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# taz.de -- Musiktexte im Wandel der Zeit: Die Joy-Periode ist lange zu Ende
> Seit 1951 hören die Menschen immer mehr Lieder mit traurigen und
> aggressiven Texten, sagt eine Studie. Eine dystopische Lesart dafür liegt
> nahe. Oder?
Bild: „Happy“? Lieder wie das von Pharrell Williams sind schon eher außerg…
Natürlich, der Kapitalismus ist schuld. Sich auch nur mal probeweise von
einem Muster zu lösen, welches das Ergebnis einer gerade erschienenen
„Quantitativen Stimmungsanalyse“ (Quantitative Sentiment Analysis) von
Popsongtexten anders erklärt als mit unserer Art, zu wirtschaften und
dementsprechend individuell zu fühlen und sozial zu interagieren, fällt
schwer. Zu offensichtlich auf aktuell offene Ohren trifft der Trend, dass
im Untersuchungszeitraum von 1951 bis 2016 Ekel, Angst, Traurigkeit,
Unsicherheit und vor allem Wut in Liedzeilen fast stetig zugenommen haben,
während der Ausdruck von Vertrauen, hippiesker Freude und Offenheit
zurückgegangen ist.
Forscherinnen der [1][Lawrence Technological University in Michigan] haben
dazu die Texte von 6.150 Songs der US-amerikanischen Hitliste Billboard Hot
100 einer computergestützen Gefühlsanalyse mit dem „Stimmungs“-Programm
Tone Analyzer unterzogen. Die Wörter in den Songs werden dabei einer Reihe
von Gefühlen zugeordnet, die sie ausdrücken können. Die Kombination
bestimmt die Stimmung des Lieds. Die Stimmungen aller
Billboard-Hot-100-Songs in jedem Jahr werden gemittelt, und der
Durchschnitt jedes Jahres erlaubt es zu messen, ob der Ausdruck dieser
Stimmungen zugenommen, abgenommen hat oder konstant geblieben ist. Das
Ergebnis spiegele dabei nicht die tatsächliche Musikproduktion wider,
sondern vielmehr das, was die Konsumenten hätten hören wollen, schreiben
Lior Shamir und Kathleen Napier im [2][Journal of Popular Music Studies].
Versteht man die überproportional anwachsende Wut in den Songs als
Ausdruck direkter Konfrontation, kommt man vielleicht am besten von einer
rein dystopischen Lesart der Studie weg. Demokratischer und diverser
werdende Gesellschaften erlauben eben auch einen höheren Grad von
aggressivem und selbstbewussten Ausdruck der Unzufriedenheit. Umgekehrt
wird man das absolute Gute-Laune-Hoch in den 1950ern und gerade das letzte
in der Studie festgestellte Wut-Tief 1982–1984 schon aus eigener Erfahrung
nicht unbedingt als Zeiten paradiesischer Zustände markieren wollen. Und
dass die Botschaft des 1975er-Top-Songs [3][„Love will keep us together“]
der ebenfalls ermittelten kurzen 1970er-“Joy-Periode“ nicht glaubhaft
durchzuhalten war, liegt auf der Hand.
## Die Wut ist gewachsen
Anzumerken ist ferner, dass sich der allgemeine Sprachgebrauch verändert
hat: Heute bekommt man von Unbekannten oder Vollidioten „Liebste Grüße“
bestellt, und wer eine Sache nur „gut“ oder „schön“ findet, muss impli…
beim Gegenüber mit Enttäuschung rechnen – denn sonst hätte man ja ein
„sehr, sehr gut“ oder „sehr, sehr schön“ gewählt.
Solch sprachkritischen Spielchen stehen dann aber doch die harten Fakten
der Studie entgegen. Seit den 1990ern bis heute ist die Wut gewachsen. Für
die geschröpften, neue Musik konsumierenden Millennials, also US-Amerikaner
unter 40, ist es die Epoche einer einzigen langen Rezession, in der die
Hoffnungen auf einen ihren Eltern vergleichbaren oder ihn gar
übersteigenden Lebensstandard vom Winde verweht worden sind. „Firmen
investieren gar nicht oder verteilen das Geld an ihre Shareholder“, zitiert
ein [4][Kommentator] der Studie einen kürzlichen erschienenen Artikel der
New York Times „[5][The Fleecing of Millenials]“. „Der Graben zwischen den
Generationen bei Einkommen und Wohlstand ist gewachsen.“
Wie das alles mit dem fröhlichen Volksgemeinschaftsgefühl zusammengeht, mit
dem hiesige Topseller à la [6][Andreas Gabalier] die Stadien füllen – dazu
würde man auch gern mal eine Studie lesen.
30 Jan 2019
## LINKS
[1] https://www.ltu.edu/news/?_from=%2Findex.asp&_opt=detail&_cid=11830…
[2] http://jpms.ucpress.edu/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=_QNEf9oGw8o
[4] https://www.psychologytoday.com/intl/blog/the-athletes-way/201901/anger-and…
[5] https://www.nytimes.com/2019/01/27/opinion/buttigieg-2020-millennials.html
[6] /Karl-Valentin-Orden-fuer-Andreas-Gabalier/!5565667
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Studie
Pop
USA
Kapitalismus
Musikrezeption
Andreas Gabalier
Musik
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