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# taz.de -- Loveparade-Prozess in Düsseldorf: 21 Tote, kein Schuldiger
> Das Verfahren gegen sieben Angeklagte wird eingestellt. Drei weitere
> müssen wegen Verjährung wohl kein Urteil mehr fürchten.
Bild: In Erinnerung an die Opfer in Duisburg
Düsseldorf taz | Mit Tränen in den Augen steht Nadia Zanacchi vor dem
Osteingang des riesigen Düsseldorfer Messegeländes am Rhein. Seit über
einem Jahr versucht das Landgericht Duisburg in diesem zur Außenstelle
erklärten Kongresszentrum zu klären, wer die Verantwortung für die
Loveparade-Katastrophe vom 24. Juli 2010 trägt. Zanacchis Tochter Julia
gehört zu den 21 Menschen, die in der Todeszone zwischen dem dreckigen,
niedrigen und 18 Meter engen Karl-Lehr-Tunnel und dem eigentlichen
Loveparade-Gelände auf Duisburgs ehemaligem Güterbahnhof totgetreten
wurden.
Die damals 21-jährige Italienerin starb wie alle weiteren Todesopfer an
Quetschungen des Brustkorbs. Jetzt lässt der Prozess ihre Mutter noch
einmal verzweifeln: „Das deutsche Justizsystem versagt“, erklärt Zanacchi
auf Englisch. „So etwas wäre nicht einmal in Italien möglich.“
Dieses Etwas – das ist der Versuch des Gerichts, den Mammutprozess gegen
zehn Angeklagte ohne Urteil einzustellen. Die individuelle Schuld der
Angeklagten sei allenfalls „gering bis mittelschwer“, hatte der Vorsitzende
Richter Mario Plein nach einem Rechtsgespräch mit Staatsanwälten,
Verteidigern und Nebenklägern bereits am 18. Januar verkündet. Am Dienstag
nun haben Anklage und sieben der zehn Beschuldigten – darunter sechs
Mitarbeiter*innen der Duisburger Stadtverwaltung sowie der bei der
Veranstaltungsfirma Lopavent angestellte „Kreativdirektor“ der Duisburger
Loveparade – der Einstellung zugestimmt.
Zwar will das Gericht die Einstellung ihrer Verfahren formal erst
beschließen, nachdem an diesem Mittwoch auch alle Vertreter*innen der
Nebenklage zu Wort gekommen sind. Mit höchster Wahrscheinlichkeit aber
dürfte der Prozess für diese sieben Angeklagten damit zu Ende sein: ohne
Verurteilung, ohne jede Auflage. Dennoch betonten viele Verteidiger am
Dienstag nochmals, ihre Mandanten hielten sich für unschuldig.
## Zu viele Beteiligte
Möglich macht das [1][Paragraf 153 der Strafprozessordnung]. „Angesichts 21
Toter und über 650, zum Teil schwer verletzter und noch heute
traumatisierter Personen“ sei eine Einstellung „gerade den Angehörigen der
Verstorbenen und den Verletzten nur schwer zu vermitteln“, heißt es zwar in
einer von Oberstaatsanwalt Uwe Mühlhoff verlesenen Erklärung der
Anklagebehörde. Der von Nebenklägern und Teilen der Öffentlichkeit erhobene
Vorwurf, die Justiz drücke sich vor einer Entscheidung, wies Mühlhoff aber
vehement zurück: Für eine rechtssichere Verurteilung wegen fahrlässiger
Tötung reiche das individuell feststellbare „schuldhafte Verhalten“ der
Angeklagten nicht aus.
Ähnlich argumentiert hatte auch Richter Plein schon bei Verkündigung der
Ergebnisse des Rechtsgespräches am 18. Januar: Grund für die
Loveparade-Katastrophe war nach Ansicht des Gerichts ein „multikausales
Geschehen“. Zur tödlichen Enge auf der Rampe zwischen Tunnel und altem
Güterbahnhof habe auch die Polizei beigetragen, die dort eine Kette aus
Beamten postiert und so ein Weiterkommen unmöglich gemacht habe. In die
drangvolle Enge sei dann zudem ein Polizeiwagen gefahren – die Massenpanik
wurde so verstärkt.
Ein leitender Polizeiführer musste sich aber nie vor Gericht verantworten:
Nordrhein-Westfalens damaliger Innenminister Ralf Jäger (SPD) war sich
sofort sicher, dass seine Beamten keine Schuld treffe. Auch
Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller, der mit dem Mega-Rave Werbung für
seine Billigfitnessstudio-Kette McFit machen wollte, wurde nicht
angeklagt, ebenso wenig wie Duisburgs damaliger Oberbürgermeister Adolf
Sauerland. Dabei hatte der Christdemokrat verwaltungsintern immer wieder
Druck gemacht und erklärt, wie dringend seine von der Deindustrialisierung
gebeutelte Stadt ein international beachtetes Event wie die Loveparade
brauche.
Beide hätten sich nicht mit der Planung der Loveparade beschäftigt,
erklärte die Staatsanwaltschaft schon 2014. „Strafrechtlich“ treffe sie
deshalb keine Schuld. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des
Landtags kam ebenfalls nicht zustande: Die großen Fraktionen von SPD und
CDU konnten so ihre Parteifreunde Jäger und Sauerland aus der Schusslinie
nehmen.
## Mittelschwere Schuld
Stattdessen wird der im Dezember 2017 begonnene Prozess mit seinen mehr als
100 Nebenklägern, von denen die Angehörigen der Opfer und viele der 652 zum
Teil schwer Verletzten vertreten werden, jetzt lediglich gegen drei weitere
Beschäftigte von Schallers Lopavent weitergehen. Der Produktionsleiter, der
technische Leiter, und der ihnen firmenintern hierarchisch untergeordnete
Sicherheitschef, denen Gericht und Staatsanwaltschaft eine „mittelschwere“
Schuld zuweisen, erklärten sich nicht mit der Einstellung ihrer Verfahren
einverstanden. Die Anklage hatte ihnen Geldzahlungen – ausdrücklich keine
Strafen oder Bußen – in Höhe von 10.000 Euro an gemeinnützige
Organisationen auferlegen wollen.
„Nicht nachvollziehbar“ sei das, argumentierte etwa die Anwältin des
technischen Leiters: So sei ihr Mandant in die Fehlplanung, die an das
Loveparade-Gelände angrenzende Autobahn 59 nicht von Anfang an als
Fluchtweg vorzusehen, „in keiner Form eingebunden“ gewesen.
Setzen dürften die verbliebenen drei Angeklagten dagegen auf die drohende
Verjährung: Exakt zehn Jahre nach der Loveparade-Katastrophe, also am 24.
Juli 2020, wird der Prozess in jedem Fall enden – dann auch ohne Urteil
oder Geldauflagen.
5 Feb 2019
## LINKS
[1] /Einstellung-von-Prozessen/!5567543
## AUTOREN
Andreas Wyputta
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