# taz.de -- Menschenfeindlichkeit im Alltag: Tabubruch in Bramsche | |
> Als eine Frau bittet, Autos wegzufahren, um einen Bus mit Menschen mit | |
> Behinderung durchzulassen, eskaliert es. Dabei fällt das Wort „Vergasen“. | |
Bild: „Willkommen“ heißt es in Bramsche – aber nicht alle erleben das so | |
Osnabrück taz | Vergasen. Ob dieses Wort wirklich fällt, am 8. Januar in | |
Bramsche bei Osnabrück, im ländlich-idyllischen Ortsteil Pente, auf dem | |
Zitterweg, kurz nach 17 Uhr, ist schwer zu beweisen. Aber dass Emotionen | |
hochkochen an einem Bus, der ein Dutzend Menschen mit Behinderung nach | |
Hause fahren will, von ihrer Arbeit bei der Heilpädagogischen Hilfe | |
Bersenbrück, ist unbestreitbar. Viele haben es gesehen. | |
Eine Rentnerin, 74, ihren Namen liest sie lieber nicht in der Zeitung, | |
wühlt das Geschehen bis heute auf: Ihr Sohn saß mit im Bus, ihr Haus steht | |
nur wenige Gehminuten entfernt. „Demütigend war das. Die Fahrgäste wurden | |
beschimpft, haben geweint.“ | |
Rund 25 Autos säumen beide Seiten der Durchgangsstraße. Im Turnverein Pente | |
geht gerade ein Kinderturnkurs zu Ende, ein anderer beginnt, und auf den | |
Vereinsparkplatz zu fahren, ist vielen Eltern wohl zu umständlich. Der Bus | |
kommt nicht durch. Viertelstunden lang. | |
Die alte Dame geht in die Turnhalle, bittet ums Wegfahren. Wortgefechte | |
brechen los. Die setzen sich draußen auf der Straße fort, vor dem Bus. „Da | |
waren Sachen zu hören wie: ‚Sie sollten schleunigst nach Bersenbrück | |
gebracht werden, da kommen Sie in den Ofen!‘“ Die alte Dame fragt nach: | |
„Vergasen?“ „Ja!“ | |
Vergasen. Gerade für die 74-Jährige ist das ein unfassbares Wort. | |
Jahrzehnte hat sie Erinnerungsarbeit geleistet. Ihr Vater war Jude – und | |
KZ-Insasse. Sie ist bekannt in Bramsche als Antifaschistin. Was am 8. | |
Januar geschieht, wertet sie als Beweis dafür, „wie stark das Denken aus | |
der Vergangenheit noch immer verwurzelt ist“. | |
Die Bustür sei umdrängt worden. Es habe Drohgebärden gegenüber den | |
Fahrgästen gegeben. Der Busfahrer habe die Tür blockiert, um zwei | |
Vereinsmitglieder am Eindringen zu hindern. Schließlich habe er die Wache | |
des Polizeikommissariats Bramsche angerufen, Nummernschilder durchzugeben | |
versucht, immer wieder, ohne Erfolg. „Lernen Sie erst mal anständig | |
Deutsch!“, habe es geheißen, erinnert sich die alte Dame. „Daraufhin habe | |
ich selbst mit der Polizei gesprochen. Das Deutsch des Fahrers sei zu | |
schlecht, sagte die, außerdem habe man jetzt keine Zeit.“ | |
André Soßna, damals 1. Vorsitzender des Turnvereins Pente, bestätigt den | |
Vorfall. Er selbst ist kein Augenzeuge, aber er hat mit vielen Beteiligten | |
geredet, um die Sache aufzuklären. „Die Ursache war ganz klar ein | |
Fehlverhalten von Mitgliedern unseres Vereins.“ Gegenüber der 74-Jährigen | |
seien „wirklich böse Worte“ gefallen. Auch „Vergasen“? Man merkt Soßna | |
seine Betroffenheit an. „Das hat mir niemand bestätigt.“ Wer etwas | |
Derartiges sage, den schließe sein Verein sofort aus. Eine Woche später hat | |
Soßna sich dann an der Halle an die Straße gestellt, hat jedem, der falsch | |
parken wollte, „sehr deutlich gesagt, dass das so nicht geht“. Seither habe | |
sich die Lage entschärft. | |
## Die Polizei weiß nichts | |
Oberkommissar Frank Oevermann von der Polizeiinspektion Osnabrück weiß nur | |
von einer Verkehrsbehinderung: „Von einer Auseinandersetzung in der | |
Sporthalle oder am Bus wurden wir nicht in Kenntnis gesetzt.“ Der Busfahrer | |
habe sich „einwandfrei verständlich mit dem Kollegen unterhalten“ und das | |
Kennzeichen eines behindernd abgestellten Pkw mitgeteilt; daraufhin habe | |
die Wache mit dessen Halter telefoniert. | |
„Etwa zeitgleich meldete sich eine Hinweisgeberin aus der Sporthalle und | |
teilte mit, dass die Besucher der Halle ihre Fahrzeuge bereits entfernt | |
hätten. Ein polizeiliches Einschreiten war daher nicht mehr erforderlich.“ | |
Welche Worte am Telefon gefallen sind, lässt sich nicht nachweisen. „Anrufe | |
im Polizeikommissariat Bramsche“, so Oevermann, „werden nicht | |
mitgeschnitten oder gespeichert.“ | |
Mitarbeiter der Heilpädagogischen Hilfe waren am 8. Januar nicht vor Ort. | |
„Unser mit dem Busunternehmen zusammenarbeitender Fahrdienst“, sagt | |
Elisabeth Schomaker von der Heilpädagogischen Hilfe Bersenbrück, „ist nicht | |
informiert worden.“ Ihr Fazit: „Sollte der Vorfall so stattgefunden haben, | |
trifft es uns sehr.“ Man habe den Turnverein Pente gebeten, „Maßnahmen zu | |
ergreifen, um derartige Vorfälle in Zukunft auszuschließen“. | |
## Das Busunternehmen schweigt | |
Heiner Pahlmann, Bürgermeister der Stadt Bramsche (SPD), schreibt der taz: | |
„Ich habe von dem (vermeintlichen) Vorfall aus Ihrer Mail erfahren.“ Sie | |
habe sein Büro telefonisch um einen Termin gebeten, sagt dagegen die | |
74-Jährige, „und dabei über den Sachverhalt informiert, gleich damals“. | |
Pahlmann: „Bei mir ist kein Anruf eingegangen.“ | |
Jörg Beckermann, Geschäftsführer des Bramscher Busunternehmens Beckermann, | |
schweigt. Alle Anfragen der taz bleiben bis zum Redaktionsschluss | |
unbeantwortet. Die streitbare Rentnerin: „Mir hat das Unternehmen gesagt, | |
ich soll ihren Fahrer nicht aufhetzen.“ Der habe das Ganze übrigens mit | |
seinem Handy gefilmt. | |
Filiz Polat, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen aus Bramsche: | |
„Die Schilderungen machen mich fassungslos.“ Antisemitismus habe in unserer | |
Gesellschaft keinen Platz. In solchen Fällen werde der Staatsschutz | |
eingeschaltet. „Ich erwarte eine umfassende Aufklärung von allen | |
Beteiligten – insbesondere der Behörden und der Stadt Bramsche“, sagt | |
Polat. „Und sollten sich die Vorwürfe bestätigen, auch rechtliche | |
Konsequenzen.“ | |
12 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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