# taz.de -- Die Wahrheit: Kehr ihnen nie den Rücken zu! | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (71): Tiger mögen nur | |
> Menschen, die einen stärkeren Willen als sie haben. | |
Bild: Tiger und Woods: zwei sibirische Tiger im Tierpark Hagenbeck, Hamburg | |
Der Zirkuschronist Werner Philipp behauptete: „Tiger riechen angenehm, ihr | |
Geruch sei erotisierend, sagen manche Frauen, durchweg veritable Frauen.“ | |
Meinte er damit Zirkusartistinnen, die von der Zirkusdirektorin Paula | |
Busch, die selbst einen Tiger in ihrer Wohnung aufzog, als „die ersten | |
emanzipierten Frauen“ bezeichnet wurden? Tatsache ist, dass es viele | |
Tigerdompteurinnen gab. | |
Die Amerikanerin Mabel Stark arbeitete zeitweilig mit zwanzig Tigern. Sie | |
meinte: „Tiger mögen nur Menschen, die einen stärkeren Willen als sie | |
haben.“ Mit dem von ihr großgezogenen Tiger Rajah lebte sie in ihrem | |
Wohnwagen zusammen, er schlief auch in ihrem Bett, ebenso wie ihr dritter | |
Ehemann, mit ihr in der Mitte. In der Manege bestand ihre berühmteste | |
Nummer darin, dass sie den Tigern den Rücken zukehrte und Rajah sie | |
plötzlich von hinten ansprang, zu Boden warf und mit ihr rang. Mit der Zeit | |
entwickelte sich daraus bei dem Raubtier ein Paarungsakt. Weil sein Samen | |
auf ihrem schwarzen Lederkostüm unschön aussah, wechselte sie in ein weißes | |
Kostüm, das sie bis zum Ende ihrer Karriere 1968 trug. | |
Der Tierpsychologe Otto Koehler meinte 1942 in Berlin während einer | |
S-Bahn-Fahrt zum späteren Zoodirektor Bernhard Grzimek: „So weit, dass wir | |
mit großen Wildtieren Versuchsreihen anstellen, sind wir noch lange nicht. | |
Wir müssten erst mal wenigstens mit ihnen richtig Fühlung haben und das | |
nicht nur den Zoowärtern und Dompteuren überlassen.“ | |
Grzimek bat daraufhin die Zirkusdirektorin Trude Sarrasani um Erlaubnis, | |
bei ihr als „Tigerdompteur“ aufzutreten. Der Raubtierdompteur Hermann | |
Haupt, der einst bei der berühmten Löwenbändigerin Claire Heliot assistiert | |
hatte, leitete ihn an – indem er Grzimek im Manegenkäfig beispielsweise | |
zurückzog: „So nahe dürfen Sie an Daisy niemals ran, die packt sie von | |
hinten an.“ | |
## Lorbeerkranz für Grzimek | |
Vor der „großen Tigerin Gitta“ warnte er ihn: Sie ist „bösartig“ – … | |
dann auch die einzige, bei der Grzimek „etwas unbehaglich zumute“ war. Im | |
übrigen empfand er die Raubtiere als „grässliche Pedanten“: Wenn nur eine | |
Kleinigkeit im Ablauf der Nummer anders war, klappte die Vorführung nicht. | |
Besonders schlimm sei es gewesen, wenn zum Beispiel „einer der Tiger mit | |
seinem Podest hinfiele, es würde Krach, Aufregung und womöglich einen | |
Aufstand geben.“ Manche Dompteure inszenieren so etwas, dem Publikum | |
zuliebe, das Kampf und Gefahr sehen will. Die Zirkusdirektorin Trude | |
Sarrasani überreichte Bernhard Grzimek nach der gelungenen Vorstellung | |
einen Lorbeerkranz. Als Werbung für den Zirkus wäre es jedoch besser | |
gewesen, wenn ihn die Tiger zerrissen hätten, meinte sie. | |
In seinem Buch „Unsere Brüder mit den Krallen“ (1961) erinnerte er daran, | |
dass in der „Tierseelenforschung“ versucht werde, den Menschen aus der | |
Versuchsanordnung herauszuhalten, um auch unbewusste Beeinflussungen | |
auszuschalten, wohingegen bei der „Zirkusdressur gerade diese enge | |
Beziehung von Mensch und Tier psychologisch interessant“ sei. | |
Zwei der Tiger des Dompteurs Haupt wurden von einer Hündin aufgezogen: „Für | |
sie bedeutet es gar nichts, dass ein Mensch an sie herantritt und sie | |
streichelt“, schreibt Grzimek. Mit den anderen, den ängstlichen, die vor | |
ihm zurückweichen, würde er jedoch auf Dauer lieber arbeiten: denn „Ceylon | |
und Daisy sind zwar zahm, sie haben aber auch keinen Respekt mehr.“ Im | |
Gegensatz dazu meinte der Dompteur des Circus Siemoneit-Barum, Gerd | |
Siemoneit, dass er „Tiger, die im Circus geboren sind“, am liebsten hat: | |
„Die latschen mit acht Monaten mit den anderen mit.“ | |
## Was ist eigentlich mit dem Säbelzahntiger? | |
Der Leipziger Zootierarzt Professor Karl Elze erwähnt in seinen | |
Erinnerungen „Mit dem Tier auf Du und Du“ (1988) die Amur-Tigerin Kerula, | |
die über viele Jahre hinweg jeweils bis zu fünf Tigerbabys verlustlos | |
aufzog, dennoch mussten er und sie „ständig in engstem Kontakt stehen, denn | |
sie war bezüglich ihrer Verdauung etwas labil“. Das bedeutete für den | |
Veterinär, „dass wir uns die Bedeutungen noch der kleinsten Reaktionen der | |
Tiere wie Vokabeln zu merken hatten. Je größer das ‚Vokabularium‘, um so | |
besser konnte man sich verstehen.“ Und es „entwickelte sich eine | |
Freundschaft, gewissermaßen eine Dankbarkeit gegenüber dem Tier, dass es so | |
tapfer mitgearbeitet hat“. | |
Der DDR-Raubtierdompteur Georg Weiss berichtete, dass er während der | |
Dressur stets einen Taschenspiegel dabei hatte, den er so gehalten habe, | |
dass er sehen konnte, was sich hinter ihm abspielte. Tiger töten ihre Opfer | |
meist von hinten mit einem Genickbiss. | |
Im indischen Sundabardelta wurden vor einiger Zeit mehrmals Menschen von | |
Tigern getötet. Da die Raubtiere stets von hinten angeschlichen kamen, | |
setzten sich die Waldarbeiter Halloweenmasken verkehrt herum auf, so dass | |
es aussah, als hätten sie hinten Augen: „Nach Einführung dieses | |
Maskentricks wurden keine Maskenträger mehr angegriffen, auch wenn | |
beobachtet wurde, wie Tiger Masken tragenden Menschen folgten“, berichtet | |
der Biologe Carl Safina (in „Beyond Words“, 2015). | |
## Ausgestorben: Verdäch-Tiger | |
Über den sibirischen Amur-Tiger schreibt er, dass die dort lebenden Jäger | |
schon lange an das Leben mit den Tigern gewohnt seien: Sie gehen ihnen aus | |
dem Weg, und die Tiger umgekehrt ebenfalls. Auch russische Biologen, die | |
dort Tiger einfangen, betäuben, mit einem Senderhalsband versehen und | |
wieder freilassen, seien noch nie von einem Tiger verfolgt oder angegriffen | |
worden. | |
Ausführlich wird das Verhalten von sibirischen Jägernomaden gegenüber | |
Tigern in dem Bericht „Der Taigajäger Dersu Usala“ von Wladimir Arsenjew | |
erwähnt. Als Geograf und Offizier des Zaren unternahm Arsenjew zwischen | |
1902 und 1930 zwölf ausgedehnte Expeditionen in das unerforschte Gebiet | |
zwischen dem Ussuri und dem Stillen Ozean. Bereits bei seiner ersten | |
Unternehmung lernte er den Jäger Dersu Usala aus dem kleinen Volk der Golde | |
kennen, mit dem ihn bald eine enge Freundschaft verband. | |
Dessen Entdecken und Deuten auch noch der kleinsten Zeichen im Wald | |
versetzte Arsenjew und die ihn begleitenden Kosaken immer wieder in | |
ehrfürchtiges Staunen, bereitwillig überließen sie Dersu Usala schon bald | |
die Führung, auch in moralischer Hinsicht, das heißt in Bezug auf Tiere, | |
die man nicht schießt und denen man uneigennützig hilft. | |
## Putin krault mit | |
Da für den Taigajäger alles beseelt ist, spricht er mit allen, auch mit den | |
Tigern, auf die er nie schoss, er warnte sie sogar mit lauter Stimme vor | |
den die Expedition begleitenden Kosakenschützen, die nicht diese Skrupel | |
hatten. In Arsenjew hatte Dersu Usala jemanden gefunden, der sein Verhalten | |
zu würdigen wusste – und ihm später mit seinem Buch ein Denkmal gesetzt | |
hat. | |
1975 wurde „Der Taigajäger Dersu Usala“ von Arsenjew in einer | |
sowjetisch-japanischen Koproduktion von Akira Kurosawa verfilmt. Der Film | |
bekam 1976 als bester ausländischer Film einen Oscar. Der sibirische Tiger | |
ist heute bereits so weit dezimiert, dass er vom Aussterben bedroht ist. | |
Putin hat ihn deswegen unter seinen persönlichen Schutz gestellt. Vom | |
Katzenforscher Paul Leyhausen werden Tiger übrigens zu den „Kleinkatzen“ | |
gezählt, weil sie Streifen haben und nicht brüllen. | |
4 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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