# taz.de -- Debatte Fridays for Future: Aufgeben ist keine Option | |
> Der Aufstand der Jugend für den Klimaschutz ist ein kleines Wunder. Nun | |
> muss daraus eine politische Bewegung werden. So könnte es gehen. | |
Bild: Freitags bleibt das Klassenzimmer leer? | |
Diese jungen Leute! Tausende von Schülerinnen und Schülern, von | |
Studentinnen und Studenten gehen jeden Freitag für echten Klimaschutz auf | |
die Straße statt in die Schule oder zur Uni. Es ist ein Konflikt Wachsende | |
gegen Erwachsene. Weltweit protestiert ein lautstarker Teil der Jugend | |
dafür, dass die Generation ihrer Eltern und Großeltern endlich Ernst macht | |
mit den Sonntagsreden. Nach dem [1][Vorbild der 16-jährigen Schwedin Greta | |
Thunberg] treten sie in einen freitäglichen „Schulstreik fürs Klima“, bis… | |
ja, bis was passiert? Unsere Generation hat bei diesem Thema bisher | |
versagt. Trotzdem – oder deshalb – hier ein paar Hinweise. | |
Es ist gut, dass ihr viele seid. Und laut. Das unerwartete Auftauchen einer | |
globalen Bewegung junger Leute ist überraschend. Aber dann auch wieder | |
nicht. Denn es geht tatsächlich um eure Zukunft. Wer heute Politik macht, | |
ist 2050 nicht mehr auf der Erde, um die Effekte des Klimawandels zu | |
erleben. Ihr schon. Ihr bringt damit einen Aspekt ein, der in der | |
Klimapolitik noch nie wirklich ernst genommen wurde: direkte Betroffenheit. | |
Wer bisher schon konkret unter dem Klimawandel leidet, kommt von fernen | |
Südseeinseln. Ihr seid die Kinder und Enkel der Leute, die Entscheidungen | |
fällen (sollten). Und ihr macht deutlich, wie drängend das Problem ist. Das | |
delegieren eure Eltern und Großeltern gern an die nächste Generation – an | |
euch. Dass ihr diese Entscheidung schon jetzt in die Hände nehmen wollt, | |
hat sie überrascht. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. 1:0 für | |
euch. | |
Ihre Strategie: loben, ignorieren, vergessen. Wer sich mit euch | |
beschäftigt, redet kaum über euer Anliegen. Sondern darüber, [2][ob es | |
erlaubt ist, für eine gute Sache die Schule zu schwänzen]. Das machen alle | |
so, die keine Lösung oder ein schlechtes Gewissen haben. Beim | |
Klima„schutz“, wie wir ihn praktizieren, trifft beides zu. Wer euch bei | |
Twitter kritisiert, der sagt: „Geht zur Schule!“, oder: „Greta Thunberg h… | |
keine Ahnung“. Selbst zuständige Politiker wie Wirtschaftsminister Peter | |
Altmaier haben euch keine Lösung anzubieten. Außer abzuwarten und in | |
zwanzig oder dreißig Jahren den Laden zu übernehmen. Wenn sich, wenn ihr | |
nichts daran ändert, ist es zu spät. | |
Euer Problem: Was wollt ihr eigentlich? Darüber müsst ihr euch klar | |
werden, wenn eure Aktionen Erfolg haben sollen. Das Pariser Abkommen zum | |
Klimaschutz einzuhalten verspricht auch die Regierung. Was wollt ihr? | |
[3][Den Kohleausstieg früher als 2038]? Deutschland klimaneutral bis 2030? | |
Das sind große Ziele. Wenn ihr sie auch nur teilweise erreichen wollt, | |
müsst ihr Zwischenziele und Teillösungen definieren. Also etwa: den | |
Hambacher Wald retten (scheint ja geglückt). Sofort 6 statt erst einmal 3 | |
Gigawatt Braunkohle abschalten. Einen Mindestpreis für CO2 einführen. | |
Kerosin besteuern. Das ist nicht einfach, aber … | |
… Ihr könnt rechnen. Verbündet euch mit der Wissenschaft! Ihr wisst: | |
Weltweit müssen die CO2-Emissionen, die bislang immer nur gestiegen sind, | |
in zehn Jahren halbiert werden. Noch mal: In zehn Jahren! Halbiert! Für | |
junge Leute ist das eine Ewigkeit, in der viel passieren kann. Aber für | |
alte Leute wie uns vergehen zehn Jahre wie im Flug – und schon ist wieder | |
nichts passiert. Um diese und andere Relativitäten der Zeit zu begreifen, | |
habt ihr wunderbare Verbündete: die WissenschaftlerInnen. Sie sagen uns, wo | |
wir mit der CO2-Reduktion hinmüssen. Und sie zeigen auch, wie es gehen | |
kann. Es hört nur keiner auf sie. Das solltet ihr ändern. | |
Bisher wird wild gestreikt. Ihr müsst euch organisieren. Das klingt nach | |
Schulparlament und Elternbeirat, ist aber der einzige Weg, wenn ihr etwas | |
erreichen wollt. Die Gefahr ist groß, dass euch unsere Generation, die an | |
den Hebeln in Politik, Wirtschaft und Medien sitzt, einfach weglächelt. | |
Jetzt begeistern sich alle für euer Engagement. Spätestens nach den | |
nächsten Ferien, wenn eure Direktoren freitags wichtige Klassenarbeiten | |
ansetzen, wird diese Begeisterung bröckeln. Soziale Bewegungen mit einem | |
hohen Ideal, ohne Struktur und klare Forderungen laufen sich bald tot. | |
Fragt eure Eltern nach dem Schicksal von „[4][Occupy Wall Street]“, nach | |
„[5][Pulse of Europe]“ oder „[6][#NeverAgain]“, dem Aufstand der | |
US-SchülerInnen gegen die Waffengesetze nach den Massakern 2018. Sie haben | |
nichts verändert. | |
Ihr braucht eigene Strukturen. Oder ihr kapert die bestehenden. Wählt | |
Menschen, die für euch sprechen und eure konkreten Anliegen in die | |
Parlamente, Beiräte und Talkshows dieser Gremien-Demokratie tragen. Oder | |
ihr geht dahin, wo gesellschaftliche und politische Entscheidungen fallen: | |
in Parteien, Umweltverbände, Gewerkschaften, Kirchen. Und dann krempelt ihr | |
sie von innen um mit euren Forderungen, sich den Aufgaben der Zukunft zu | |
stellen. | |
Ihr seid etwas Neues. Lasst euch was einfallen! Bei den erfolgreichen | |
sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte in Deutschland könnt ihr euch | |
Ziele und Methoden nur teilweise abgucken. Die Friedensbewegung der 80er | |
Jahre wollte den Atomkrieg verhindern – sie wollte, dass etwas NICHT | |
passierte. Heute müsst ihr Dampf machen, dass sich praktisch ALLES | |
verändert: unser Gebrauch von Kohle, Öl und Gas für Heizung, Strom, | |
Transport und Ernährung. Und die 68er-Bewegung, die mit der direkten | |
Revolution gescheitert ist, machte sich über Jahrzehnte auf ihren „Marsch | |
durch die Institutionen“, um die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Das | |
hat geklappt. Aber ihr habt nicht so viel Zeit. | |
Euer großer Vorteil: Ihr entscheidet jetzt über eure Zukunft. Anders als | |
wir Alten seid ihr noch nicht festgelegt. Ihr entscheidet jetzt, was und | |
wie ihr lernen und arbeiten werdet. Ihr könnt planen, welche Ausbildung | |
oder welches Studium ihr wollt. Ob ihr einen Job wollt, um möglichst viel | |
Geld zu verdienen. Oder einen Beruf mit dem Ziel, die Welt ein bisschen | |
besser zu machen beziehungsweise sie gleich ganz zu retten. Lasst euch | |
keine Angst einreden; Zukunft ist das, was ihr daraus macht. Es gibt jede | |
Menge zu tun, um den Klimawandel aufzuhalten und zu gestalten: Wir brauchen | |
Ingenieurinnen für die Stromspeicherung, Anwälte für Klagen gegen | |
Klimasünder, Manager für nachhaltige Konzerne. Aber auch Krankenpfleger und | |
Busfahrerinnen, die nicht sofort eine Gelbweste überziehen und | |
protestieren, wenn die Spritpreise steigen. | |
Ihr seid viele und vielfältig. Nicht alle von euch werden später mal die | |
Grünen wählen. Das ist auch gut so. Denn wenn ihr in ein paar Jahren in | |
Unternehmen, Parlamenten oder in der Nachbarschaft Kompromisse finden | |
müsst, braucht ihr Verbündete – die vielleicht in vielen Bereichen ganz | |
anders leben, lieben und denken als ihr. Aber wenn euer gemeinsames Ziel | |
ist, den Klimawandel zu begrenzen, könnt ihr euch im Zweifel auf | |
Kompromisse einigen, wo jetzt die neue Stromtrasse hinkommt. | |
Redet auch mit denen, die nicht aufs Gymnasium gehen. Klimaschutz ist kein | |
Eliteprojekt. Nicht alle wollen sich engagieren, das ist auch in Ordnung. | |
Aber der Umbau Deutschlands (um damit mal anzufangen) zum 0-Emissions-Land | |
ist so tiefgreifend, dass zumindest die meisten eurer Generation | |
einverstanden sein müssen. Dafür gibt es gute Argumente: Strom lässt sich | |
auch ohne Kohle sicher erzeugen, Städte sind mit weniger Autos | |
lebenswerter, und weniger Fleisch ist gesünder. | |
Schaut auf euer eigenes Leben. Da ist noch Luft nach oben. Wenn in der | |
Schule über die nächste Klassenreise debattiert wird – dann fragt mal, ob | |
man nach Paris wirklich fliegen muss. Sagt euren Eltern, sie sollen euch | |
nicht mehr mit dem Familien-SUV zur Schule bringen, den sie ohnehin nicht | |
brauchen. Fragt, ob ihr zu Hause Ökostrom habt und ob [7][Papa wirklich | |
jeden Tag Fleisch essen muss]. | |
Lernt, mit Enttäuschungen zu leben! Nicht alle Ziele lassen sich sofort | |
erreichen. Nicht alle eure MitstreiterInnen von heute werden dabeibleiben. | |
Irgendwann sind andere Dinge wichtiger: das Abi, der Studienort, das erste | |
Kind. Macht euch klar, dass ihr einen langen Atem braucht. Es geht um eure | |
Zukunft. Aufgeben ist keine Option. | |
Vergesst nicht, euren Spaß zu haben. Nichts ist so abschreckend wie die | |
Drohung mit dem Weltuntergang. Nichts ist so ansteckend wie eine | |
zukunftsfähige Idee, die gute Laune verbreitet. | |
Hört nicht auf die Alten. Aber verachtet sie auch nicht. Wenn Greta | |
Thunberg zu den Erwachsenen sagt: „Ich erwarte nichts von euch!“, dann | |
denkt noch mal darüber nach. Ihr solltet von der herrschenden Generation | |
immer wieder einfordern, dass sie an ihre und eure Zukunft denken. Verlasst | |
euch nicht darauf, dass sie das Richtige tun, sondern geht ihnen auf die | |
Nerven. Denkt aber auch daran: Die Generationen vor euch haben die Welt | |
nicht mit Absicht so eingerichtet, dass das Klima kippt, die Pflanzen und | |
Tiere verschwinden und die Ozeane vermüllen. Das sind Nebeneffekte, die wir | |
bisher billigend in Kauf genommen haben, um unseren (und euren) | |
Lebensstandard zu organisieren. Das fossil befeuerte moderne Leben hat uns | |
fast alle Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts beschert. Es muss sich | |
radikal ändern, um sich den physikalischen Grenzen der Erde anzupassen und | |
trotzdem Wohlstand möglichst für alle zu garantieren. Das ist eine riesige | |
Aufgabe. Aber sie ist zu schaffen. Ein bisschen noch von uns. Vor allem | |
aber von euch. | |
Dann mal los! | |
23 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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