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# taz.de -- Kritik am Ende der Zeitumstellung: Die EU als Sündenbock
> Der Deutsche Lehrerverband warnt bei einer dauerhaften Sommerzeit vor
> depressiven SchülerInnen. Dabei sind die Probleme hausgemacht.
Bild: Morgens dunkel auf dem Schulweg? Wie wär's, den Unterricht später start…
Immer wenn sich in Deutschland Gymnasial-, Real- und BerufsschullehrerInnen
zu einer gemeinsamen Stellungnahme zusammentun, weiß man: Den Schulen im
Land steht etwas Unzumutbares bevor.
So wie die Bedrohung der Unterrichtsqualität durch unqualifizierte
Quereinsteiger (im Sommer 2018). So wie die lästigen Erwägungen, künftig
standardmäßig dritte Schultoiletten zu verbauen (im Februar). Oder aktuell:
die unbedachten Gefahren, die mit dem Ende der Zeitumstellung über deutsche
Schulkinder hereinbrächen.
Kaum hatte sich der Verkehrsausschusses im EU-Parlament Anfang der Woche
[1][für eine ganzjährige Sommer- oder Winterzeit ausgesprochen], stellte
sich der Deutsche Lehrverband erneut vor seine armen Schülerinnen und
Schüler. Schützend, wie er wohl meint.
Schlaf- und Lernprobleme, Depressionen und Diabetes. All dies drohten den
Jugendlichen, wenn sich Deutschland dem EU-Wunsch beugen und in drei Jahren
die Uhrumstellung zugunsten einer dauerhaften Sommerzeit sein ließe. Von
der erhöhten Unfallgefahr beim finsteren Schulweg ganz zu schweigen. Aha.
## Patriarchales Gehabe
Es ist schon erstaunlich, wie sich der Lehrerverband als Vormund einer
ganzen Generation aufspielt. Wohlgemerkt zu einer Zeit, in der
[2][Schülerinnen und Schüler Freitag für Freitag] unter Beweis stellen,
dass sie sehr wohl für sich selbst sprechen können. Scheint dem
Lehrerverband aber schnuppe zu sein. Sie glauben wohl besser zu wissen, was
gut für den Nachwuchs ist.
Noch erstaunlicher als das patriarchale Gehabe der PädagogInnen aber sind
ihre Argumente: Zwar stimmt, dass eine dauerhafte Sommerzeit Nachteile
hätte – Stichwort: längere Dunkelheit am Morgen. Auch die drohende
Zersplitterung der EU in einen Zeitzonen-Flickenteppich kann man zurecht
gegen die EU-Pläne anführen.
Nur: Die hausgemachten Missstände an deutschen Schulen einer ach so
unverantwortlichen EU unterzujubeln, ist ein – Pardon – populistisches
Armutszeugnis. Wollte der Lehrerverband wirklich Schlaf- und Lernprobleme,
Depressionen und Diabetes bekämpfen, müsste er – neben der Verbannung von
Colaautomaten aus den Schulen – von ein paar geliebten Positionen
verabschieden.
Allen voran das starre Festhalten am Leistungsprinzip und an überfrachteten
Lehrplänen. Dass der Lern- und Notendruck Schülerinnen und Schüler unter
enorme psychische Belastung stellt, ist nicht nur unter
BildungsforscherInnen unumstritten. Das ist die Alltagserfahrung vieler
Familien.
## Heilige Schulnoten
Dennoch wollen die meisten Schulen bislang nichts von den [3][vernünftigen
Alternativen zu den klassischen Schulnoten] wissen. Obwohl viele
Bundesländer ihnen die Chance böten, über Lernstandberichte,
Kompetenzprotokolle oder Entwicklungsgespräche ein differenzierteres
Bewertungssystem zu testen.
Wie wenig die Schulen experimentieren wollen, sieht man auch bei den
Lehrplänen. Seit Jahren bemängeln Lehrkräfte einerseits, dass sie für
wichtige Themen wie Demokratieerziehung oder Mobbingvorfälle im Unterricht
keine Zeit hätten. Auf irgendwelche Inhalte verzichten, will aber niemand.
Die Lehrpläne sind – wie die Schulnoten – Ausweis unserer
leistungsorientierten Schulbildung, die die chronische Vergleichsneurose
unser Gesellschaft noch verstärkt. Ständig müssen sich junge Menschen
messen lassen. Ständig werden sie bewertet und benotet. Und oft genug
deshalb gehänselt und gemobbt.
Das ist das Schulsystem, das SchülerInnen unter permanente Spannung stellt.
Und das der Lehrerverband vehement verteidigt. Die Ursachen für Depression
& Co vermutet er aber lieber in der dunklen Jahreszeit und dafür
verantwortlichen – unverantwortlichen – Entscheidungsträgern.
Dabei liegt selbst für dieses Scheinproblem eine konstruktive Lösung nah:
Wenn SchülerInnen nicht im Dunkeln in die Schule gehen sollen, dann könnte
der Unterricht einfach später starten. Und zwar ganz ohne die geliebte
Leistungsorientierung einzubüßen.
NaN NaN
## LINKS
[1] /EU-Ausschuss-will-Zeitwechsel-beenden/!5578186
[2] /!t5571786/
[3] /Debatte-Schulnoten/!5399374
## AUTOREN
Ralf Pauli
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