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# taz.de -- Forum Expanded: Wieder Leben in der Leichenhalle
> Das Forum Expanded in Berlin hat sein Hauptquartier gewechselt.​ In der
> Betonhalle des Silent Green zeigt es ein durchwachsenes Programm.
Bild: Bilck in die neu eröffnete Betonhalle des Silent Green
Manchmal möchte man die Leiterin des Kino-Kunst-Hybrid Forum Expanded
Stefanie Schulte Strathaus einfach knuddeln. Etwa, wenn sie ganz begeistert
von „neuem Leben in der Leichenhalle“ spricht. Wobei sie völlig richtig
liegt, mit dieser Anmerkung. Das Forum Expanded hat wieder einmal sein
Hauptquartier gewechselt.
Nach der letzten Station in der Akademie der Künste am Hanseatenweg findet
sich „Antikino (The Siren’s Echo Chamber)“, wie die Ausstellung betitelt
ist, nun im Wedding wieder, in der neu eröffneten „Betonhalle“ des
Kulturquartiers Silent Green.
Die 1.600 qm große Halle für Konzert-, Ausstellungs- und
Diskussionsveranstaltungen gründet auf der ehemaligen unterirdischen
Leichenhalle, die in den 1990er Jahren erbaut wurde, bevor das Krematorium
schließlich 2001 außer Betrieb genommen und zur neuen Nutzung
ausgeschrieben wurde.
Unter den vielen Bewerbern machten Jörg Heitmann und Bettina Ellerkamp mit
ihrem Konzept des Kulturquartiers Silent Green das Rennen. Im Februar 2013
vom Land Berlin übergeben, wurde das ehemalige Krematorium im selben Monat
Spielstätte des Forum Expanded, bevor noch die umfangreichen Umbau-und
Renovierungsarbeiten begannen. Jetzt 2019, nachdem Heitmann und Ellerkamp
in sechs Jahren 10 Millionen Euro privates Geld verbaut haben und die
Sanierung des Geländes weit fortgeschritten ist, kehrt das Forum Expanded
also wieder zurück.
Inzwischen finden sich in dreizehn verschiedenen Büros und Gebäudeeinheiten
auf rund 6000 qm rund 100 Kreative zusammen. Zu den Mietern gehören das
Musicboard Berlin, der unabhängige Kunstraum Savy Contemporary, das Harun
Farocki Institut und last but not least das Filmarchiv des Arsenals –
Institut für Film und Videokunst e.V.
## Viele alte Bekannte
Steigt man über die breite Rampe in Tiefe, empfängt einem dort am Eingang
zur Halle gleich der erste Ausstellungsbeitrag, „Diver“ (2018) von Monira
Al Qadiri. Die Videoinstallation ist Teil ihrer Recherche zur Geschichte
der Kultur am Persischen Golf. Bevor Erdöl gefunden wurde, war die
Perlenfischerei wichtigster Wirtschaftszweig.
Zum traditionellen Gesang der Perlenfischer formieren sich
Synchronschwimmerinnen, deren glänzenden Ganzkörperanzüge an Perlen wie
auch Öl erinnern wollen. Zierde und Dekoration wie erschöpfender
körperliche Einsatz sind Stichworte, unter denen die Künstlerin die
Erinnerung an die vergangene lokale Identität fast.
In der Halle selbst trifft man zunächst vor allem auf alte Bekannte: James
Benning präsentiert zwei Stunden Videomaterial, gefilmt von einer
Überwachungskamera, das zeigt, wie sich die amerikanische Flagge im Vorfeld
des Hurrikanes Florence am Nachmittag des 13. September 2018 im Wind
zerlegt. Schräg vis-à-vis trifft man auf Harun Farockkis „Zur Bauweise des
Films bei Griffith“ (2006).
Die Einstellungsfolge aus Intolerance lief im Jahr seiner Entstehung schon
einmal im Forum Expanded. Dort ebenfalls keine Unbekannte: Heike
Baranowsky. In „Wosa (Coyote’s Burden Basket“) aus diesem Jahr, umkreisen
zwei sich gegenüberstehende Kameras von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang den
Ubehebe-Krater – oder Wosa wie in ihn die Ureinwohner nennen – im
Death-Valley. Eine magische Meditation.
Auch Billy Woodberry ist ein Bekannter der Berlinale. Als einer der
führenden Regisseure der L. A. Rebellion genannten unabhängigen schwarzen
Filmbewegung, wurde sein Film Bless Their Little Hearts (1984) in Berlin
ausgezeichnet. Jetzt erweckt er in seiner „Story from Africa“ das 2.374
Aufnahmen umfassende Fotoarchiv des portugisischen Kolonialoffiziers
Velloso Castro zum Leben. In absolut sehenswerten, phantastischen
Fotografien wird die Besetzung eines Gebietes in Angola dokumentiert und
die Geschichte des Kriegers Calipalula vom Stamm der Cuamto erzählt.
## Die vom Motto Antikino geweckten Erwartungen
Nach dem Drama um die Teilnehmerzahl bei der Inauguration von Donald Trump
und die Geburt des Begriffs der „Alternativen Fakten“ hat Clemens von
Wedemeyer alle Aufmerksamkeit für seine aus Found Footage kompilierte
filmischen Studie „Transformation Scenario“.
Er geht hier dem Bild der Masse im Spielfilm wie in der Berichterstattung
nach, den Möglichkeiten der Manipulation, etwa der Auffüllung realer Massen
dank fiktiver, durch Algorithmen geschaffene Teilnehmer: eine auch formal
anregende und überzeugende Arbeit, die den mit dem Forum Expanded Motto
Antikino geweckten Erwartungen gerecht wird.
Was selbstverständlich im Filmprogramm 9 auch Altmeister Paul McCarthy
gelingt, der in „DADDA – Poodle House Saloon“ Donald Trump nun wirklich in
grausamer Verkörperung auftreten lässt, samt Tochter Ivanka und Ex-Gattin
Ivana. Mit dabei Andy Warhol, der seine Hosen verloren hat, und Howdy ho!
Bonanaza, Ben Cartwright und seinen Söhne von der Ponderosa Ranch. Nach
einer halben Stunde Sex & Gewalt & Idiotie & Anarchie kann man gehen, man
weiß wie's weiter läuft.
Das passiert auch bei anderen Filmprogrammen. „Labour Power Plant“ von
Robert Schlicht und Romana Schmalisch kommt aus der einmal betretenen Spur
nicht heraus, extrem nah die Coachingpraktiken unterschiedlichster
Institutionen zu beobachten, was in kürzester Zeit nicht Neues mehr
beiträgt, zum Diskurs heutiger Arbeitswelten, dem größeren Rahmen, in dem
ihre Recherche angesiedelt ist.
Das letztlich immer Gleiche, kleine Beobachtungen des Alltags, als immer
neu, immer interessant, immer aufregend zu vermitteln gelingt dafür im
Programm 2 Ute Aurand mit ihren absolut rasanten Schnittkünsten bei
„Rasendes Grün mit Pferden“. Ein Highlight – auch formal – bei aller
gesellschaftskritischer Brisanz ist Lene Bergs „False Belief“ zum
Häuserkampf in Harlem. Insgesamt war ein durchwachsenes Forum Expanded zu
beobachten.
14 Feb 2019
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Schwerpunkt Berlinale
Schwerpunkt Coronavirus
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Mode
Bauhaus
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