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# taz.de -- Die Wahrheit: Rollige Alliierte bei Tempo 120
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (70): Neben ihrer
> Höchstgeschwindigkeit verfügen Geparden über erstaunliche Fähigkeiten.
Bild: Vorsicht bissige Raubkatze!
Das Verhalten von Geparden rangiert irgendwo zwischen Hund und Katze. Sie
lassen sich leicht zähmen. Zwar können sie ihre Krallen nicht einziehen,
sie werden aber beim Laufen stumpf. Im Zirkus sieht man die Tiere nie, weil
sie sich nicht gefährlich genug benehmen. Bis in die siebziger Jahre traf
man in Bremen und Berlin Frauen, die einen Gepard an der Leine führten. In
Bremen waren es Kapitänswitwen, in Berlin war es unter anderem eine
Prostituierte, die ihre Raubkatze frühmorgens auf dem noch menschenleeren
Kurfürstendamm spazieren führte.
Früher waren Geparde auch in Indien beheimatet, die Maharadschas hielten
mitunter Hunderte. Sie jagten mit ihnen wie die Araber mit ihren Falken,
indem sie ihnen eine Haube verpassten, so dass sie nichts mehr sahen;
fuhren mit einem Gefährt zum Beispiel an eine Gazellenherde heran und
ließen sie dann ohne Haube auf diese Tiere los.
Im Bremer Tierpark hatte ich als Aushilfstierpfleger mit den Raubtieren
wenig zu tun, aber im Gepardengehege lebte neben zwei halbwilden
erwachsenen und einem wilden halberwachsenen Tier auch ein zahmer Gepard,
der in der Wohnung des Tierparkbesitzers George Munro mit seinen Kindern in
Kalkutta aufgewachsen war. Er blickte anders als die anderen drei allen
Tierpflegern nach, die am Gehege vorbeikamen. Ihm fehlte der
Menschenkontakt, vermutete ich. Man hatte ihn halb ein- und halb
ausgewildert. Eines Tages traute ich mich durch die Doppeltür, hinter der
er im Gehege stand, worauf er sofort (erfreut?) auf mich zukam. Ich kraulte
ihn, bis die anderen drei Geparde mir zu nahe kamen. Weiter passierte
nichts, aber noch heute kann ich mich über meinen jugendlichen Leichtsinn
ärgern.
Damals empfand ich jedoch ähnlich wie die junge Tierpflegerin Eva Salzer,
die einst im Leipziger Zoo als „Tierkindermädchen“ arbeitete und in einer
Textsammlung ihres Direktors Karl Max Schneider 1962 berichtete: „Als ich
es nun nach so vielen Jahren einmal wagte – auf den gewohnten Anblick und
Geruch meines Arbeitsanzuges vertrauend –, vorsichtig die Hand durch die
Gitterstäbe gleiten ließ, um den stattlichen alten Löwen zu berühren, und
als der stattliche alte Löwe nichts dagegen einzuwenden hatte – da war ich
den ganzen Tag in gehobener Stimmung.“
## Zurück ins Habitat
In dem Moment, als die afrikanischen Kolonien Großbritanniens nach langen
Kämpfen selbstständig wurden, hörte man auf, die großen Raubkatzen
massenhaft in die Zoos und Zirkusse Europas und Amerikas zu schaffen – und
brachte sie stattdessen einzeln als Waisenkinder wieder zurück, um ihnen
ein selbstständiges Leben in ihrem ursprünglichen Habitat zu ermöglichen,
jedenfalls in dem, was davon noch übrig geblieben war.
Im kenianischen Nationalpark Amboseli wurde das von dem
österreichisch-englischen Ehepaar Joy und George Adamson mit einigen Löwen,
Leoparden und Geparden versucht. Die Arbeit mit der Gepardin Pippa, die Joy
Adamson aufzog und dann auswilderte, bestand vor allem im Ansichbinden und
Abstandnehmen, was bei Pippas wild geborenen Jungen andersherum verlief,
wobei Pippa vermittelnd half.
In ihrem ersten Buch über die Gepardin und ihre Jungen („Die gefleckte
Sphinx“, 1970) schrieb Joy Adamson über diesen „Double-Bind“: „Damit, …
ich die Familie fütterte, verzögerte ich ihre Anpassung an das Leben in der
Wildnis, aber andererseits gab es mir die Gewähr, dass die Kleinen in guter
Verfassung blieben, bis sie kräftig genug waren, für sich selbst zu
sorgen.“
## Abschied von Pippa
In ihrem zweiten Buch („Abschied von Pippa“, 1974) fügte sie hinzu: „Aber
ich habe stets an meinem Prinzip festgehalten, dass wilde Tiere niemals so
weit kommen dürfen, ihre Angst vor dem Menschen zu verlieren.“ In der
Einleitung heißt es überraschend: „Alles, was ich in den viereinhalb
Jahren, in denen ich mein Leben mit Pippa im Nationalpark teilte,
beobachtet habe, könnte in zwei Hauptabschnitten zusammengefasst werden:
Geburtenkontrolle und Telepathie.“
Mit Geburtenkontrolle meint die Autorin, dass die Gepardin nicht trächtig
wurde, so lange ihre Jungen noch nicht „unabhängig“ waren, dass sie jedoch
bei einem Verlust ihres Wurfs sofort wieder rollig wurde. In Gefangenschaft
kann das für Raubkatzen zu einer Überforderung werden, denn wenn man ihnen
ihre Jungen wegnimmt und per Hand aufzieht, werden sie kurz danach schon
wieder rollig. Mit Telepathie meint Joy Adamson einen „sechsten Sinn“, eine
Form von „spukhafter Fernwirkung“ (Albert Einstein): So „wusste“ Pippa …
Beispiel, wo sich nach langer Abwesenheit „ihr“ Gepard befand, und auch mit
ihren Jungen konnte sie sich „über Entfernungen hinweg verständigen, bei
denen ihr weder Ton noch Witterung halfen“.
Der Zoologe Vitus Dröscher beobachtete im Nationalpark Amboseli einen
Gepard, der sich an eine liegende Antilope heranschlich: Als diese fliehen
wollte, stürzte sie zu Boden: Sie war verwundet. Die Raubkatze blieb
daraufhin zwanzig Meter entfernt sitzen, eine Stunde lang, „schließlich
trollte sie sich davon“.
## Der Mensch, der rasende Stillstand
Der Gepard ist laut Dröscher „von seiner Gemütsverfassung her absolut
unfähig, ein Lebewesen, gleich welcher Art, das nicht vor ihm flieht, mit
Tötungsbiss anzugreifen“. Man habe es mit einem „moralanalogen Prinzip der
Schöpfung zu tun“. Ein Gepard würde nie einen Menschen angreifen, denn der
bringe es fliehend höchstens auf 37 Stundenkilometer, was für den Gepard,
der bis zu 120 schaffe, „so gut wie Stillstand“ sei.
Für sein Jagdwild heiße das: Er wirke in ihren Herden keineswegs als
„Gesundheitspolizei“, die „alte, schwache oder kranke Tiere ausmerzt“, …
„dem Töten muss unbedingt die Hetzjagd hinter einer mit
Höchstgeschwindigkeit fliehenden Beute vorangehen“. Wenn er auf der kurzen
Strecke, die der Gepard nur durchhält, seiner Beute nahe kommt, schlägt er
ihr die Hinterbeine weg und bringt sie dadurch zu Fall. Sie hat dann vor
Erschöpfung kaum noch Sauerstoff, so dass der Tod beim Würgen schon
innerhalb von Sekunden eintritt.
Man ging lange davon aus, dass Geparde solitär leben, Forschungen in
mehreren Reservaten haben jedoch ergeben, dass nur weniger als die Hälfte
der Tiere „Einzelgänger“ sind, mindestens ebenso viele leben in
„Zweierbündnissen“ und knapp zwanzig Prozent bevorzugen „Allianzen zu
dritt“. Wissenschaftler neigen dazu, Verhaltensbeobachtungen als
Artverhalten zu deuten, so behaupteten sie, dass „die Weibchen umherwandern
und jedes Männchen nehmen, wenn sie brünstig werden“. Mindestens Pippa
suchte aber immer nach ein und demselben Männchen.
Weiter heißt es: Geraten die umherwandernden Weibchen in eine
„Männerallianz“, entsteht unter den Verbündeten eine „zarte Eifersucht�…
das ist schön gesagt. Zwar bringt ihnen das „Gemeinschaftsleben“ weder in
sexueller noch in jagdlicher Hinsicht einen „Zugewinn“, dennoch gelte für
diese Lebensform: „Alliierte leben länger als Einzelgänger.“ Wenn einer
wacht, schlafen die anderen ruhiger. Und gemeinsam lässt sich die Beute
leichter verteidigen.
18 Feb 2019
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
Tierwelt
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