| # taz.de -- Berlinale „Bait“: Zappelnde Fische, fliegende Fäuste | |
| > Klassenkampf in Schwarz-Weiß: „Bait“ ist ein Kitchen-Sink-Drama des | |
| > britischen Regisseurs Mark Jenkin über ungleiche Lebensbedingungen. | |
| Bild: Harte Arbeit, karger Lohn: die Fischer Martin (Edward Rowe) und Neil Ward… | |
| Barthaar, dichtes Barthaar. Die zischende Gischt, ein tuckernder | |
| Fischkutter, hin und her geschüttelt von den Wellen wie eine Nussschale, | |
| ein Südwester wird vom Hacken in einem Schuppen an der Hafenmole genommen. | |
| Nein, er wird eher heruntergerissen im Brast. „Bait“ (Köder) heißt das ne… | |
| Werk des britischen Regisseurs (und Filmwissenschaftlers) Mark Jenkin und | |
| die Welt der Fischerei spielt hier eine tragende Rolle. | |
| In schneller Folge, fast wie in einem Flicker-Film, sieht man karge | |
| Verrichtungen aus der Arbeitswelt, in einer Ästhetik, die nichts | |
| beschönigt. Jenkin gelingt mit „Bait“ einer der Überraschungsfilme der | |
| Berlinale 2019. Wobei, der britische Film hat in Berlin eigentlich einen | |
| schweren Stand. Kein Vergleich mit der Präsenz von Werken der Grande | |
| Filmfördernation Frankreich. Lange galt: Wer was werden will im britischen | |
| Kino, muss irgendwann nach Hollywood wechseln. | |
| Mark Jenkin ist in Cornwall geblieben und unterrichtet an der Universität | |
| Falmouth. In Cornwall sind alle seine Werke angesiedelt, auch sein neuer | |
| Spielfilm: Er spielt in einem Fischerdorf an der Küste. Die Einheimischen | |
| sind untereinander zerstritten: Die einen setzen auf Tourismus als | |
| Einnahmequelle, die anderen mühen sich mit der Fischerei ab. | |
| In „Bait“ verläuft dieser Zwist durch eine Familie. Die Gebrüder Martin u… | |
| Steve Ward sind abhängig von der See. Martin versucht, als Fischer am Ball | |
| zu bleiben, kämpft mit immer magereren Erträgen und schlechtem Equipment, | |
| während Steve den alten Kutter des Vaters zum Ausflugsdampfer umgestaltet | |
| hat, die stumpfen Party-Touristen an Bord wie die Pest hasst und seinen | |
| Bruder gleich mit. Auch Neil, Martins Sohn, muss mithelfen. Aber es reicht | |
| vorne und hinten nicht. Das alte Haus ihres Vaters ist zu einer | |
| „Cottage“-Ferienwohnung umgestaltet, im Besitz der Hauptstadt-Familie | |
| Leigh, die Eheleute Tim und Sandra und ihre beiden Kinder tragen den | |
| Upperclass-Weltekel schon im Gesicht. | |
| ## Geld spielt eine wichtige Rolle | |
| „Bait“ findet für die ungleiche Verteilung von Wohlstand eine sehr | |
| poetische Erzählform: Brachiale Schnitte, blitzartige Rückblenden, Dialoge, | |
| die abrupt gegeneinander geschnitten werden, erzeugen einen Sog. Eingerahmt | |
| ist die raue Welt an der Küste Cornwalls mit grobkörnigen Bildern, gedreht | |
| in 16mm-Schwarz-Weiß-Format von einer Bolex-Kamera. | |
| Der Regisseur hat in einem Interview erzählt, er mag das Geräusch der | |
| Bolex, dann weiß er, das Drehen kostet Geld. Man hört ihr Surren auf der | |
| Tonspur, dadurch wirkt „Bait“ rudimentär. Und seine rudimentäre Form trei… | |
| die Erzählung vor sich her. Wir sehen ein Seil, das zu einem Seemannsknoten | |
| vertäut wird. Sinnbild für die Figuren, die auf Gedeih und Verderb | |
| miteinander verknüpft sind. | |
| Löchrige Fischernetze, die repariert werden müssen, manche Szenen werden | |
| nur angedeutet, weggeblendet. Der Anker als Türschmuck am Cottage, | |
| Galionsfiguren an der Wandtäfelung im Pub, Gummipoller am Kai, kabbeliges | |
| Brackwasser, aber auch Hummer im Topf und Weißwein im Glas und wir ahnen, | |
| das hier geht nicht gut aus. Irgendwann fliegen die Fäuste. | |
| Geld spielt eine wichtige Rolle in dem Film. Martin spart, damit er sich | |
| einen neuen Kutter kaufen kann. Den Leighs ist das egal. Sie verlangen von | |
| Martin, er solle seinen verbeulten Pick-up-Truck gefälligst woanders parken | |
| als vor ihrem Feriendomizil. Geht aber nicht, das Auto hat von der Polizei | |
| eine Parkkralle bekommen. Der Strafzettel ist zu teuer. Autos markieren | |
| hier den Klassenunterschied: Der Landrover „Discovery“ der Leighs, man | |
| sieht nur das „Very“ des Schriftzugs, versus der abgeranzte Toyota von | |
| Martin, die vordere Stoßstange hat Löcher. | |
| Die Mühsal der Arbeitswelt fließt methodisch in die Dialogszenen ein: Wie | |
| behutsam die zappelnden Fische aus dem Netz gefieselt werden müssen, damit | |
| es nicht zerreißt. Mark Jenkin gelingt es, etwas Spirituelles in den | |
| Bildern unterzubringen, als würden die Seeungeheuer in den Bildern an der | |
| Wand im Pub lebendig werden und schützend in die Handlung eingreifen. Als | |
| hätte die dickschädelige Art der Locals gegen die Gutsherrenart der poshen | |
| Outoftowners eine Chance. | |
| „Bait“ mischt die Kammerspiel-Beschaulichkeit von alten britischen | |
| Kitchen-Sink-Dramen mit der strengen Ästhetik eines Robert Bresson: Wie | |
| beim Billard wird hier über Bande gespielt und etwas Neues angestoßen. Und | |
| vom Meeresboden ruft der Geist von Nicolas Roeg. Den unheimlichen Rest | |
| erledigt der subkutane Drone-Soundtrack mit einem Harmonium als tragendem | |
| Instrument. | |
| 16 Feb 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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