlstandes kommt man | |
| in den EU-Ländern, in denen seit Jahren Massenarbeitslosigkeit herrscht, | |
| wohl kaum. Das ist eine rein deutsche Perspektive. | |
| Kramp-Karrenbauer bedient also die Verlustängste der Deutschen, die | |
| fürchten, die anderen Europäer*innen wollen ihnen an den Geldbeutel. | |
| Deshalb lehnt AKK sämtliche Ideen Macrons für ein sozialeres Europa ab. | |
| Damit wiederholt sie die ökonomische Lebenslüge Merkels: Auch sie stritt | |
| stets gegen gemeinsame Schulden. Dabei hat die Europäische Zentralbank | |
| durch ihren Ankauf von Staatsanleihen längst Schulden vergemeinschaftet. | |
| Sonst gäbe es keinen Euro mehr. | |
| Macron schreibt: „In Europa, wo die Sozialversicherung erfunden wurde, muss | |
| für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, von Ost nach West und von Nord | |
| nach Süd, eine soziale Grundsicherung eingeführt werden, die ihnen gleiche | |
| Bezahlung am gleichen Arbeitsplatz und einen an jedes Land angepassten und | |
| jedes Jahr gemeinsam neu verhandelten europaweiten Mindestlohn | |
| gewährleistet.“ | |
| Kramp-Karrenbauer schreibt: „Europäischer Zentralismus, europäischer | |
| Etatismus, die Vergemeinschaftung von Schulden, eine Europäisierung der | |
| Sozialsysteme und des Mindestlohns wären der falsche Weg. Aber Konvergenz | |
| im Sinne gleichwertiger Lebensverhältnisse innerhalb der Mitgliedstaaten | |
| und zwischen den Mitgliedstaaten müssen wir anstreben.“ | |
| ## 3) Macron will mit Steuern steuern, AKK schweigt | |
| Übrigens ist der Reflex hinter AKKs „keine müde Mark mehr für | |
| Europa-Politik“ durchaus verständlich: In Italien, Polen oder Ungarn | |
| regieren strunzdeprimierende Populisten, es wäre hierzulande politischer | |
| Suizid, den Eindruck zu vermitteln, solche Regierungen könnten künftig | |
| soziale Versprechen mithilfe deutsche Beitragszahler finanzieren. | |
| Aber das ist eben die Stammtisch-Perspektive. Wie erfrischend wäre eine | |
| CDU-Chefin, die auf Macrons steuerpolitische Ideen einginge. Die hat er | |
| schon im September 2017 [3][in seiner berühmten Rede] in der Pariser | |
| Sorbonne-Universität unterbreitet: Darunter fand sich eine CO2-Grenzsteuer, | |
| die den Import von klimaschädlichen Produkten aus anderen Teilen der Welt | |
| verteuert hätte oder eine EU-weite Finanztransaktionssteuer. Beides wäre | |
| dem EU-Haushalt zugeflossen. Die Bundesregierung hat sich eine gemeine | |
| Strategie zugelegt, um derartiges abzuwehren: sie schweigt einfach. | |
| AKK schlägt stattdessen ein „EU-Innovationsbudget“ vor, mit dem Titel | |
| „Future Made in Europa“. Da freut man sich schon auf das Antragsformular. | |
| Von den 70,2 Milliarden Euro Forschungsausgaben aus Brüssel von 2014 bis | |
| 2020 hat Kramp-Karrenbauer wohl noch nichts gehört. | |
| ## 4) Macron will Klimaschutz und AKK so: Jein | |
| Die CDU stampft gerade ihre Klimapolitik ein. Dazu muss man AKKs | |
| Ausführungen sehr genau lesen. Die Erzählung dahinter ist eine sehr alte, | |
| eine aus der Vor-Merkel-Ära: Klimaschutz und Wohlstand widersprechen sich, | |
| weshalb man als verantwortungsvolle Politikerin beides in Einklang bringen | |
| muss. Ob dabei die Klimaziele erreicht werden ist zweitrangig. Mit dieser | |
| Story will AKK jetzt auch Europapolitik machen. | |
| Sie verlässt damit den Kurs Merkels, die zumindest in ihren frühen | |
| Regierungsjahren die EU für das Jahr 2020 auf sehr kompromisslose | |
| Klimaziele eingeschworen hat (später hat Mekels Kabinett dann dafür | |
| gesorgt, dass Deutschland die Ziele nicht einhält). Macron dagegen ist für | |
| eine klare Priorisierung: an erster Stelle steht das Klimaziel, dahinter | |
| kommen andere Erwägungen. Weil, logisch, auch der Wohlstand in einer Welt | |
| mit kippendem Klima nicht zu halten ist. | |
| Kramp-Karrenbauer schreibt: „Mit ambitionierten Festlegungen europäischer | |
| Ziele und Grenzwerte [in Sachen Klima, A.d.R] ist allerdings noch nichts | |
| erreicht. Dieser Weg wird nur dann auf breite Zustimmung in der Bevölkerung | |
| stoßen, wenn es uns gelingt, auch die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte | |
| so zu berücksichtigen, dass Beschäftigung und Wirtschaftskraft erhalten | |
| bleiben und neue Entwicklungschancen entstehen.“ | |
| Macron schreibt: „Werden wir unseren Kindern in die Augen blicken können, | |
| wenn wir nicht auch unsere Klimaschuld begleichen? Die Europäische Union | |
| muss ihr Ziel festlegen – Reduzierung der CO2-Emissionen auf Null bis 2050, | |
| 50 Prozent weniger Pestizide bis 2025 – und ihre Politik diesem Ziel | |
| unterordnen.“ | |
| ## 5) Grenzsicherung und Militär geht bei beiden | |
| Kein Witz, aber AKK will einen europäischen Flugzeugträger. Neu ist die | |
| Idee nicht, die kam aus der Union immer mal wieder. Wozu? „Um der globalen | |
| Rolle der Europäischen Union als Sicherheits- und Friedensmacht Ausdruck zu | |
| verleihen“, schreibt Kramp-Karrenbauer. Ein Kriegsschiff als | |
| Friedenssymbol. Klingt wie ein Toilettenwitz. Angesichts der Erfahrungen | |
| mit europäischen Rüstungsprojekten: Wollen wir hoffen, dass die MS AKK am | |
| Ende auch schwimmt. Abgesehen davon herrscht zumindest bei einem absolute | |
| Einigkeit zwischen Paris und Berlin: Menschen auf der Flucht müssen | |
| abgewehrt werden. | |
| Kramp-Karrenbauer schreibt: „Unser Gefühl der Gemeinschaft und der | |
| Sicherheit in Europa braucht sichere Außengrenzen. Wir müssen Schengen | |
| vollenden. Dafür brauchen wir in der EU eine Vereinbarung über einen | |
| lückenlosen Grenzschutz. Dort, wo die Außengrenze nicht mit nationalen | |
| Mitteln allein geschützt werden kann oder soll, muss Frontex zügig als | |
| operative Grenzpolizei aufgebaut und eingesetzt werden.“ | |
| Macron schreibt: „Eine gemeinsame Grenzpolizei und eine europäische | |
| Asylbehörde, strenge Kontrollbedingungen, eine europäische Solidarität, zu | |
| der jedes Land seinen Teil beiträgt, unter der Aufsicht eines Europäischen | |
| Rats für innere Sicherheit. Ich glaube angesichts der Migration an ein | |
| Europa, das sowohl seine Werte als auch seine Grenzen beschützt.“ | |
| ## Und was bedeutet das jetzt? | |
| Paris und Berlin ziehen zwar am gleichen Seil, aber auf unterschiedlichen | |
| Seiten. Marcon will „den Weg eines Neubeginns in Europa“, Kramp-Karrenbauer | |
| will „jetzt selbstbewusst an die Arbeit gehen“. Soll heißen: Danke | |
| Emmanuel, einen netten Aufsatz hast du da geschrieben. Falls ich Kanzlerin | |
| werde, lass mal ein paar Grenzpolizisten einstellen und gut ist. | |
| 10 Mar 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article190037115/AKK-antwortet-Macr… | |
| [2] https://www.elysee.fr/emmanuel-macron/2019/03/04/fur-einen-neubeginn-in-eur… | |
| [3] https://de.ambafrance.org/IMG/pdf/macron_sorbonne_europe_integral.pdf?23641… | |
| ## AUTOREN | |
| Ingo Arzt | |
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