# taz.de -- Die Wahrheit: Neugierige Picknickgäste | |
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (67): Unglückshäher und | |
> Pestvögel sind eher das Gegenteil ihrer düsteren Namen. | |
Bild: Nicht nur Häher und Späher leiden unter der Schubladisierung durch den … | |
Das Wichtigste vorweg: Diese Vögel bringen weder Unglück noch die Pest, im | |
Gegenteil gehören sie zu den nettesten und schönsten Vögeln des Nordens. | |
Der Unglückshäher zählt zu den Rabenvögeln und ist insofern tatsächlich mit | |
dem „Unglücksraben“ verwandt – mit dem „Pechvogel“. Der Name leitet … | |
Wikipedia zufolge vom Vogelfang mit klebrigen Pechruten her: „So wurde der | |
gefangene ‚Pechvogel‘ zum Symbol für jemanden, dem das Schicksal übel | |
mitspielt.“ | |
Der weltweite Bestand an Unglückshähern verringert sich zwar, die Art ist | |
jedoch (noch) nicht gefährdet. Das finnland-forum.de präzisiert: „Da auch | |
die finnischen Urwälder im industriellen Maßstab geschlagen wurden, ist die | |
Zahl der Unglückshäher in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen.“ | |
## Neugierig und furchtlos | |
Der schwedische Biologe Fredrik Sjöberg schreibt in seinem Buch „Vom | |
Aufhören“ (2018): „Auf dem Weg von einem Hügel nahe des Storsjön-Sees na… | |
unten leistete mir ein Unglückshäher Gesellschaft, der netteste Vogel der | |
schwedischen Fauna. Neugierig, furchtlos und von Mythen umweht.“ | |
Er lebt auch in Teilen Russlands und in der sibirischen Taiga. Seine | |
Nahrung besteht aus Samen von Nadelbäumen und Beeren. Zwar legt er Vorräte | |
an, aber wenn der Winter zu hart wird, verzieht er sich nach Mitteleuropa. | |
Das passiert jedoch sehr selten. „Sein Auftauchen wurde abergläubisch als | |
Vorzeichen drohenden Unglücks angesehen“, heißt es auf Wikipedia, denn | |
damit deutete sich auch hier ein entbehrungsreicher Winter an. Und schuld | |
waren quasi die harmlosen Unglückshäher (Perisoreus infaustus). | |
## Freund der Waldarbeiter | |
In Finnland nennt man den Vogel „kuukkeli“; in Lappland, wo er am | |
allerhäufigsten vorkommt, gilt er als Glücksvogel, sogar Hotels und | |
Einkaufscenter heißen dort „kuukkeli“. Auf vogelundnatur.de wird Sjöbergs | |
Behauptung, er sei der netteste aller nordischen Vögel, so erklärt: | |
„Unglückshäher leben zwar eigentlich recht zurückgezogen, besitzen aber | |
auch eine gesunde Portion Neugier. Wanderern und Waldarbeitern rücken sie | |
schon mal etwas zu sehr auf die Pelle und nehmen gerne an ihren Picknicks | |
teil.“ | |
Der Naturschutzbund Niedersachsen sieht das positiver: „Auffällig ist der | |
rote Schwanz des Waldbewohners. Seinen Namen trägt er aber zu Unrecht. In | |
Finnland wird dieser Vogel als Freund der Jäger und Waldarbeiter | |
angesehen.“ Da der Unglückshäher hier aber so selten herkommt, wird sich | |
dieser Name für ihn, „Kuukkeli“, (Späher), wohl nicht durchsetzen. | |
## Gesang auch ohne Proviant | |
Über seine eigenen Lautäußerungen heißt es in einigen Internetforen, er sei | |
„meist stumm“, auf anderen: „Stimmlich sind Unglückshäher richtige | |
Koryphäen und können bei Gefahr aus 25 verschiedenen Rufen wählen, um ihren | |
Artgenossen mitzuteilen, welcher Fressfeind genau im Anmarsch ist.“ | |
Hinzugefügt sei, dass viele der Rufe sich auf einen nahenden Fressfreund | |
beziehen. Sie begleiten Menschen im Wald jedoch auch, wenn diese keinen | |
Proviant dabei haben. Das „Nature Gate“ luontoportti.com schreibt über ihre | |
Stimme: „Verschiedene Schreie und miauende Laute, Gesang, leises, aus | |
vielen verschiedenen Themen bestehendes Gezwitscher.“ | |
Ähnlich wie mit dem Unglückshäher verhält es sich mit dem „Pestvogel“, … | |
in der deutschsprachigen Schweiz laut Wikipedia oft „Sterbevögeli“ genannt | |
wird. Inzwischen heißt er offiziell „Seidenschwanz“ (Bombycilla garrulus). | |
Er kommt ebenfalls aus dem Norden – und wenn es dort zu kalt wird, fliegen | |
große Schwärme sibirischer Seidenschwänze unter anderem bis nach Berlin. | |
## Gefürchtete Großinvasoren | |
In Süddeutschland fiel ihr Kommen einmal oder mehrmals mit einer | |
Pestepidemie zusammen – wahrscheinlich ebenfalls im Zusammenhang eines | |
langen und harten Winters, der die Nahrungsreserven der Menschen | |
erschöpfte, so dass die Seidenschwänze zu gefürchteten Vögeln wurden. „Sie | |
kommen regelmäßig sechs- bis neunmal pro Jahrhundert in Großinvasionen“, | |
schreibt der Münchner Biologe Josef Reichholf in seinem Buch „Eine kurze | |
Naturgeschichte des letzten Jahrtausends“ (2007). | |
Im Norden leben sie vor allem von den Früchten der Eberesche, hier ernähren | |
sich die Vögel großenteils von den Früchten der Mistel. Man könnte fast | |
sagen: Sie ernten, was sie hier beim letzten Mal gesät haben. Fast so, wie | |
die holländischen Großbauern es mit den Schwarzerdeböden in Sachsen-Anhalt | |
machen. | |
Einige Berliner Botaniker warnten kürzlich vor der übermäßigen Zunahme der | |
Mistel, die von und auf Bäumen lebt, wo sie kugelförmige Sträucher bildet, | |
die man sich mancherorts zu Weihnachten an die Decke hängt. Um sich zu | |
vermehren, das heißt, auf einen anderen Ast oder Baum zu siedeln, benötigt | |
der von einem fruchtartigen Gebilde umgebene Samen der Mistel unter anderem | |
den Seidenschwanz. | |
## Seltenere Gäste | |
Den meisten Vögeln ist die Frucht zu bitter, wie Josef Reichholf in seinem | |
Buch „Stadtnatur“ (2007) erklärt: Der Seidenschwanz hat einen verkürzten | |
Darm und verdaut nur die oberste Schicht, die noch einigermaßen genießbar | |
ist, den Rest scheidet er mit einem Schleimschwall aus. Zusammen mit dem | |
Samen bleibt der klebrige Schleim mit Glück an einem Ast hängen. Dort keimt | |
die Mistel aus und wächst langsam an. | |
Im Übrigen schädigt sie die von ihr befallenen Bäume wenig, sie gilt laut | |
Wikipedia „nur im Extremfall als Vollparasit“, und braucht rund sieben | |
Jahre, um neue Samen zu produzieren. Bei jedem zweiten oder dritten Mal | |
könnten ihr die Seidenschwänze bei der Verbreitung geholfen haben. Nun | |
waren sie jedoch schon lange nicht mehr hier, jedenfalls nicht in Berlin, | |
wahrscheinlich wegen der Klimaerwärmung, wird gemutmaßt. Vielleicht hat | |
ihnen aber auch das große Dorfsterben in Sibirien neue Ressourcen | |
erschlossen. | |
## Starengroß mit rostrotem Bürzel | |
Weil hier die meisten den Seidenschwanz und den Unglückshäher nicht mehr | |
kennen, muss man sie beschreiben: Der Seidenschwanz wird offiziell bis zu | |
18 Zentimeter groß und wiegt 50 bis 60 Gramm. Aus der Ferne wirken die | |
knapp starengroßen Vögel eher unauffällig rostgraubraun, aus der Nähe sind | |
sie jedoch sehr auffällig und bunt. Auffälligstes und unverkennbares | |
Kennzeichen ist die spitz nach hinten verlaufende, teilweise aufrichtbare | |
Federhaube. Vom Ansatz des kräftigen schwarzen Schnabels zieht sich über | |
die Augen bis zum Nacken ein tiefschwarzer Streifen, der bei ausgefärbten | |
Vögeln eine feine weiße Randung aufweist. | |
Der Unglückshäher wird laut „Nature Gate“ bis zu 29 Zentimeter groß und | |
wiegt 75 bis 95 Gramm. Er ist ein recht dunkler Krähenvogel von der Größe | |
einer großen Drossel mit langem Schwanz. Bürzel, Randgebiete des Schwanzes | |
und sogenannter Daumenfittich sind rostrot. Sonst gräulich bräunlich. | |
Oberkopf dunkelbraun. Schnabel und Läufe sind gräulich schwarz, und die | |
Regenbogenhaut des Auges ist braun. | |
Der Unglückshäher ist recht zutraulich und unerschrocken. Bei der | |
Nahrungssuche ähnelt sein Verhalten dem der Meisen. Das Wiktionary ergänzt: | |
Er wirkt „gleichsam mollig'“, aber man darf ihn deswegen laut tierdoku.com | |
nicht unterschätzen: „Der Unglückshäher ist selbst für Falken ein | |
unerschrockener Gegner.“ | |
7 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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