# taz.de -- Gelbwesten in Großbritannien: Yellow Vests statt Gilets Jaunes | |
> Zwei Ehrengäste der Protestbewegung aus Frankreich sollten eine linke | |
> Kundgebung schmücken. Dann kamen Rechte – ebenfalls mit gelben Westen. | |
Bild: Die Stars der Kundgebung: Erick Simon und Laurie Martin | |
LONDON taz | Eigentlich war es ein eher kleiner Protest. Unter | |
#YellowVestsAgainstAusterity versammelten sich am Samstag 700 Personen am | |
Trafalgar Square in London, aufgerufen von der linken Gruppe „People’s | |
Assembly“, die seit Jahren gegen Großbritanniens konservative Regierung | |
demonstriert. Mit dabei: zwei extra eingeladene Gelbwesten aus Frankreich, | |
Erick Simon und Laurie Martin. Das nervöse Riesenaufgebot der | |
Sicherheitskräfte bei ihrer Ankunft am Freitag am Bahnhof St Pancras | |
kontrastiert mit der Sanftheit der beiden Besucher. „Engländer, ihr seht in | |
Gelb gut aus“, steht auf Simons gelber Weste. | |
Es ist vor allem der Zeitpunkt, der für Nervosität sorgt. Am Dienstag | |
dürfte Theresa Mays Brexit-Deal im Parlament durchfallen, die | |
Labour-Opposition erhofft sich einen Regierungssturz und Neuwahlen. Am | |
Trafalgar Square kündigt Labours Schattenfinanzminister John McDonnell | |
später genau das an. | |
Hier tummeln sich linke Aktivist*innen, Krankenhauspersonal, | |
Sozialarbeiter*Innen, Arbeiter*innen, Arbeitslose. „Fuck Theresa May!“ | |
steht auf einem Plakat. Der Unterschied zu den Gelbwesten Frankreichs | |
besteht in der klaren Affiliation zu bekannten linken Organisationen und | |
der vorgegebenen Lösung aller Probleme durch Jeremy Corbyn. | |
Organisator Shabbir Lakha beginnt die Kundgebung mit „Macron – démission, | |
Theresa May must go!“ Dann erklärt er [1][die gelben Westen zum | |
internationalen Symbol] des Protestes und fügt an: „Aber wir lassen uns die | |
Bewegung nicht durch Ultrarechte nehmen.“ Deutlicher wird Wyman Bennett von | |
der trotzkistischen SWP (Socialist Workers Party): „Die rechten Gelben | |
sollten sich selber die Kugel geben.“ | |
Gelbwesten gegen Gelbwesten | |
Diese Redner und ihr Publikum sind selbst aber mit wenigen Ausnahmen keine | |
Gelbwesten. „Das sind alles Mittelklasseleute, die niemals auf die | |
Barrikaden gehen würden und die nichts mehr mit echter Arbeiterklasse am | |
Hut haben“, schimpft der Ostlondoner Altanarchist Martin, 66, der aus | |
Prinzip keinen Nachnamen nennt, und stört die Reden mit Megafonen. „Nein zu | |
den gefälschten Gelbwesten“ steht auf seinem Plakat. | |
Der französische Gelbwesten-Gastredner Simon merkt das nicht. Auf | |
Französisch zählt er auf, worum es ihm geht: „Gegen den Neoliberalismus und | |
Macron. Gegen Steuererhöhungen. Gegen die Einschränkung von Freiheiten und | |
Rechten. Für das demokratische Mitspracherecht des Volkes. Dass Menschen | |
ihr eigenes Land regieren können. Gegen Oligarchen aus Belgien oder | |
Deutschland. Für Menschen, für die das Überleben eine tägliche | |
Herausforderung ist. Gegen Politik, die Reiche bereichert und Arme verarmt. | |
Gegen Polizeigewalt.“ Laurie Martin erzählt, wie sie als 26-Jährige | |
hoffnungslos in befristeten Jobs steckt. „Wir wollen eine Regierung, die | |
dem Volk dient.“ | |
Während die französischen Gelbwesten vor Demonstranten sprechen, die keine | |
Gelbwesten sind, verwehrt die Polizei britischen Gelbwesten den Zugang. | |
[2][Es sind an die 150 Brexit-Unterstützer mit britischen Flaggen]. Sie | |
verteilen eine Liste, die der Aufzählung Simons zum Verwechseln ähnlich | |
sieht – sie sind außerdem gegen Kindesmisshandlung, habgierige Banker, | |
Obdachlosigkeit und für den Einsatz für vergessene Veteranen. Im | |
Hintergrund ertönt aus einer Lautsprecheranlage „Rule Britannia“. | |
Theresa Murphy aus der Brexit-Hochburg Boston im Osten Englands erzählt von | |
ihrer Arbeitslosigkeit. „Ich komme gegen die billigeren Arbeitslöhne von | |
Saisonarbeitern und Migranten nicht an“, sagt sie. Tracey Blackwell, deren | |
Sohn mit zwei Freunden bei einem Unfall das Leben verlor, verursacht durch | |
einen betrunkenen Fahrer, fordert Gerechtigkeit, denn das Verfahren wurde | |
eingestellt. „Die Bewegung aus Frankreich sollte Leute vereinen, nicht | |
ausgrenzen“, findet sie. Sie gehörte zu den Ersten, die mit einer gelben | |
Weste Brücken in London blockierte. „Ich bin in einer kleinen Wohnung mit | |
zehn Geschwistern aufgewachsen und stamme aus Battersea in London“, sagt | |
Nick, 60. „Ich bin echte Arbeiterklasse, meine Eltern wählten ihr Leben | |
lang Labour. Ich bin einfach gegen das, was die EU seit 40 Jahren macht, | |
wie sie unser Land zerstören.“ | |
Die andere Seite hört ihn nicht. Nach der Veranstaltung stehen sich | |
Brexit-Gelbe und Linke gegenüber. Polizisten und Ordner halten sie auf | |
Abstand. Worte wie „Brexit Go!“ und „Nazidreck!“ fliegen. Auch in | |
Frankreich, bestätigt Simon der taz, wollten verschiedene Gruppen die | |
Gelbwesten vereinnahmen. Der Brexit sei aber für Großbritannien das Beste | |
überhaupt. | |
13 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Gelbwesten-Protest-in-Frankreich/!5564823 | |
[2] /Vor-der-Brexit-Abstimmung/!5559718 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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