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# taz.de -- US-Aktivistin über Streikorganisation: „Wir können Amazon schla…
> „Organizing“ heißt das Zauberwort linker US-Gewerkschafterinnen. Jane
> McAlevey erklärt, warum die deutsche Streikkultur ihr den Schweiß auf die
> Stirn treibt.
Bild: Streik der Lehrkräfte in Chicago, 2012. An der Organisation war Jane McA…
taz: Frau McAlevey, in deutschsprachigen Artikeln über das sogenannte
Organizing heißt es oft, das sei die politische Methode, mit der Barack
Obama Präsident geworden ist. Würden Sie dem zustimmen?
Jane McAlevey: Nein. Das war „Mobilizing“, Mobilisieren. Potenzielle
Wähler*innen wurden von den Leuten in der Obama-Kampagne angesprochen,
damit sie auch wirklich an die Urnen gehen und ihr Kreuz machen. Ich treffe
oft politisch aktive Menschen, die sagen, dass sie andere „organisieren“.
Sie sagen: Wir verteilen Flyer, wir sprechen Menschen an, wir laden
Menschen zu einer Kundgebung ein, wir erstellen Facebook-Veranstaltungen,
wir haben Treffen. Das ist aber Mobilisieren, nicht Organisieren.
Was ist falsch am Mobilisieren?
Es gibt aktuell viele gelungene Mobilisierungen in den Bereichen
[1][Klimawandel], Antirassismus, Antifaschismus, Mieter*innenbewegung. Die
Proteste sind groß, bekommen viel Aufmerksamkeit. Beim Organisieren geht es
aber darum, reale Macht langfristig aufzubauen. Es geht darum zu gewinnen.
Ich habe das Organisieren bei Leuten gelernt, denen es wiederum von
Gewerkschafts-Organizerinnen der 1930er beigebracht wurde. Die waren
Mitglieder der CIO, der radikaleren der beiden großen
Industriegewerkschaften in den 1930ern. Diese Gewerkschaft hatte damals
viele Mitglieder, viel Macht und Einfluss. Die sind sehr strategisch
vorgegangen. Sie haben sich notiert, wo viele Menschen arbeiten, wen sie
schon erreicht haben und wen nicht. Dann sind sie die Fabriken
durchgegangen, Etage für Etage, Büro für Büro, Abteilung für Abteilung, bis
der Letzte überzeugt war, bis es eine maximale Beteiligung an den Streiks
gab.
Das Ziel ist, dass alle streiken?
Das muss das Ziel sein! Dass einhundert Prozent aller Arbeiter*innen
streikbereit sind. Wenn ihr Deutschen sagt: „Drei Abteilungen haben ihre
Arbeit niedergelegt“, dann bekomme ich als US-Amerikanerin
Schweißausbrüche! In den USA würden die 30 Prozent einfach rausgeschmissen.
Aber auch ihr solltet die 100 Prozent anstreben, denn nur so können wir
eine Machtumkehr in der Gesellschaft erreichen. Nur so haben wir den
mächtigen und reichen Unternehmen wirklich etwas entgegenzusetzen. Ihr
müsst euch vorstellen: Was würde passieren, wenn die gesamte Belegschaft
streikt? Wie würde der Vertrag aussehen, den ihr dann aushandeln könntet?
In den letzten Jahren gab es in den USA landesweit Massenstreiks von
Lehrer*innen. Derzeit streiken die Lehrer*innen im kalifornischen Oakland.
Beim ersten dieser Streiks in Chicago waren Sie aktiv. Mich hat erschreckt,
wie lange die Vorbereitung dafür gedauert hat.
Es hat überhaupt nicht lange gedauert! 2006 haben die Lehrer*innen
angefangen sich zu organisieren, 2012 fand schon der Streik statt. Das sind
nur sechs Jahre.
Na ja, da braucht man schon viel Geduld.
2006 gab es erste Kämpfe gegen die massenhaften Schulprivatisierungen in
Chicago. 2007, 2008 wurden dann immer mehr Schulen geschlossen. Die Leute,
die das nicht hinnehmen wollten, trafen sich regelmäßig, lernten sich
kennen. Immer öfter kam die Frage auf, warum die Gewerkschaft der
Lehrer*innen nicht gegen die Schulschließungen kämpft, warum sie
alleingelassen werden. Die Lehrer*innen bauten Gegenmacht in den
Stadtteilen auf, indem sie sich mit radikalen Stadtteilinitiativen
zusammentaten. Die sagten zu ihnen: Kümmert euch endlich um eure
Gewerkschaft! In nur zwei Jahren haben die engagierten Lehrer dann dort die
Mehrheit übernommen. Und dann haben sie sich eine Schule nach der anderen
vorgenommen, haben mit den großen angefangen und sich bis zu den kleinen
vorgearbeitet. Am Ende hatten sie jede wichtige Position in der
Gewerkschaft besetzt, jedes Gremium gewonnen. Ab diesem Zeitpunkt hatten
sie anderthalb Jahre Zeit, um den Streik vorzubereiten, weil dann ihre
Verträge mit den Schulen ausgelaufen wären. Die neuen Verträge, die die
Stadt im Sinn hatte, hätten die Situation der Lehrer*innen erheblich
verschlechtert: weniger Geld, mehr Arbeit, weniger Gesundheitsversorgung.
Das ging also alles richtig schnell, gemessen an dem, was sie leisten
mussten. Und sie haben sich Hilfe geholt. Sie haben neue Leute eingestellt,
wie zum Beispiel mich. 2012 fand dann der große Chicago-weite Streik statt.
98 Prozent aller Lehrer*innen haben mitgemacht, die Eltern haben geholfen,
die Schüler*innen auch. Dabei dürfen Lehrer*innen in den USA nicht mal
streiken, es ist verboten! Es wurde ein großer Erfolg. Am Ende hatten sie
viel bessere Verträge!
Wie sorgen Sie dafür, dass die Arbeiter*innen sich nicht durch Angebote der
Unternehmen spalten lassen?
Alle wichtigen Dinge müssen immer vorher besprochen werden. Wir machen eine
große Versammlung, die Arbeiter*innen stimmen über die Verträge ab, die sie
vorher selbst ausgearbeitet haben. Alle, die wollen, können mitmachen. Das
sind oft riesige Versammlungen mit Tausenden Leuten! Wir schreiben unsere
Vertragsbedingungen für alle gut lesbar auf, bevor wir abstimmen lassen –
und der Punkt, dass wir uns nicht spalten lassen, muss auf die Liste mit
drauf! Streiks dauern lange, sind kräftezehrend. Aber alle wissen dann
vorab, worauf sie sich einlassen und was sie wollen.
Nicht nur im Pflege- und Erziehungsbereich, sondern auch in der
[2][Logistikbranche] nehmen die Arbeitskämpfe zu. Woran liegt das?
Weil das die Bereiche sind, die nicht einfach in andere Länder outgesourct
werden können. Walmart, Amazon, der Lieferservice – die brauchen Menschen
vor Ort für die Logistik. Sie wollen sich ja auch dauernd gegenseitig
überbieten, wer das Päckchen noch schneller liefert. Das ist ein
strategisch sehr wichtiger Bereich, eigentlich sollten sich alle
progressiven Gewerkschaften darauf konzentrieren, die Arbeiter*innen dort
zu organisieren – und wir reden von Millionen ohne Gewerkschaft, die
organisiert richtig viel Macht haben. Wir können Amazon schlagen!
Wir reden hier von den Arbeiter*innen. Wie aber setzt sich die
Arbeiter*innenklasse in den USA zusammen? Von wem sprechen wir?
Die Arbeiter*innenklasse ist sehr bunt, natürlich gibt es auch weiße
Menschen, aber sie machen nicht den größten Teil aus. Die ärmsten sind
Frauen und Migrant*innen. Die Arbeiter*innenklasse in Amerika ist riesig.
In den USA sind alle Teil der Arbeiter*innenklasse, die nicht zu den oberen
15 Prozent gehören, also die absolute Mehrheit. Und für die meisten dieser
Menschen ist das Leben sehr hart, vor allem in den letzten Jahren. Und es
wird immer schlimmer. Unsere Aufgabe ist es, ihnen zu zeigen, dass sie sich
befreien können, dass es eine Alternative für sie gibt.
Aber derzeit wählen viele Arbeiter*innen Trump.
Ja, viele erzählen uns, dass sie Trump wählen. Diese Menschen werden wir
nicht alleine mit Gegenargumenten überzeugen. Wir müssen ihnen eine
konkrete Vision eines besseren Lebens aufzeigen, die sie selbst umsetzen
können.
Wir sprechen die ganze Zeit über linkes „Organizing“. Können die Rechten
diese Techniken nicht genauso anwenden?
Das tun sie doch bereits! Die NRA, die National Rifle Organization, hat die
Menschen organisiert, die Donald Trump gewählt haben. Das ist komplett
unter dem Radar der Demokraten abgelaufen, weil sie keine Ahnung vom
Organisieren haben. Die Rechten haben genau das gemacht, was ich predige:
Sie sind strategisch vorgegangen und sie haben einen genauen Plan verfolgt.
Die Demokraten haben Top-Leute eingestellt, um für Hillary Clintons
Wahlkampf zu mobilisieren, währenddessen hat die NRA wirklich Menschen
organisiert. Wenn die NRA ihre jährliche Konferenz abhält, kommen über eine
Million Menschen. Welche linke Organisation kann das von sich behaupten?
Nur die Methoden der Rechten unterscheiden sich von unseren: Sie vereinen
nicht gegen den Chef, sondern sie spalten, zum Beispiel gegen
Migrant*innen, gegen Frauen, die keine Hausfrauen sind. Aber das machen sie
sehr effektiv. Und wenn ich sehe, wie jetzt der nächste
Präsidentschaftswahlkampf losgeht, wird es sich wahrscheinlich genauso
wiederholen, weil die Medien und die Demokraten seit 2016 nichts gelernt
haben.
17 Mar 2019
## LINKS
[1] /Fridays-for-Future/!5576668
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## AUTOREN
Nina Scholz
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