# taz.de -- Berlinale „Ich war zuhause, aber“: Vom Tod durchwirkt | |
> Regisseurin Angela Schanelec zeigt in „Ich war zuhause, aber“ ein | |
> zerfallendes Familiengefüge, das zerfällt und sich neu zusammensetzt. | |
Bild: Jakob Lassalle und Clara Möller spielen Geschwister, die sich Halt geben… | |
Das letzte Bild: Ein Esel sieht mich an. Er wendet auf den Betrachter den | |
Blick. Damit schließt sich ein Kreis, denn mit einem Natureingang eröffnet | |
der Film: Ein Kaninchen wird gejagt, dann ist es tot. Aus dem Nichts dieser | |
Esel. | |
Man ist versucht, diesen Beginn und dieses Ende symbolisch zu nehmen. Weil | |
aber Symbole etwas sind, das Bezüge in Richtung eines Aufgehens und | |
Auflösens fügt, ist das angesichts eines so ungefügen, aus allen Fugen | |
strebenden Films nicht der Begriff, der hier passt. | |
Der Begriff dafür ist vielmehr Allegorie. Sie benennt die Bewahrung des | |
Nebeneinanders der Dinge und Worte in einer Spannung, die bleibt, die keine | |
Auflösung findet; sie benennt die Offenheit für eine andere Sprache, die | |
neben der wörtlichen Rede als eigenständige zu stehen vermag. | |
So nämlich ist „Ich war zuhause, aber“, Angela Schanelecs neuester Film. Es | |
stehen hier die Dinge, die Szenen, die Körper, die gesprochenen und | |
ungesprochenen Worte eigenständig nebeneinander. Die häusliche Szene am | |
Frühstückstisch neben dem blutig gestoßenen Fuß, um den eine Binde geführt | |
wird. Der banale Streit um ein Fahrrad, das nicht tut, was es soll, mit der | |
rhythmisierten Sprache von „Hamlet“, den Kinder hier spielen, als ginge es | |
um ihr eigenes Leben. | |
## Er singt ihr ein Lied | |
Ein Lehrer (Franz Rogowski) und seine Freundin (Lilith Stangenberg) in | |
einem Gespräch darüber, ob sie ein Kind in die Welt setzen wollen, steht | |
neben einem sich immer weiter erhitzenden Dialog über das, was Schauspieler | |
tun. | |
Dies und sehr viel mehr ist im Spiel, ein Sohn, der verschwunden war, und | |
seine Schwester, ihre Sorge umeinander, er singt ihr ein Lied, er trägt sie | |
wie Christophorus über das Wasser, ein Idyll, das sich nicht widerstandslos | |
zu viel Unidyllischem fügt. | |
Es ist die Mutter der beiden, Astrid (Maren Eggert), die im Zentrum des | |
Films steht, das der allerdings so wenig hat, wie es eine Geschichte gibt, | |
die mehr wäre als eine lose, wenngleich beziehungsreiche Versammlung all | |
dessen, was hier, als wäre es ein Leichtes, zwischen Alltagsdinge und hohen | |
Ton, zwischen Erdverbundenes und Himmelhochstrebendes gespannt wird. | |
Der Titel des Films, „Ich war zuhause, aber“, spielt auf Yasujiro Ozus „I… | |
wurde geboren, aber …“ an, er tut es mit Recht. Am Gewicht der Welt trägt | |
der Mensch bei Ozu meist nicht sehr schwer. Er nimmt hin, was kommt, an | |
Freude und Leid. Das ist bei Schanelec anders, aber um das Gewicht der Welt | |
geht es bei ihr wie bei ihm. Um das Gewicht der Welt, wie es zu tragen ist, | |
um das Leben, den Tod und auch das Weiterleben nach dem Verlust. | |
## Bezug, der nichts erklärt | |
Astrids Mann, der Vater der Kinder, ist vor zwei Jahren gestorben, | |
Theaterregisseur ist er gewesen wie Jürgen Gosch, Angela Schanelecs Mann. | |
(Auch das ein Bezug, der nichts erklärt, nichts auflöst, das der Film | |
präsentiert.) | |
Vom Tod durchwirkt ist hier alles. Hamlet wird sterben, auf eine halbe | |
Stunde schnurrt seine Frist. | |
In einer atemberaubenden Sequenz in der Nacht überwindet Astrid die Mauer | |
des Friedhofs, wie sterbend legt sie sich auf die Erde, die Arme | |
ausgestreckt, den Grabstein berührend, dazu spielt M. Wards Coverversion | |
von David Bowies „Let’s Dance“, „Because my love for you would break my | |
heart in two if you should fall into my arms and tremble like a flower“, | |
ein Vogel fliegt auf, sternklar ist die Nacht, dann Szenen, in denen Astrid | |
mit den Kindern (Jakob Lassalle und Clara Möller) sich rhythmisch bewegt, | |
ein Greifen und Tanzen, zurück auf den Friedhof, zur liegenden Astrid, ein | |
kleiner Vogel gesellt sich zu ihr. | |
Dass das nicht Kitsch ist, im entferntesten nicht, zeugt von der | |
traumwandlerischen Sicherheit, mit der Angela Schanelec den Worten, den | |
Bildern, dem Schweigen, den Körpern die Freiheit lässt, sich zu binden und | |
auch sich zu lösen. | |
12 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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