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# taz.de -- Kolumne Psycho: Wut ist besser als gar keine Gefühle
> Während einer depressiven Episode nutzte meine Hündin meine Schwäche
> gnadenlos aus. Sie hatte die falschen Schlüsse gezogen.
Bild: Meine Hündin schlief weiter, wenn ich heulte
Hunde, so heißt es ja gerne, helfen vorzüglich bei psychischen
Erkrankungen: Sie kritisieren und verurteilen nicht, wirken
stimmungsaufhellend und lieben bedingungslos, und nicht zuletzt sind sie SO
UNFASSBAR SÜSS, dass wir bei ihrem Anblick in unserem überschwappenden
Oxytocin beinahe ertrinken.
Keine Ahnung, von welchen Hunden die WissenschaftlerInnen dieser Studien
reden, aber von meiner Hündin nicht. Das wurde mir schmerzhaft bewusst, als
ich vor zwei Wochen den Höhepunkt einer depressiven Episode erlebte, oder
besser: den Tiefpunkt.
[1][Ich kam kaum aus dem Bett, konnte keine Entscheidungen treffen] und
nach dem Beantworten einer einzigen Mail war ich so erschöpft, dass ich
mich am liebsten wieder hingelegt hätte. Und die Hündin? Schlief weiter,
wenn ich heulte. Drehte sich weg, wenn ich sie streicheln wollte. Und
seufzte vorwurfsvoll, wenn ich mit leeren Augen auf den Fernseher starrte.
Aber draußen war es am schlimmsten. Anstatt mich zu unterstützen, nutzte
die Hündin meine Schwäche gnadenlos aus. Ich kenne dieses Phänomen von den
Kindern meiner Freundinnen, aber die stürzen sich wenigstens nicht auf
AltersgenossInnen, um sie zähnefletschend über den Haufen zu rennen. Die
Hündin schon. Und. Zwar. Jeden. Einzelnen.
## Wie ausgewechselt
Positiver Nebeneffekt dieser Adrenalinschübe: Sie machen wach. Und Wut ist
immer noch besser als gar keine Gefühle. Aber vor allem fühlte ich mich
wahnsinnig hilflos und allein. Nach ein paar Tagen bekam ich schon Panik,
wenn ich nur an den nächsten Spaziergang dachte. Half aber alles nichts,
wir mussten ja raus.
Dort traf ich zufällig eine Freundin, die nicht nur einen top erzogenen
Hund hat, sondern auch viel Geld machen könnte, wenn sie ihr Wissen als
Hundetrainerin vermitteln würde. Und während unseres Gesprächs wurde mir
klar, dass die Hündin nicht auf andere Hunde losgeht, um mich zu ärgern,
sondern um mich zu beschützen. Sie hatte meine Schwäche also sehr wohl
registriert, aber die falschen Schlüsse daraus gezogen. Jetzt musste ich
sie nur wieder in die Spur bringen, nachdem ich monatelang versäumt hatte,
ihr klarzumachen, dass nicht sie die Chefin ist, sondern ich.
Und tatsächlich: Bereits am nächsten Tag war die Hündin wie ausgewechselt.
Lammfromm trabte sie bei Fuß, suchte Blickkontakt und hörte auf, andere
Hunde anzupöbeln. (Na ja, zumindest pöbelte sie weniger.) Und ich spürte
nicht nur, wie mein Selbstvertrauen im Umgang mit der Hündin wiederkehrte,
sondern dass es insgesamt wieder aufwärtsging.
Denn die Hündin hatte mir meine Selbstwirksamkeit vor Augen geführt: die
Überzeugung, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener
Kraft erfolgreich bewältigen zu können. Ich muss ihr nur noch erklären,
dass das nicht unbedingt auf die harte Tour sein muss.
10 Apr 2019
## LINKS
[1] /Kolumne-Psycho/!5520818
## AUTOREN
Franziska Seyboldt
## TAGS
Psycho
Depression
Hunde
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Jung und dumm
Krankheit
Zeitumstellung
Depression
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