# taz.de -- Brexit-Krise in Großbritannien: Stunde der Entscheidung | |
> Großbritanniens Premierministerin May sucht die Unterstützung des | |
> Parlaments für Neuverhandlungen mit Brüssel. Es gibt aber auch andere | |
> Ideen. | |
Bild: Brexit-Gegner demonstrieren vor dem House of Parliament | |
Berlin taz | Die britische Premierministerin Theresa May will | |
Neuverhandlungen über [1][den Brexit mit der Europäischen Union], um | |
rechtzeitig zum Austrittstermin des 29. März doch noch eine Vereinbarung zu | |
erzielen und einen No-Deal-Brexit zu vermeiden. Wie sie am Dienstag | |
nachmittag vor dem Unterhaus in London erklärte, strebt sie „eine | |
erhebliche und rechtlich bindende“ Veränderung des im vergangenen Jahr mit | |
Brüssel ausgehandelten, aber im Januar vom eigenen Parlament | |
niedergestimmten Brexit-Deals an. | |
Damit zieht die konservative Regierungschefin die Konsequenz daraus, dass | |
ihr ursprünglich mit der EU vereinbarte Brexit-Deal vom britischen | |
Parlament abgelehnt worden war. Das Unterhaus hatte am Abend des 14. Januar | |
mit der gigantischen Mehrheit von 432 zu 202 Stimmen gegen das Vertragswerk | |
gestimmt. Die Nein-Stimmen kamen aus allen Parteien, auch aus ihrer | |
eigenen. | |
Wie zuvor vom Parlament beschlossen, kehrte May drei Sitzungstage nach | |
dieser Niederlage – also am 21. Januar – vor die Abgeordneten zurück, um | |
ihr weiteres Vorgehen zu erklären. Für den 29. Januar wurde dann eine | |
Abstimmung über diese Erklärung angesetzt. Erwartungsgemäß machte May erst | |
an diesem zweiten Termin ihre Intentionen klarer. | |
„Ich möchte nach Brüssel zurückgehen, mit dem klarstmöglichen Mandat, ein… | |
Deal sicherzustellen, den diese Kammer unterstützen kann“, sagte May. Ziel | |
sei „ein revidierter Deal, den sowohl diese Kammer als auch die EU | |
unterstützen können“. | |
## Lieber No Deal als dieser | |
Bisher habe das Parlament immer nur gesagt, was es nicht will – es sei, so | |
May, gegen den vorliegenden Deal, gegen Neuwahlen, gegen eine zweite | |
Volksabstimmung und gegen einen Brexit ohne Deal; jetzt sei der Zeitpunkt | |
gekommen, um sich für und nicht nur gegen etwas auszusprechen. | |
Worum es May jetzt geht, ist seit Tagen Objekt hitziger Beratungen | |
innerhalb der Konservativen: der ungeliebte „Backstop“, der im Namen | |
offener Grenzen auf der Insel Irland das gesamte Vereinigte Königreich in | |
der EU-Zollunion belässt, solange es keine anderen Arrangements gibt, mit | |
einem Veto der EU über eine Beendigung dieses Zustandes. Eine | |
Mitgliedschaft eines souveränen Staates in einer Zollunion, die nicht | |
souverän aufkündbar ist, sei völkerrechtlich und verfassungsrechtlich | |
untragbar, argumentieren viele Brexit-Hardliner und sagen: [2][lieber No | |
Deal als dieser]. | |
Da aber die Mehrheit des Parlaments einen No-Deal-Brexit wohl an jeder Ecke | |
blockieren würde, ist die Frage einer Veränderung des Backstops, um dem | |
Deal doch noch zur Mehrheit zu verhelfen, ins Zentrum der Diskussion | |
gerückt. Zur Debatte und Abstimmung stand nun am Dienstag ein vom | |
konservativen Fraktionsführer Graham Brady eingebrachter Antrag, wonach das | |
Parlament „die Ersetzung des [3][Nordirland-Backstops mit alternativen | |
Maßnahmen zur Vermeidung einer harten Grenze fordert], den Austritt aus der | |
EU mit einem Deal unterstützt und daher das Austrittsabkommen vorbehaltlich | |
dieser Veränderung unterstützen würde.“ | |
Der „Brady-Antrag“, für dessen Annahme May explizit warb, ist einer von | |
sieben, die vom Parlamentspräsidenten John Bercow zur Abstimmung ab 20 Uhr | |
zugelassen worden sind. Formal stimmt das Unterhaus lediglich über eine | |
„neutrale Erklärung“ ab, in der es die Stellungnahme der Premierministerin | |
über ihr weiteres Vorgehen m Brexit zur Kenntnis nimmt. Es ist aber | |
möglich, diese Erklärung durch Zusätze wie eben jenen von Brady zu ergänzen | |
und dadurch mit Substanz zu füllen. | |
## Politischer und verfassungsrechtlicher Sprengstoff | |
Weitere Zusatzanträge, die Bercow zur Abstimmung zuließ, könnten die Dinge | |
in eine ganz andere Richtung verändern. Vier davon sehen eine Verschiebung | |
des Brexit-Termins am 29. März vor. Einer, eingebracht von | |
Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn, spricht lediglich vage von | |
„genügend Zeit, um Möglichkeiten zu beraten und abzustimmen, die | |
verhindern, dass das Vereinigte Königreich die EU ohne ein ratifiziertes | |
Austrittsabkommen verlässt“. | |
Ein anderer Antrag, eingebracht von Labour-Exministerin Yvette Cooper mit | |
Unterstützung durch konservative Brexit-Gegner, ist spezifischer: die | |
Regierung soll verpflichtet werden, bei der EU die Verschiebung des Brexit | |
um bis zu neun Monate zu beantragen, sollte es bis zum 26. Februar keine | |
Einigung im Parlament geben. Konkret setzt der vorliegende Antrag ein neues | |
Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des bestehenden Brexit-Gesetzes – das | |
den Termin am 29. März festschreibt – an. Zu diesem Zweck soll am 5. | |
Februar die normale Geschäftsordnung des Parlaments ausgesetzt werden, | |
damit das entsprechende Gesetzgebungsverfahren eingeleitet werden kann. | |
Dieser Antrag birgt erheblichen politischen und verfassungsrechtlichen | |
Sprengstoff. Es ist unklar, ob das Parlament selbst die Aussetzung der | |
eigenen Geschäftsordnung beschließen darf, ob es rechtens ist, die Hände | |
der Regierung auf diese Weise zu binden, ob das gewünschte | |
Gesetzesverfahren überhaupt rechtzeitig zu einem | |
Brexit-Verschiebungs-Antrag bei der EU vor dem 29. März abgeschlossen | |
werden kann und ob ein solcher Antrag bei der EU Erfolg hätte, wenn er | |
lediglich dazu dient, die britisch Dauerdebatte zu verlängern. | |
## Liegt der Ball bei den Briten? | |
Der Cooper-Antrag wird allerdings sehr ernst genommen und Theresa May | |
erlaubte in ihrer Eröffnungsrede gleich drei Zwischenfragen der | |
Labour-Politikerin. Ihre Linie gegenüber Cooper sowie einem ähnlichen, | |
weniger präzisen Antrag aus den eigenen Reihen: solche Forderungen seien | |
„zutiefst irregeleitet“ und „unverantwortlich“. Die Verhinderung eines | |
No-Deal-Brexits sei nicht durch Verschieben des Austrittstermins zu | |
erreichen, sondern nur durch eine Mehrheit für einen Deal, so May. | |
Die Premerministerin versuchte auch, Cooper mit eigenen neuen Fristen den | |
Wind aus den Segeln zu nehmen. Während die Labour-Politikerin eine Frist | |
bis zum 26. Februar vorsieht, um eine Brexit-Einigung im Parlament zu | |
erreichen, stellte May eine neue Abstimmung im Parlament in Aussicht, | |
sollte sich bereits bis 13. Februar keine Mehrheit für irgendetwas ergeben | |
haben. | |
Aber May hofft eigentlich, jetzt schon die Konservativen und die | |
nordirische protestantische DUP hinter ihren Kurs zu scharen. Dann aber | |
bleibt immer noch offen, ob die EU sich auf die Forderung nach | |
Neuverhandlungen einlässt. Bisher hat Brüssel das strikt abgelehnt – aber | |
zugleich betont, der Ball liege bei den Briten, um neue Vorschläge zu | |
unterbreiten. Dass ein neuer, mehrheitsfähiger Vorschlag der britischen | |
Seite nicht identisch sein kann mit dem bestehenden, bereits in London | |
abgelehnten Abkommenstext, liegt eigentlich auf der Hand. | |
29 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Theresa-May-im-Unterhaus-zum-Brexit/!5567672 | |
[2] /Labourchef-erwaegt-zweites-Referendum/!5567747 | |
[3] /Brexit-Knackpunkt-innerirische-Grenze/!5564208 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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