# taz.de -- Wahlkampf an der Haustür: Wenn der Politiker zweimal klingelt | |
> In den USA ist der Haustürwahlkampf gang und gäbe. Auch hierzulande gehen | |
> Kandidaten direkt zu den Wählern und stellen sich ihnen vor. | |
Bild: Für den Wahlkämpfer ist es immer wieder spannend, wer einem gegenübers… | |
BERLIN taz | Es klingelt an der Tür. Wer steht davor? Nicht der Paketbote, | |
sondern die Kandidatin für den Bundestag. Sie will sich persönlich | |
vorstellen, eine Wahlkampfzeitung überbringen und – oh Schreck – fragen, wo | |
der Schuh drückt. | |
Zur Bundestagswahl am 24. September ist es nicht mehr weit. Dafür setzen | |
die Parteien jetzt verstärkt auf den Haustürwahlkampf, eine Form der | |
Wählermobilisierung, die in den USA gang und gäbe ist. | |
Aber bringt es wirklich etwas, die Menschen an der Türschwelle zu | |
überfallen? Doch, doch, meint Thorsten Faas von der Universität Mainz. „Mit | |
diesen aufsuchenden Verfahren kann man erfolgreich Leute mobilisieren.“ Der | |
Lehrstuhlinhaber für Empirische Politikforschung hat 2014 vor der Mainzer | |
Kommunalwahl seine Mitarbeiter als WahlkämpferInnen an über 10.000 | |
Haustüren geschickt, um die Wirksamkeit dieses Wahlkampfmittels zu | |
erforschen. | |
Mühsam war es schon: Zwei von drei Türen blieben geschlossen, etwa fünf | |
Prozent der Beklingelten schlugen den Feldforschern die Tür vor der Nase | |
wieder zu. Doch in 30 Prozent der Fälle konnte die Botschaft überbracht | |
werden. Später befragt, erinnerten sich 12 Prozent sogar an die Gäste mit | |
den Flyern, über die Hälfte von ihnen positiv. | |
Das amtliche Wahlergebnis bestätigte: Direkte Gespräche haben tatsächlich | |
einen mobilisierenden Effekt, gerade bei jenen, die sonst nicht zur Wahl | |
gehen. Die Wahlbeteiligung in den Stimmbezirken mit Haustürwahlkampf stieg | |
um zwei bis drei Prozentpunkte. Da „steht die Politik plötzlich vor der | |
Haustür“, berichtet Faas, und so ließen die Leute sich mobilisieren. | |
Das zeigten auch Studien vor allem aus den USA sehr deutlich. | |
„Einschränkend muss man allerdings sagen, dass die Wirkungsstudien sich vor | |
allem auf die Steigerung der Wahlbeteiligung beziehen“, sagt der | |
Politikwissenschaftler. „Inwieweit sich auch Parteianteile erfolgreich | |
steigern lassen, das ist weniger gut erforscht.“ | |
Die Parteien lassen sich davon nicht beirren. Schon 2013 zogen SPD und | |
Grüne vor der Bundestagswahl von Tür-zu-Tür, jetzt spornen auch CDU und | |
Linkspartei in großem Stil ihre Fußtrupps an. Neu ist, dass die analoge | |
Ansprache viel stärker mit digitalen und datenbasierten Strategien | |
verknüpft wird. Apps liefern Hinweise darauf, wo potentielle Wähler wohnen | |
und generieren wiederum neue Daten, um die Suche für weitere Wahlen zu | |
verfeinern. | |
Die taz stellt hier die Strategien von vier Parteien vor. Die FDP setze | |
nicht auf Haustürwahlkämpfe, ließ sie wissen. Die AfD hat die Anfrage der | |
taz nicht beantwortet. | |
## | |
## CDU – Ein Anruf von Frau Merkel | |
Konzept: Im Saarland hat es geklappt und in Schleswig-Holstein ebenfalls. | |
In beiden Wahlkämpfen setzte die CDU massiv auf die „Zeugen | |
Jehovas“-Methode: klingeln, lächeln und Botschaft überbringen. Der | |
Haustürwahlkampf soll auch bei der Bundestagswahl eine wichtige Rolle | |
spielen. „Wir empfehlen es den Kreisverbänden als Service, und im Moment | |
sieht es so aus, als ob ein großer Teil von ihnen mitmachen würde“, sagt | |
Stefan Hennewig, Bereichsleiter für Kampagnen und Marketing im | |
Konrad-Adenauer-Haus, der das Konzept seit eineinhalb Jahren mit | |
vorbereitet. Die Christdemokraten haben sich auch Kampagnen in anderen | |
Ländern angeschaut, etwa in Norwegen und Holland. | |
Die CDU verbindet den Wahlkampf mit Social Media und spielerischen | |
Elementen: Der Haustürwahl wird über eine App gesteuert und gleicht einem | |
Real-Life-Game, bei dem man sich von Level zu Level arbeitet: vom Neuling | |
über den Wahlkampfhelden. Jede geklopfte Tür, jede geteilte Botschaft | |
bringt Punkte. Wer beispielsweise mindestens 60 Haustüren schafft, erhält | |
die Trophäe „Hans Dampf in allen Gassen“, wer zehn Unterstützer gewinnt | |
wird zum „Überzeuger“. Die zehn besten Wahlkämpfer bekommen einen Anruf v… | |
der Kanzlerin. | |
Zielgruppe: „Wir gehen dahin, wo wir gut sind“, sagt Hennewig. Das heißt, | |
die CDU konzentriert sich auf ihre Hochburgen. Welche das sind, soll durch | |
die App noch klarer werden, auf der man die Einstellung der Bewohner zur | |
CDU mit einem Smiley bewerten kann. | |
Erwartungen: Der Haustürwahlkampf sei eines von mehreren Standbeinen, meint | |
Hennewig. | |
Budget: Für den gesamten Wahlkampf hat die Partei ein Budget von 20 | |
Millionen Euro zur Verfügung | |
App: Connect17 heißt die Wahlkampf-App der CDU, die man über den Appstore | |
oder GooglePlay runterladen kann. | |
## Die Grünen – Seit jeher gern persönlich | |
Konzept: „Katrin und Cem machen das total gern“, lobt Michael Kellner. Der | |
Bundesgeschäftsführer der Grünen ist auch der Kopf hinter dem | |
Haustürwahlkampf. Er wirft sich und die beiden Spitzenkandidaten Katrin | |
Göring-Eckardt und Cem Özdemir regelmäßig in den Straßenwahlkampf. Damit | |
setzen die Grünen Maßstäbe – nicht nur basisdemokratisch, sondern auch | |
unterhaltungstechnisch. Der „heute show“-Beitrag zum Grünen | |
Haustürwahlkampf wurde im Netz 150.000 Mal angeklickt. | |
Generell setzen die Grünen seit jeher auf persönliche Ansprache – vor | |
Karstadt oder auch vor der Wohnung. Schon 2013 spielte der | |
Tür-zu-Tür-Wahlkampf eine Rolle, jetzt soll er noch ausgebaut werden: Von | |
den 428 Grünen Kreisverbänden machen nach Auskunft Kellners 175 mit beim | |
Haustürwahlkampf. Ein bisschen Kitzel muss auch sein: Für den Kreisverband, | |
der die meisten Haustüren erreicht, soll es einen Preis geben. | |
Zielgruppe: Die Grünen gehen in Wahlbezirke mit niedriger Wahlbeteiligung, | |
wo die Partei bisher gute Ergebnisse erzielt hat. Sprich: dorthin, wo noch | |
Potentiale lauern. Ein selbst gebastelter Wahlatlas soll helfen, die | |
ertragreichsten Gegenden zu finden. „Wenn ihr mehr mit Grünen gesprochen | |
habt als mit anderen Menschen, habt ihr was falsch gemacht“, lautet | |
Kellners Parole. | |
Zum Auftakt am 15. Juli wagten sich die Grünen sogar in den Ostberliner | |
Bezirk Lichtenberg vor, in dem sehr viele ehemalige SED-Mitglieder leben | |
und die Linkspartei traditionell stark ist. | |
Die grünen Wahlkampftrupps durchmaßen diese Straßenzüge allerdings zügig �… | |
um sich dann der Townhouse- und Baugruppengegend am Spreeufer zuzuwenden. | |
Erwartungen: Der Haustürwahlkampf sei ein wichtiges Mittel, aber kein | |
Heilsversprechen, sagt Kellner. | |
Budget: Für den gesamten Wahlkampf hat die Parteizentrale 5,5 Millionen | |
Euro freigegeben. | |
Online: Die Grünen basteln gerade an einer eigenen App. | |
## Die Linke – Reden und ermutigen | |
Konzept: „Unsere Gespräche gehen länger“, sagt Anne Steckner, die in der | |
Berliner Parteizentrale der Linkspartei im Bereich Strategie und | |
Grundsatzfragen arbeitet, über den Unterschied zwischen ihrer | |
Tür-zu-Tür-Kampagne und der anderer Parteien. „Wir wollen mit den Leuten | |
reden, über das was ihnen wichtig ist, über soziale Probleme.“ Die | |
Linkspartei wolle nicht nur Stimmen gewinnen, sondern die Wähler ermutigen, | |
gemeinsam etwas zu verändern – auch nach der Wahl. Die Haustürwahlkämpfer | |
sind daher meist mit Flyern bewaffnet, die zum Mieterfrühstück oder zu | |
Arbeitslosentreffs einladen, welche von der Partei selbst oder | |
nahestehenden Bewegungen organisiert werden. | |
Das Konzept beruht auf dem sogenannten Organizing-Ansatz, den etwa die | |
Working Families Party in den USA praktiziert. Die linke US-Kleinstpartei | |
setzt sich unter anderem für Mindestlohn, Reichensteuer und staatlich | |
finanzierte Bildung ein und hat bei der Präsidentschaftswahl 2016 Bernie | |
Sanders unterstützt. Damals entsandte die Linke eine Delegation in die USA, | |
die sich dort von der Working Families Party schulen ließ. | |
Mittlerweile bildet die Linke eigene Tür-zu-Tür-Anleiter aus. Das Ziel: | |
Zahlreiche Kreisverbände und Sympathisanten sollen im Bundestagswahlkampf | |
an die Türen klopften, so Steckner. Eine Belohnung ist nicht ausgesetzt. | |
Die Linke setzt darauf, dass ihre Mitglieder auch so motiviert genug sind. | |
Zielgruppe: Die Haustürwahlkämpfer konzentrieren sich auf ihre Hochburgen, | |
oft Wahlbezirke, in denen die Menschen weniger Geld haben – und weniger | |
Lust, zur Wahl zu gehen. „Oft sind das auch Viertel, wo sonst keiner | |
hingeht“, sagt Steckner. | |
Erwartung: Der Haustürwahlkampf ist ein wichtiges Element der offiziellen | |
Wahlkampfstrategie und soll der Partei helfen ein zweistelliges Ergebnis zu | |
erreichen. | |
Budget: Für den gesamten Wahlkampf stehen 6,5 Millionen Euro zur Verfügung. | |
App: Keine | |
## SPD – Nicht zur Sportschau | |
Konzept: „Lächeln! Wenn wir freundlich zu den Menschen sind, sind sie es | |
auch zu uns.“ So steht es in einem Leitfaden der SPD für den | |
Tür-zu-Tür-Wahlkampf zur Bundestagswahl. Die Sozialdemokraten möchten | |
möglichst viele Menschen direkt erreichen, der Haustürwahlkampf ist da ein | |
zentrales Mittel. Mittelfristig soll er den Stehtisch mit Schirm in der | |
Fußgängerzone ersetzen. | |
Im Leitfaden bedeutet dies: Tempo. „Hausbesuche sind keine | |
Gesprächstherapie und oft nach 60 Sekunden beendet.“ Die Wahlkämpfer sollen | |
an den Türen drei Fragen stellen, etwa „Wie sicher wählen Sie die SPD?“ u… | |
sich dann mit einem Dankeschön verabschieden. Schon vor vier Jahren haben | |
die FoMS (Fans of Martin Schulz), die damals noch anders hießen, das | |
Tür-zu-Tür-Geschäft betrieben und an fast 5 Millionen Wohnungen geklingelt. | |
In diesem Jahr wissen sie dank interaktiver Karten noch besser, in welcher | |
Nachbarschaft es sich zu klingeln lohnt. Die Daten hat ein eigenes | |
Analyseteam anhand von Wahlergebnissen und sozioökonomischen Daten wie | |
Einkommen, Bildungsstand zusammengetragen. | |
Wie bei der CDU wird es auch bei den Sozialdemokraten Gamification-Elemente | |
geben, die Belohnung winkt allerdings nicht erst am Ende sondern schon mal | |
zwischendurch: Wahlkämpfer, die sich in den Gold-Status vorkämpfen, | |
erhalten etwa einen Anruf von Ralf Stegner. Außerdem werden auch | |
Teamleistungen belohnt. | |
Die SPD setzt also ganz auf den Wahlkampf 4.0. Damit das klappt, haben sich | |
aber auch ein paar altmodische „dont’s“ in den Leitfaden geschrieben. Nic… | |
machen: „während der Tages- oder Sportschau von Tür-zu-Tür gehen“. | |
Zielgruppe: Die SPD will sich gezielt an Menschen wenden, von denen sie | |
annimmt, dass sie SPD wählen könnten – also keine gestandenen Genossen an | |
die Wahl erinnern, sondern noch unentschlossene Wähler mobilisieren. | |
Erwartungen: Martin Schulz wird Kanzler. Ob das klappt, ist ungewiss. Aber | |
ohne Haustürwahlkampf klappe es wohl nicht, heißt es aus der | |
Parteizentrale. | |
Budget: Für den gesamten Wahlkampf rund 24 Millionen Euro. | |
App: Die SPD-App heißt tzt.spd.de. Um sie herunterzuladen muss man sich als | |
Unterstützer registrieren. Mit der App lassen sich Reaktionen auf den | |
Haustürwahlkampf speichern, die als Basis für weitere Wahlkämpfe dienen. | |
6 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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