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# taz.de -- Theaterstück von Fiston Mwanza Mujila: Schlaflos in Fucking
> Das Wiener Akademietheater zeigt „Zu der Zeit der Königinmutter“ von
> Fiston Mwanza Mujila. Dem Original wird die Inszenierung nicht gerecht.
Bild: Schauspielerin Gertraud Jesserer sitzt viel auf einem Lautsprecher herum …
In der New-Jersey-Bar erinnert man sich kaum noch, was „Zu der Zeit der
Königinmutter“ geschah. Ein vergesslicher Ort neuer Mythen, die überall
dort entstehen, wo Gier Berge versetzt, um an deren Reichtümer zu gelangen.
Ihre Nächte verbreiten die Gerüche von Männern und Frauen, von Schweiß und
anderen Körperflüssigkeiten, feiern die Euphorie gesellschaftlicher
Disruption, die die Ungleichen für einen Moment gleich empfinden lässt,
bevor sie in neue Machtverhältnisse wieder erkaltet.
Hier blenden sich Goldgräber am Glanz dessen, was ihnen durch die Finger
rinnt, und feiern die Glücksritter aller Länder kurze Ekstasen ihres
Unglücks. Die Bar ist ein Unort der „einen Welt“ und Fiston Mwanza Mujila
der spannende literarische Chronist ihrer Gegenwart. Der im Kongo geborene
und in Österreich lebende und bislang französisch schreibende Autor kam
2009 für ein Jahr als Stadtschreiber nach Graz, ist geblieben und lehrt
dort mittlerweile [1][afrikanische Literatur].
Seit 2015 gewinnt sein Debütroman „Tram 83“ fortgesetzt Preise. Er spielt
im Kongo und orchestriert die Widersprüche eines Landes, das in den
[2][globalen wirtschaftlichen Verflechtungen] am Reichtum seiner
Bodenschätze arm geworden ist, in den Dialogfetzen, Stimmen und Klängen von
ein paar Nachtclubnächten. Mujila erhört Unerhörtes, schreibt am Jazz
geschult filigrane Sprachkompositionen, feiert darin expressiv die Abgründe
wie die Selbstermächtigungspotenziale globaler gesellschaftlicher
Umwälzungen.
Für die Produktion am Akademietheater schreibt Mujila erstmals auf Deutsch.
Es ist eine Aneignung, die in der Lektüre Genuss verspricht. Seine Sätze
scheinen die deutschen Silben wie fremde merkwürdige Früchte kauen und
schmecken zu wollen. Die schnarrenden Konsonanten, die zu Umlauten
gedehnten Selbstlaute und aberwitzigen Substantivierungsauftürmungen des
Deutschen werden für den, der als Schriftsteller wie ein Musiker schreibt,
zum wandlungsfähigen Instrument, das seinen HörerInnen die eigene Sprache
vertraut fremd klingen lässt.
## Eine Welt ohne Grenzen
Seine Literatur ist ortlos und polyzentrisch zugleich. Metropolen von Prag
bis Tokio, verwunschene Nester von Fucking/Oberösterreich,
Lederhose/Thüringen bis zu einem von Minen durchfurchten Ort in Katanga
sind dem Text gleich weit entfernt. Die Welt teilt sich nicht mehr in Ost
und West oder Nord und Süd, sondern zwischen denen, die Grenzen
überschreiten dürfen, und denen, die es müssen.
Philipp Hauß hat Mujilas Stück für die Bühne eingerichtet. Katrin Brack hat
für seinen „Mahagonny“-haften Topos einen Raum entwickelt, der die Fantasie
für seine Atmosphäre allein über Vorhänge in verschiedenen Farbwerten
steuert. Jazz ist Pflicht. Auf der Bühne kommentiert ein Trio aus
Schlagzeug, Gitarre und Saxofon das Geschehen (Patrick Dunst, Christian
Pollheimer, Elena Todorova).
Sven Dolinki und Simon Jessen geben zwei Nachtclubschönheiten ohne Auftrag
in Gardinenfummeln und Puffmutterpantoffeln. Mirco Kreibich agiert in
energischem Storytelling. Gertraud Jesserer, die „kleine Gertraud“, die zum
Ende hin aufklärt, was es mit der Königinmutter tatsächlich auf sich hat,
hockt lange hoch oben auf einer nicht angeschlossenen Bassbox.
## Literatur auf der Bühne
In Markus Hering findet Mujila tatsächlich einen Komplizen, der sich seine
Gourmandisen der Sprache intensiv schmeckend einverleibt und in ihrer
filigranen Konstruktion virtuos auf- und niederklettert. Gertraud Jesserer
bildet im unterspannten Wegschleudern der Sätze einen interessanten
Kontrapunkt. Ansonsten organisiert Hauß Mujilas feine Polyphonie recht
einförmig nach vorne.
Vielleicht ist das doch nicht „Schauspielerfutter“, mit dem man an der
Rampe brilliert. Und wo sind eigentlich die Frauen, die unterdrückt und
ausgebeutet im falschen Licht der New-Jersey-Bar dennoch zu Königinnen
werden? Wieder einmal hat das Theater auf seinem Prokrustesbett ein
literarisches Talent hübsch eingespannt.
27 Feb 2019
## LINKS
[1] /Autorin-ueber-afrikanische-Literatur/!5452682
[2] /Studie-der-Gates-Stiftung-ueber-Armut/!5536953
## AUTOREN
Uwe Mattheiß
## TAGS
Theater
Kongo
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
Literatur
Rezension
Literatur
Kongo-Tribunal
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