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# taz.de -- Komponist Jan Feddersen über Experimentelles Festival: „In einem…
> Inspiriert von Bernd Alois Zimmermann: Jan Feddersen vom Festival Klub
> Katarakt über Collagetechniken und experimentelle Musik aus neun
> Jahrhunderten.
Bild: In „EXP“ visualisiert Frank Bretschneider musikalische Qualitäten wi…
taz: Herr Feddersen, für den Komponisten Bernd Alois Zimmermann, von dem
Sie sich für den diesjährigen Eröffnungsabend des Festivals haben
inspirieren lassen, hat die Zeit eine Kugelgestalt. Wie ist das zu
verstehen?
Jan Feddersen: Dass Zimmermann die Zeit nicht als lineare Aufeinanderfolge
von Zeitpunkten, Epochen oder Stilen begreift, sondern als Kugel, bebildert
er mit unserer modernen Situation als Musikkonsumenten. In einem Text
stellt er fest, dass wir ständig von den zitierten Zeugen der Vergangenheit
umgeben sind, sodass manche Werke früherer Zeiten im heutigen Musikkonsum
im Grunde gegenwärtiger sind als die Musik der Gegenwart selber. In
Zimmermanns Stücken spielt diese Art von Gleichzeitigkeit – man könnte
heute vielleicht sagen: Verfügbarkeit – eine besondere Rolle.
Zum Beispiel?
An „Photoptosis“ von 1968 oder „Stille und Umkehr“ aus dem Jahr 1970 ist
zum Beispiel faszinierend, welche großen beziehungsweise reduzierten
musikalischen Räume Zimmermann eröffnet. In „Photoptosis“ ist es etwa ein
sehr großer Raum um den Ton d mit allen Oktaven. Zimmermann färbt diesen
Raum dann mit seiner Musik, bringt plötzlich Zitate, die er aber
vorbereitet. Er verwendet zum Beispiel ein Beethoven-Zitat aus der 9.
Sinfonie, wo sehr häufig ein bestimmtes Intervall vorkommt, ein Tritonus.
Zimmermann bereitet das vor, das Zitat wird nicht einfach hineingeworfen,
sondern kompositorisch eingearbeitet. So erleben wir das Zitat als
folgerichtig im musikalischen Verlauf. Er hat sehr viel collagenartig
gearbeitet, auch in seiner einzigen Oper „Die Soldaten“.
Eine Anti-Kriegs-Oper, die als unaufführbar galt, weil sie heterogene
Ebenen collagiert und so viele Mittel benutzt: Simultanszenen,
Filmprojektionen, Lautsprecher auf der Bühne und im Publikum.
Es ist auch bei seinen späteren Orchesterstücken so. In „Photoptosis“
kommen so unterschiedliche Zitate, die sich eben teilweise auch überlappen,
dass man das Gefühl bekommt, sich in einem Zeitenstrudel zu befinden, wo
die Dinge durcheinander geworfen werden.
Im Gegensatz zu Komponisten-Kollegen wie Karlheinz Stockhausen oder Pierre
Boulez scheint Zimmermann aber nicht so konsequent an einem Prinzip
ausgerichtet. Es wirkt gebrochener.
Ich denke, das liegt auch an seiner Biografie. Er ist 1918 geboren. Als der
Zweite Weltkrieg ausbrach, war er Anfang 20 – Stockhausen war zehn Jahre
jünger, er war Anfang 20, als der Krieg vorbei war. Das spielt generell in
Zimmermanns Haltung zur Musik eine Rolle. In seinem letzten Stück – „Ich
wandte mich und sah alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ – geht es
letzten Endes darum, dass es keine Gerechtigkeit gibt.
Das Durcheinanderwirbeln von Zeiten war von Beginn an ein zentrales Motiv
vom „Klub Katarakt“. Am Eröffnungsabend aber dient Zimmermann nur als
Inspiration?
Ausgangspunkt war die schon angesprochene Idee von der Kugelgestalt der
Zeit. Wir präsentieren in allen drei Hallen gleichzeitig Musik
verschiedener Epochen. In zwei Tutti-Teilen greifen wir die Grundanlage der
Komposition „Stille und Umkehr“ auf: Der immer anders instrumentierte Ton
d1, unterlegt von einem Jazz-Rhythmus, schafft einen Rahmen für
collageartige Figuren, figurierte Einzelstimmen, die übereinander gelagert
werden können. Dann bauen wir da Zitate ein. Das ist jedenfalls der Plan …
Zitate aus 900 Jahren Musikgeschichte …
Richtig, wir hatten durch Zimmermanns Kompositionen und seine Idee von der
Kugelgestalt der Zeit die Idee, nicht nur zeitgenössische experimentelle
Musik zu bringen. Natürlich liegt auch diesmal der Schwerpunkt auf
Zeitgenössischem. Aber die Frage war auch: Welche Musik, die wir kennen und
lieben, hat einen experimentellen Ansatz und ist trotzdem alt?
Wie wird das umgesetzt?
Am Eröffnungsabend spielen 35 Performerinnen und Performer rund 40
Musikstücke aus neun Jahrhunderten. Die kommen einzeln, aber überlappen
sich auch, sonst wäre es zeitlich gar nicht zu schaffen.
Welche Stücke gibt es dabei zu hören?
Die Cembalistin Christine Lanz spielt zum Beispiel ein Prélude non mesuré
von Louis Couperin, einem Clavecinisten. Das ist Barockmusik für Cembalo
aus dem 17. Jahrhundert. Bei Couperin nun ist zwar jeder Ton
aufgeschrieben, aber immer als ganze Note. Das heißt, die Dauer der
einzelnen Töne ist überhaupt nicht festgelegt. Das ist im Prinzip schon so,
wie es John Cage machen würde: Der Interpretin wird Freiheit übergeben!
Und es gibt noch ältere experimentelle Musik?
Ja, es gibt etwa ein Chorstück aus der Zeit um 1200 von Perotin. Das ist
das älteste Stück für vier Stimmen, das uns erhalten ist.
Interessanterweise benutzt die Komposition nur sechs verschiedene
Rhythmuspatterns, aber dafür klingt es sowas von modern! Eigentlich wie ein
sehr gutes minimalistisches Chorstück, aber es ist 800 Jahre alt.
Einen Zusammenhang zwischen Raum und Klang gibt es auch bei Frank
Bretschneider, der am Donnerstag seine audiovisuelle Performance „EXP“
präsentiert.
Bei Bretschneider gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem
klanglichen und dem visuellen Ereignis. Das ist sehr feine elektronische
Musik, ein Versuch, die Qualitäten von Musik – Bewegung, Rhythmus, Tempo,
Stimmung, Intensität und kompositorische Struktur – in visuelle Phänomene
zu übersetzen. Die Klänge sind dann auch eher Feedbacks, Clicks, Impulse
und so weiter, so verstehe ich das. Eben sehr dynamische Sounds, die man
natürlich sehr gut in Visuelles übertragen kann. Das ist für mich eines der
Highlights des Festivals.
Bei Maximilian Marcolls Projekt „Hack“ am Freitag wiederum geht es eher um
ein gegenseitiges Stören?
Jein, weil das klangliche Ergebnis glaube ich nicht so empfunden wird. Da
stehen zwei Gitarristen, die jeweils eine ziemlich große Wand aus
Verstärkern haben, und sie spielen konstant einen Wall of Sound. Aber die
Signale werden erst durch Marcolls Computer geschickt und er verfremdet
sie, fächert sie neu auf und schickt sie auf die beiden Verstärkerwände,
oszillierend zwischen rechts und links. So entsteht quasi eine Täuschung
des Ohrs, Marcoll sagt: „ein akustisches Stroboskop“. Auf jeden Fall auch
ein kräftiges Konzert! Aber danach kommt ja auch noch Phill Niblock …
11 Jan 2019
## AUTOREN
Robert Matthies
## TAGS
Musik
Kolumne Großraumdisco
Festival
Jazz
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