# taz.de -- Philosoph über mehr Klimaschutz: „Ein gerechter Übergang ist wi… | |
> Am Dienstag gab es wieder einen Gipfel mit der Kanzlerin, um den | |
> Kohleausstieg zu beschleunigen. Darrel Moellendorf plädiert für mehr | |
> Gerechtigkeit. | |
Bild: Zankapfel Kohleausstieg: Was wäre gerecht? | |
taz: Herr Moellendorf, in Europa und außerhalb hängen viele Arbeitsplätze | |
am Kohleabbau . Wenn die Weltgemeinschaft von der Kohleenergie abrückt, was | |
wird dann aus diesen Menschen? | |
Darrel Moellendorf: Ein gerechter Übergang zu einer grünen Wirtschaft für | |
die Bergarbeiter in Deutschland, Polen und anderswo ist wichtig, weil sie | |
nicht unter Arbeitslosigkeit und Armut leiden dürfen, während neue | |
Industrien für erneuerbare Energien sehr reich werden. Das ist auch | |
politisch wichtig, da der Rückhalt für eine Klimapolitik, die wir künftigen | |
Generationen schulden, davon abhängt, dass es Vorteile hat, den Klimawandel | |
zu bekämpfen. | |
Wie schaffen wir diesen [1][gerechten Übergang]? | |
Beschäftigte in der Fossilindustrie sollten Unterstützung und Umschulungen | |
erhalten, damit sie andere Berufe annehmen können. Auch ein bedingungsloses | |
Grundeinkommen scheint angemessen. Es wäre ein großer politischer Fehler, | |
den Klimawandel mit einer Form von Austeritätspolitik in Verbindung zu | |
bringen. In den USA gibt es Diskussionen über eine Gesetzesvorlage mit dem | |
Namen Green New Deal. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. | |
Die Weltgemeinschaft hat sich in Kattowitz auf einen [2][Fahrplan zur | |
Begrenzung der CO2-Emissionen] geeinigt. War das auch ein Schritt in die | |
richtige Richtung? | |
Die Ergebnisse in Kattowitz berücksichtigen einen wichtigen Aspekt der | |
internationalen Gerechtigkeit: Die Festlegung gemeinsamer Regeln für die | |
Messung und Berichterstattung von Emissionsminderungen. Diese Transparenz | |
ist wichtig, um Vertrauen zu schaffen. | |
Und wenn jeder Mensch gleich viel CO 2 -Emissionen ausstoßen würde, wäre | |
das gerecht? | |
Wenn unsere Emissionen gegen Null gehen, konvergieren sie auch zu gleichen | |
Emissionen pro Kopf. Aber das ist ein Zufall, nicht das Ziel. Gerecht wäre | |
die Klimapolitik vor allem dann, wenn die Weltgemeinschaft rasch | |
Netto-Null-CO2-Emissionen erzielt und zwar so, dass sie die Entwicklung der | |
Entwicklungsländer nicht beeinträchtigt. | |
Aber wie soll das gehen? | |
Dafür müssen sich alle Länder zu Emissionsreduktionen verpflichten und | |
diese nach und nach anziehen. Entwicklungsländer müssen ihre | |
Energieproduktion neu strukturieren und von der Kohleenergie weg hin zu den | |
erneuerbaren Energien. Die ärmsten Länder sollten in der Lage sein, den | |
Einsatz fossiler Energien zu überspringen, was aber einen | |
Technologietransfer und Entwicklungshilfe durch Industrieländer | |
voraussetzt. | |
Wie könnten die Klimaverhandlungen gerechter ablaufen? | |
Gerechter wäre es, die Entwicklungsländer nicht unter Druck zu setzen und | |
ein bestimmtes Klimaschutzziel zu akzeptieren. Wichtig ist nämlich das | |
Recht auf nachhaltige Entwicklung, das die Klimarahmenkonvention anerkennt. | |
Um dieses Recht zu respektieren, müssen die vermögenden Industrieländer | |
stärker belastet werden. Die können nämlich am ehesten Emissionen | |
reduzieren, ohne das moralisch verpflichtende Ziel der Armutsüberwindung | |
einzuschränken. Alle Länder bringen ihre eigenen Ziele zu den Vereinten | |
Nationen, aber die Summe dieser Ziele ist nicht ausreichend. Auch der | |
Gerechtigkeit zwischen den Generationen wäre gedient, wenn alle Länder | |
ehrgeizigere Minderungsziele annehmen. | |
Darf die Wirtschaft in Industriestaaten wie Deutschland überhaupt noch | |
wachsen? Das würde doch einen weiteren Anstieg von CO 2 -Emissionen | |
bedeuten. | |
Wirtschaftswachstum ist nicht das Problem. Nach ökonomischen Einschätzungen | |
des Weltklimarats IPCC ist ein Wachstum der Weltwirtschaft mit dem | |
1,5-Grad-Ziel vereinbar. Der Ökonom Thomas Piketty zeigte, dass ein | |
verlangsamtes Wirtschaftswachstum die Schere zwischen arm und reich | |
weltweit vergrößern würde. Dazu gehört auch, dass Wachstum ein Treiber für | |
technologische Innovationen ist. Und die brauchen wir dringend bei der | |
Energieproduktion und bei dem Entfernen von CO2-Emissionen aus der | |
Atmosphäre. | |
Wenn nicht das Wirtschaftswachstum entscheidend für den Klimaschutz ist, | |
was dann? | |
Die Frage ist eher, ob die Verbrennung von fossilen Brennstoffen ansteigen | |
wird. Die Finanzkrise 2009 hat gezeigt, dass in Industrieländern, in denen | |
die Wirtschaft einbricht, die Emissionen nur wenig sinken, aber die | |
Rezession auf der ganzen Welt viel Elend verursacht. Die Weltbank schätzt | |
für einen Prozent Wachstumsverlust bis zu 20 Millionen Menschen in Armut. | |
Eine Politik des Wachstumsrückgangs steht also nicht im Einklang mit dem | |
Recht auf nachhaltige Entwicklung. | |
Die Schweden wollen der Umwelt zuliebe nicht mehr fliegen und haben jetzt | |
ein eigenes Wort dafür: [3][„Flugscham“]. Sollte sich jeder für seine | |
Flugreisen schämen? | |
Kampagnen, die gewöhnliche Menschen beschämen wollen, sind politisch nicht | |
nützlich und lösen keine Probleme. Ohne politische Änderungen, die auf | |
Energieverbrauch und Landwirtschaft abzielen, bleiben die CO2-Emissionen | |
weiter zu hoch. Die Menschen werden legitimerweise weiter fliegen wollen. | |
Das ist ein Teil der globalisierten Welt, in der wir leben, und da gibt es | |
kein zurück. Die meisten von uns wollen das auch gar nicht. Wir benötigen | |
neue Formen der Luftfahrttechnologie. Letztlich müssen wir auch Verfahren | |
entwickeln, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen. | |
Und wenn auf absehbare Zeit keine neuen Technologien entwickelt werden? | |
Der Flugverkehr wird natürlich weiterhin Emissionen verursachen, bis eine | |
neue Flugzeugtechnologie entwickelt worden ist. Wirtschaftlich und | |
politisch ist es unrealistisch zu glauben, wir könnten von einer Welt, in | |
der wir den Luftverkehr nutzen, Abschied nehmen. Emissionen aus dem | |
Luftverkehr müssen wie andere Emissionen aus der Atmosphäre entfernt | |
werden. Jedes Szenario, das vom Weltklimarat untersucht wurde, um die | |
Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, erforderte den Einsatz von Technologie | |
zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre. Es scheint keinen anderen Weg zu | |
geben, um den Klimawandel ausreichend zu mildern, ohne dass die Wirtschaft | |
völlig zusammenbricht. | |
Wo verläuft die Grenze zwischen einem klimagerechten und einem | |
klimaungerechten Lebensstil? | |
Hier gibt es keine klaren Linien. Der Versuch, sie zu zeichnen, wäre | |
töricht. Wir sollten alle auf unsere Emissionen achten, aber der | |
klimafreundlichste Lebensstil besteht wahrscheinlich darin, politischen | |
Druck auszuüben. | |
In Deutschland diskutierte man zuletzt über die Einführung eines | |
sogenannten [4][„Klimapasses“]. Damit würden Menschen, die ihre Heimat | |
aufgrund des Klimawandels verlieren, die Möglichkeit auf Asyl bekommen. | |
Ohne Zweifel müssen wir etwas in diese Richtung tun. Der Klimawandel | |
erfordert wahrscheinlich eine Umsiedlung der Menschen, zumindest saisonal, | |
in vielen Fällen jedoch dauerhaft. Die Industrieländer sind mit dem | |
globalen Migrationsdruck nicht gerade auf vorbildliche Weise umgegangen. | |
Die Gerechtigkeit erfordert es jedoch. | |
16 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Sinan Recber | |
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