# taz.de -- Debatte Missbrauch in der Kirche: Knietief im Schlamm | |
> Die katholische Kirche weiß nicht, wie sie mit den vielen | |
> Missbrauchsfällen fertig werden soll. Der Staat muss ihr helfen. | |
Bild: Der Staat kann und muss das Parallelsystem Kirche unter seine Gewalt brin… | |
Als ich im Fernsehen sah, wie grün gewandete Bischöfe im Vatikan einen | |
„Bußgottesdienst“ für kirchliche Missbrauchsopfer abhielten, | |
unpassenderweise im prunküberladenen Apostolischen Palast, musste ich an | |
meine eigene Firmung denken. Unser Dorfpfarrer, ein jovialer, dem Alkohol | |
zugeneigter Mann, hatte für seine Predigt ein volksnahes Sprachbild | |
gewählt. Das heilige Sakrament der Kirche sei wie der Beton beim Hausbau, | |
er härte quasi aus, was sonst nur amorphe Masse bliebe: „Ohne das feste | |
Fundament unseres Glaubens, da hätten wir nur einen Baaz!“, rief er. | |
Der urbayerische Ausdruck für „Schlamm/Dreck“ erheiterte die Gemeinde, doch | |
der Mann sollte recht behalten: Nach unzähligen Skandalen, in deren | |
Mittelpunkt Kinder missbrauchende Kleriker standen, nach dem von Papst | |
Franziskus einberufenen Missbrauchsgipfel, bei dem die Opfer draußen vor | |
der Tür bleiben mussten, steht die katholische Kirche da wie eine von | |
Wellen umleckte Sandburg: matschig und erbärmlich. Ein Haufen Baaz, dem das | |
innere (Moral-)Gerüst abhandengekommen ist. | |
Man könnte auch sagen: Der Schlamm, der Dreck der eigenen Verfehlungen | |
läuft der Kirche aus allen Ritzen. Jahrzehntelang hat man Türen und Fenster | |
von innen zugedrückt. Verschweigen und vertuschen, das war bislang die | |
vorherrschende Strategie der Kirchen (auch der evangelischen) im Umgang mit | |
Kindesmissbrauch. | |
Doch die Mauern des Schweigens halten nicht mehr dicht. Unter dem Druck der | |
Öffentlichkeit hat die Deutsche Bischofskonferenz im Herbst 2018 [1][eine | |
Studie zu Kindesmissbrauch im kirchlichen Rahmen] in Auftrag gegeben. Die | |
Ergebnisse waren verheerend: 3.677 Fälle wurden dokumentiert, die | |
Dunkelziffer dürfte sehr viel höher sein, zumal die beteiligten | |
Wissenschaftler keinen direkten Zugang zu Kirchenakten bekamen. Am | |
schlimmsten aber wog der Befund, dass die klerikalen Strukturen den | |
perfekten Rahmen für organisierten Kindesmissbrauch bieten. Aus einem | |
stetig tröpfelnden Rinnsal ist eine Schlammlawine geworden, die droht das | |
ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen. | |
Wie schwach die ehemals mächtigste Organisation der Welt geworden ist, | |
[2][hat sich in Rom offenbart]. Nach vielen, bestimmt auch ehrlich | |
gemeinten Worten der Bestürzung und Reue, denen eine merkwürdig vage Rede | |
des Papstes folgte, nach dem hilflosen Auftritt des Missbrauchsbeauftragten | |
der Deutschen Bischofskonferenz Ackermann in der Sonntagabendtalksendung | |
„Anne Will“, ist klar geworden: Die Kirche schafft es nicht alleine. | |
## Willkürherrschaft kleiner Despoten | |
Sie ist nicht imstande, mit dem Unrat, der jetzt ins Freie quillt, fertig | |
zu werden. Was jetzt ans Tageslicht gekommen ist, ist auch für die, die es | |
lange nicht sehen wollten, einfach zu viel: die Willkürherrschaft von | |
Klerikern, die in ihren Gemeinden herrschen wie kleine Despoten. Ganze | |
Schulen und Pfarreien, in denen Auswüchse von Sadismus, Gewalt und | |
Perversion gedeihen. Alles geduldet vom gutgläubigen Kirchenvolk und | |
vertuscht oder gedeckt von Kirchenoberen, denen der Schutz der Institution | |
wichtiger ist als das Leid der Opfer. So viel Verantwortungslosigkeit, | |
Feigheit und Niedertracht – das kann nicht mal mehr der Papst in Ordnung | |
bringen. | |
Dieser Papst, das muss auch gesagt werden, ist der erste überhaupt, der | |
sich mit dem Thema sexueller Missbrauch auseinandersetzt. Dass er diesen | |
viertägigen Gipfel in Rom einberufen hat, zeigt sein Engagement in der | |
Sache. Auch wenn viele BeobachterInnen sich konkretere Ergebnisse erhofft | |
haben, ist es allein schon ein mächtiges Signal, wenn sich die Obersten der | |
Weltkirche zusammensetzen, um offen über Verbrechen ihrer Kirche an Kindern | |
und Jugendlichen zu sprechen. Das Eingeständnis, dass nicht nur | |
vereinzelte, sondern sogar viele Männer Gottes in sämtlichen Ecken der Welt | |
ihre Macht ausnutzen, um an den jüngsten der ihnen Anvertrauten Verbrechen | |
zu begehen, ist mutig, denn es ist schmerzhaft, es trifft die Kirche in | |
ihrem Fundament. Und wenn der Papst in seiner Rede hartes Durchgreifen und | |
ein Ende der Vertuschung ankündigt, so ist das durchaus ein Wink an die | |
Täter. | |
Mehr als das kann man von dieser Kirche aber auch nicht erwarten. Noch | |
immer nicht. In derselben Rede wies Papst Franziskus nämlich auch gleich | |
darauf hin, dass Kindesmissbrauch überall vorkomme. Die Taten in der Kirche | |
verglich er mit Menschenopfern bei heidnischen Ritualen. Was so viel heißt | |
wie: „Wer missbraucht, handelt nicht christlich, so etwas gehört nicht zu | |
uns.“ | |
Abwiegeln und wegschieben – über diese Strategien kommt die Kirche beim | |
Kindesmissbrauch anscheinend nicht heraus. Aber das reicht nicht mehr. Es | |
muss jetzt endlich, nach vielen Jahren der Selbsterforschung und | |
Reuebekundungen, auch mal etwas passieren. Die vielen Missbrauchsopfer | |
haben ein Recht darauf. Da reicht es nicht, darauf hinzuweisen, dass | |
grundlegende Reformen eben ihre Zeit bräuchten, wie Bischof Ackermann das | |
getan hat. | |
## „Wie eine liebende Mutter“ | |
Im Kirchenrecht ist eigentlich schon heute alles enthalten, was es braucht, | |
Täter und Mittäter zur Verantwortung zu ziehen. Das Problem ist nur, dass | |
die Vorschriften zu ungenau sind. Seit den 1980er Jahren basteln | |
Kirchenrechtler an einer großen Reform. So ist man gerade dabei, sich vom | |
Credo der 1980er Jahre abzuwenden, wonach Strafen unzeitgemäß seien. Und | |
man ist auch noch dabei, auf ein „Vademecum“ des Papstes zu warten, eine | |
Anweisung von oben, wie die schon vor Jahren beschlossenen | |
Kinderschutzlinien in der Praxis anzuwenden sind. Dies gilt auch für den | |
2016 veröffentlichten päpstlichen Erlass namens „Wie eine liebende Mutter�… | |
der es ermöglicht, Bischöfe, die bei Missbrauchsverdacht nicht reagiert | |
oder Fälle vertuscht haben, abzusetzen. Bis heute fehlen dazu | |
Ausführungsbestimmungen. So lange greift der eine Generalvikar mit | |
Personalverantwortung dann eben hart durch – und der andere tut nichts. | |
Beide handeln im Einklang mit kirchlichen Gesetzen. | |
Wäre die Kirche ein Staat, so würde man hier von Schlamperei, wenn nicht | |
von Staatsversagen sprechen. Die Kirche ist aber kein Staat, sondern ein | |
Gebilde, das, zumindest in Deutschland, dem weltlichen Staat unterstellt | |
ist. Eigentlich. Trennung von Staat und Kirche, das wird nicht besonders | |
konsequent gehandhabt, siehe die staatliche Bezuschussung von Kirchenämtern | |
und Institutionen, siehe das Kirchenprivileg im öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunk, siehe kirchlicher Religionsunterricht an staatlichen Schulen, | |
siehe Einziehung der Kirchensteuer durch den Staat. | |
Aber Trennung von Staat und Kirche, das könnte auch heißen: Wo die Kirche | |
sich nicht aus eigener Kraft helfen kann, muss es der Staat tun. Er kann | |
der Kirche natürlich nicht dabei helfen, die eigene Sexualmoral auf den | |
Prüfstand zu stellen, die Diskriminierung von Frauen auf allen Ebenen zu | |
beenden oder den Zölibat abzuschaffen. Das sind Fragen, mit denen die | |
Kirche sich in gebotener Eile und Gründlichkeit selbst auseinandersetzen | |
muss, wenn sie nicht untergehen will. | |
## Staat muss bei Aufklärung mithelfen | |
Aber der Staat kann und muss das Parallelsystem Kirche unter seine Gewalt | |
bringen. Er muss, viel konsequenter als bisher, mithelfen, Tatbestände mit | |
dem Strafgesetzbuch aufzuklären. Denn es kann nicht sein, dass in einem | |
funktionierenden Rechtsstaat das Ermitteln der Täterorganisation überlassen | |
wird. Das führt dann, siehe schwammiges Kirchenrecht, dazu, dass der eine | |
Kinder missbrauchende Pfarrer entlassen wird und der andere versetzt wird | |
in die nächste Pfarrei – je nachdem, ob der zuständige Generalvikar | |
Kindesmissbrauch als schlimmes Vergehen oder lässliche Sünde ansieht. Doch | |
auch Pfarrer, Vikare und Bischöfe sind BürgerInnen dieses Staates und vor | |
dem Strafrecht sind alle gleich – das muss endlich und mit Entschiedenheit | |
auch für die Kirche gelten. Vor allem müssen die weltlichen | |
Strafverfolgungsbehörden sich Zugriff auf sämtliche Kirchenakten | |
verschaffen können, ohne Ausnahmen. | |
Wenn ein Bistum sich der Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden | |
besonders hartnäckig entzieht, könnte der Staat zum Beispiel die | |
Kirchensteuer einbehalten. Und das Geld für die Entschädigung und Therapie | |
von Betroffenen einsetzen. Diese sind bislang allein auf die Gnade der | |
Kirche angewiesen: Die katholische Kirche weigert sich, es Entschädigung zu | |
nennen, sondern lässt den Betroffenen per Scheck eine „Anerkennung des | |
Leids“ von durchschnittlich 5.000 Euro zukommen. Manchmal ist es mehr, | |
manchmal weniger, manchmal gar nichts – und vereinzelt werden an den Scheck | |
noch Schweigeklauseln angeheftet. Auch hier fehlen den | |
Kirchenverantwortlichen offensichtlich klare Vorgaben. Helfen wir ihnen mit | |
der Klarheit des Rechtsstaats aus ihrem Schlamassel! Damit sie sich um | |
dringlichere Aufgaben kümmern können: ihr Moralgerüst vom Schlamm zu | |
reinigen und wieder aufrecht vom Glauben predigen können. | |
Als mein Pfarrer übrigens damals mit unserer Firmpredigt fertig war, sah | |
ich, dass sich meine Banknachbarin vor Lachen bog: „Der soll mal nicht so | |
viel vom Baaz reden, wo er doch selbst dauernd reinfällt“, kicherte sie. | |
Unser Dorfpfarrer wurde nachts des Öfteren besoffen vom Wirt in der | |
Schubkarre heimtransportiert. Dem Vernehmen nach war er dabei öfter mal | |
höchst unwürdig in den Schlamm gekippt. Er wurde dann irgendwann versetzt. | |
2 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Nina Apin | |
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