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# taz.de -- Engagement: Neue soziale Bündnisse in Berlin
> Die einen gründen engagierte Firmen, die andern machen Community
> Organizing: Beim Netzwerken für eine schlagkräftige Zivilgesellschaft
> schauen immer mehr Akteure ins Ausland. Zwei Beispiele
Bild: Füreinander da sein - auch in kalten Zeiten.
Schon die Überschrift macht neugierig. "Was Obama kann, kann Berlin auch",
lautet der Titel der Presseeinladung, die die Organisatoren der
Bürgerplattform Wedding/Moabit verschickten. Was sie am Freitag dann
vorstellten, blieb nicht hinter den Erwartungen zurück: In beiden
Stadtteilen haben sich über 40 Gruppen, darunter Moschee- und Kiezvereine,
Kirchengemeinden und Kitas, zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie die
Politik im Kiez verändern. Damit entsteht "die bislang größte
Bürgerplattform in Deutschland", sagt Leo Penta, Professor an der
Katholischen Fachhochschule für Sozialwesen Berlin.
Vorbild für das neue soziale Bündnis ist das "Community Organizing", das in
den USA schon lange praktiziert wird. Auch Barack Obama hat vor seiner
politischen Karriere als Community Organizer in Chicago gearbeitet. Diese
Rolle nimmt in Wedding und Moabit die Politologin Susanne Sander ein: Sie
koordinierte in den vergangenen zwei Jahren den Aufbau des Netzwerks.
"Mich hat die Benachteiligung von Migranten in der Bildung sehr geprägt",
berichtet zum Beispiel der türkischstämmige Suat Özkan. Idongesit Akpan von
der Jesus Miracle Harvest Church, der nigerianischer Herkunft ist, erzählt
von alltäglicher Diskriminierung: "Bei der Polizei wollte mir niemand die
Hand schütteln." Kennenlernen und sich austauschen - das war der Anfang
beim Community Organizing in Moabit und Wedding.
Erst im Gespräch haben die Vertreter der Plattform festgestellt, dass ihre
Probleme oft die gleichen seien. Vor allem bei der Bildung und im
öffentlichen Raum könnte viel verbessert werden, glauben sie. Was genau sie
sich vorstellen, wollen sie aber erst bei der offiziellen Gründung der
Plattform am 25. November bekanntgeben.
Unterdessen beraten Susanne Sander und Leo Penta die Bürger. Der Professor
betont, dass sie sich nicht mit schönen Worten und ein paar sozialen
Veranstaltungen zufrieden geben werden. "Uns geht es um harte politische
Forderungen."
Er selbst stammt aus den USA und hat Erfahrung im Geschäft. Schon vor 30
Jahren arbeitete er als Community Organizer in New York. "Wir haben in
Brooklyn dafür gesorgt, dass 5.000 Häuser gebaut wurden, die auch für
Ärmere erschwinglich waren." Um so etwas durchzusetzen, sei es wichtig, für
die Politik ein Gegenüber darzustellen. "Die Bürgerplattform gibt Wedding
und Moabit eine Stimme."
Keine Frage: Um der Verwaltung auf Augenhöhe begegnen zu können, müssen
sich die Gruppen und Vereine mit Argumenten wappnen. Sander und Penta
helfen ihnen, an die notwendigen Informationen zu kommen, beispielsweise
über die Strukturen und Finanzen im Bezirk. Die Plattform selbst trägt sich
durch Spenden aus der Wirtschaft, von Stiftungen und über
Mitgliedsbeiträge. Der Jahresetat liegt bei knapp 100.000 Euro.
Wie heterogen die Bürgerplattform tatsächlich ist, wird deutlich, wenn die
einzelnen Mitglieder über ihr Anliegen sprechen. Rentner Manfred Kunth von
der Weddinger Stadtmission packte beim Pressetermin plötzlich einen Bohrer
aus. "Wir bohren etwas auf", verkündete er stolz.
Die türkischstämmige Azize Karagülle mag es lieber ein bisschen blumig: "
Wir arbeiten zusammen wie die Ameisen. Und wie die Bienen versüßen wir das
bittere Leben."
Gipfel sozialer Unternehmen
Berlin soll zum Zentrum eines neuen Unternehmergeistes werden. So wollen es
zumindest die Veranstalter des zweiten "Vision Summit", dem "Gipfel der
sozialen Unternehmer", der heute und morgen an der Freien Universität
stattfindet. Manager, Geschäftsführer und Projektleiter aus aller Welt
werden dabei über "Firmen der neuen Art" nach dem Modell des
Friedensnobelpreisträgers Mohamad Yunus aus Bangladesch diskutieren.
Yunus ist mit der Idee der Mikrokredite für Ärmste in der Landwirtschaft
berühmt geworden. Im vergangenen Jahr hat er das Prinzip des "Social
Business" ins Leben gerufen. Demnach sollen weltweit Unternehmen gegründet
werden, die nicht nach Rendite streben, sondern gesellschaftliche Probleme
lösen und sozialen Nutzen erwirtschaften.
Der Veranstalter Peter Spiegel, Leiter des Genesis-Instituts, will mit der
Konferenz mittelständische Unternehmen und Konzerne dazu anregen, "statt
Charity ihr eigenes Social Business zu gründen". Gleichzeitig verspricht
er, "klassischen Hilfsprojekten zu helfen, wirtschaftlich zu arbeiten und
sich unabhängig von Staat und Spenden zu machen". Auf der Konferenz wird
Yunus sein Konzept des Social Business vorstellen. Zudem sind Workshops mit
erfolgreichen Sozialunternehmen aus Deutschland, Indien, Brasilien und dem
afrikanischen Kontinent geplant.
Friedrich Kiesinger, Geschäftsführer der Pegasus GmbH, ist einer der
Unternehmer, der seine Firma auf der Konferenz vorstellen wird. Kiesinger
arbeitet als Psychotherapeut mit behinderten und psychisch kranken Menschen
in Berlin und verfolgt unter anderem das Ziel, diese in den ersten
Arbeitsmarkt zu integrieren. Seine Firma beschäftigt inzwischen mehr als
100 Angestellte. "Wir versuchen, nicht nur gemeinnützig, sondern auch
wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten." Vereine dürften sich seiner
Ansicht nach nicht in ihrem geschützten und subventionierten Biotop
ausruhen, sondern müssten den Schritt in die Gesellschaft und
Wirtschaftlichkeit gehen.
Berlin und die FU sollen auch nach dem "Vision Summit" das Zentrum der
wissenschaftlichen Begleitung dieser sogenannten Entrepreneure und
Sozialunternehmen werden. Yunus hat Spiegel zufolge Berlin zum "Hauptort
seiner Aktivitäten" erkoren.
"Das ist eine riesige Chance für die FU in ihrer Rolle als
Gründeruniversität", sagt Günter Faltin von der Stiftung Entrepreneurship
an der FU. Angebote aus den USA habe Yunus abgelehnt, erzählt Faltin,
vielmehr habe er sich für Berlin entschieden. Schließlich stehe die Stadt
mit dem Mauerfall für einen friedlichen Übergang von einem System in ein
neues.
In einer Art Kreativlabor sollen Gründer künftig in Berlin gemeinsam mit
Yunus ihre Unternehmen planen und aufbauen können. "Wir haben hier in
Berlin die Gelegenheit, sein spezielles Knowhow zu nutzen", sagt Spiegel.
Außerdem versucht das "Grameen Creative lab", das Modell der Kleinkredite
auf Deutschland zu übertragen.
Die Konferenz scheint einen Nerv zu treffen. Von mehr als 1.000 Anmeldungen
spricht Spiegel. "Wir sind total überbucht." Auch stünden "namhafte
DAX-Unternehmen an der Startlinie" für Gemeinschaftsunternehmen mit Yunus.
Spiegel erklärt das große Interesse mit der wachsenden Erkenntnis, dass es
bisher keine Märkte für die Ärmsten der Welt gibt, obwohl diese zwei
Drittel der Menschheit ausmachten. "Es ist klar, dass sich diese Märkte
entwickeln werden und Konzerne wissen müssen, wie diese Märkte
funktionieren."
Die derzeitige Finanzkrise tut ihr Übriges: Immer mehr Geldgeber wollten
"in etwas Sinnvolles investieren, wo sie sich wenigstens darauf verlassen
können, dass ihr Geld nicht verloren geht", sagt Spiegel.
Der [1][2. Vision Summit] findet am 1. und 2. November im Henry-Ford-Bau
(Garystraße 35-37) der FU statt.
1 Nov 2008
## LINKS
[1] http://www.visionsummit.org/
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
Grit Weirauch
## TAGS
Selbsthilfe
Jane McAlevey
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