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# taz.de -- Die Wahrheit: Als Surrealisten Zuckungen diskutierten
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (69): Jede Teufelsbohne
> wird von einer winzigen gelben Schmetterlingsraupe bewohnt.
Bild: Springbohne, hier im ruhenden Zustand
Gemeint ist die „mexikanische Springbohne“, die auch „Teufelsbohne“ gen…
wird. Sie gab Europa lange Zeit Rätsel auf. 1934 kam es darüber zu einem
für die Pariser Mandarins folgenschweren Streit – zunächst unter den
Surrealisten: Ihr „geistiger Kompass“, der Philosoph Roger Caillois, und
ihr Vormann, der Dichter André Breton, gerieten darüber auseinander: Die
Bohne lag zwar auf dem Tisch – und sprang, wie ihr Name „Springbohne“ sag…
aber wer oder was sprang da?
Caillois schlug vor, sie aufzuschneiden. Woraufhin Breton „vor Zorn
explodierte“, wie Stephan Moebius schreibt (in: „Zur Konkurrenz im Gebiete
des Geistigen“, abgedruckt in „Logik des Imaginären“, Band 1 – 2018).
Breton, von der Bohne noch „ganz eingenommen“, wollte „alle möglichen
Ursachen der Zuckungen“ diskutieren, bevor man sie einer „kalten
Erforschung“ unterzog. Caillois war dagegen an „mehr wissenschaftlicher
Strenge“ interessiert.
Enttäuscht, dass die „experimentellen Erfahrungspraktiken“ der Surrealisten
ins Literarische und nicht ins Wissenschaftliche führten, gründete er in
Paris das Collège de sociologie, das besonders Vertreter der strukturalen
Anthropologie wie Claude Lévi-Strauss anzog, die davon ausgingen, dass die
von ihnen als Ethnographen beobachteten Gesellschaften „nicht primitiver
als alle anderen“ sind. Caillois ging 1939 ins Exil nach Argentinien und
Lévi-Strauss, der mit André Breton zunächst nach New York geflüchtet war,
nach Brasilien. Ihm warf Caillois später ebenfalls vor, quasi zu
unwissenschaftlich vorzugehen, weil er eine „komplexe Struktur“ per se
schon für gut befinde. Sie blieben aber Freunde.
Die Zeugen Jehovas, dieselben, die zugegeben haben, in Mexiko den Tempel
der indigenen Volksgruppe der Otomi beschädigt zu haben, erklären auf ihrem
Online-Wachtturm nun, dass die Springbohnen faszinierend seien: Es würde
sich dabei um die Früchte eines Wolfsmilchgewächses handeln, dessen
Samenkapseln je drei Bohnen enthalten: jede nicht einmal einen Zentimeter
lang.
## Wenn die Raupen ausschlüpfen
Der Strauch wächst in den Bergen von Alamos. Die Bevölkerung kennt die
Bohnen schon lange. 1921 kaufte ein Amerikaner den Einheimischen dort alle
Bohnen ab. Heute ist das Bohnengeschäft monopolisiert und 50 Prozent der
Ernte werden in die USA exportiert, 40 Prozent nach Europa und 8 Prozent
nach Japan, der Rest bleibt in Mexiko. Jede Bohne wird von einer winzigen
gelben Raupe eines Kleinschmetterlings bewohnt. Das Schmetterlingsweibchen
legt ein Ei in die Blüte des Wolfsmilchstrauches; wenn die Raupen
ausschlüpfen, bohren sie sich tief in die Blüte und lassen sich im Samen
einkapseln.
Um die von ihr ausgehöhlte Bohne zum Hüpfen zu bringen, klammert sich das
Räupchen an die seidigen Wände mit den Füßen fest und schnellt den Körper
hoch, wobei es mit dem Kopf gegen das andere Ende der Bohne stößt und die
Bohne vorwärts bewegt. Die Bohne kommt mit wackelnden Bewegungen mehrere
Zentimeter voran und springt mehrere Zentimeter hoch. Platzt das Gehäuse,
beginnt die Raupe sofort mit Seide, die sie absondert, die Stelle zu
reparieren. Nach etwa sechs Monaten in dieser Unruhe, das den
Insektenforschern zufolge daher rührt, dass die Raupe mit ihrer Bohne damit
aus der prallen Sonne gelangen will, verpuppt sie sich schließlich – und
heraus kommt ein Kleinschmetterling der Art Enarmonia sebastianae. Bei der
Pflanze, die sie „parasitierte“, handelt es sich um Sebastiania pavoniana.
Die Springbohnen werden im Juni/Juli geerntet, jede einzelne wird von
Mädchen registriert und geschüttelt, ob da ein Wurm drin ist. Das ist die
ganze Qualitätskontrolle beim Verkauf der Springbohnen. Hierzulande kann
man sie dann zum Beispiel beim Vertrieb von Adriana Schall in Paderborn als
„besondere Überraschung und Geschenkidee“ bestellen. Aber wie könnte es
anders sein: Amazon bietet sogar „Extreme Springbohnen“ an – für 3,49 Eu…
das Stück mit kostenloser Lieferung. Die nicht so extremen „Jumping Beans“
kosten im „experimentis-shop“ 2,20 Euro.
## Springbreak? Nein, Springbohne
Für die Zeugen Jehovas lässt bereits die Existenz der Raupe des kleinen
Schmetterlings in der nicht-extremen Springbohne nur allzu „deutlich
erkennen, dass die eigentümlichen Bewegungen dieser mexikanischen
Springbohnen nichts mit Zauberei oder Spiritismus zu tun haben“. Was aber
auch niemand behauptet hat! „Sie sind lediglich ein Teil der
bewunderungswürdigen Schöpfung Jehovas Gottes, die den Menschen immer
wieder fesselt.“ Business as usual also. So sehen das, glaube ich, auch die
Neodarwinisten (die als gute Protestanten bloß Gott nach innen – in das
Genom als primären Beweger – verlegt haben).
Den Schmetterlingsforscher interessiert, wie die Raupe vor ihrer Verpuppung
den Ausgang aus der Bohne vorbereitet, denn als Schmetterling hat sie kein
„Werkzeug“ mehr dafür. Die botanisch Interessierten, wie zum Beispiel
Anne-France Dautheville (in: „Alles über Pflanzen“ 2018), gehen natürlich
von Sebastiania pavoniana aus – und erwähnen dann bloß noch Larve und
Schmetterling, wobei sie sich nicht groß fragen, warum die Larve springt:
„Das weiß niemand so genau.“ Als Wirt könnte die Pflanze aber vielleicht …
Stillen bereits wirksame Abwehrmittel gegen die in ihren Blüten und zuletzt
in ihren Früchten heranwachsenden Raupen ersinnen. Oder andersherum: Der
Raupenbefall kommt ihr zupass!
Im Darwinismus geht man stets vom Nutzen aus: Wäre danach der Schmetterling
für die Pflanze ebenso nützlich wie sie für den Schmetterling? Der
Philosoph Michel Serres hat beizeiten darauf hingewiesen: „Die besten Wirte
sind manchmal auch die besten Parasiten.“ Auf wissen.de heißt es, dass auch
„Raupen des Wickler-Schmetterlings Carpocapsa salticans in den
Fruchtkapseln mexikanischer Wolfsmilchgewächse der Gattung Sebastiana
leben.“ Bedeutet das vielleicht, das sie gern Raupen in ihren Blüten hat,
die sie einkapselt?
## Bohnenkultur
Aber die Frage nach der Nützlichkeit hilft nicht weiter, zumal die
Tatsache, dass noch eine zweite Schmetterlingsart sich des Strauchs zur
Vermehrung bedient, nicht dazu geführt hat, dass Sebastiania pavoniana nun
zu den gefährdeten Arten zählt, im Gegenteil. Seit 1921 hat sich mit dem
geschäftstüchtigen Ami aus Profitgründen eine stabile Bohnenkultur
entwickelt: Die Sträucher werden gedüngt, gepflegt und ihre Fressfeinde bis
auf die beiden Schmetterlingsarten vernichtet. Ihre Raupen haben der
Pflanze also sogar zu einigem „Wohlstand“ verholfen. Statt mit Parasiten
haben wir es mit kleinen Mädchen zu tun; zwar werden alle Bohnen
abgepflückt, aber erst sie trennen die Ernte in gute und schlechte, wobei
die für sie schlechten (ohne Wurm) für die Pflanze die guten sind.
Je weiter man übrigens in Deutschland nach Norden kommt, desto häufiger, so
haben Volkskundler festgestellt, hat die Bohne bei der Bevölkerung Eingang
in ihren erzieherischen Wortschatz gefunden – mit Sätzen wie „Nun tob hier
nicht rum wie ’ne mexikanische Springbohne!“
4 Feb 2019
## AUTOREN
Helmut Höge
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