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# taz.de -- UN-Klimakonferenz in Kattowitz: Morgenluft im Kohleland
> Ausgerechnet im Kohlerevier um Kattowitz richtet der Gastgeber Polen die
> UN-Klimakonferenz aus. Gelingt dort der Strukturwandel?
Bild: Morgenröte und Kohlestaub über Kattowitz, Anfang Dezember 2018
Warschau/Nowy Bytom/Kattowitz taz | Ein mächtiges Stahlgerüst, hoch wie ein
15-stöckiges Haus, umschließt die rostige Brennkammer. An der Seite stehen
drei schwarze Silos. Förderbänder und Pipelines winden sich durch das
Monstrum aus Stahl.
Aber die Silos unter dem grauen Himmel glänzen sauber. Zu sauber. Der
rot-weiße Schornstein ist still. Zu still. Am Hochofen Huta Pokój, einst
die größte Eisenschmelze Polens, wird nicht mehr gearbeitet. Das Werk in
Nowy Bytom, 15 Kilometer westlich von Kattowitz, hat nur noch eine Zukunft:
als Industriedenkmal.
Einen Kilometer weiter wehren sie sich noch gegen dieses Schicksal. Es ist
14 Uhr, Schichtwechsel an der Kohlegrube Pokój. Mit müden Schritten
verlassen die Bergleute das Gelände, in fleckigen Overalls, leuchtende
Grubenlampen vor dem Bauch. Noch haben sie Arbeit in dem Schacht, dessen
Förderturm die Gegend überragt. Aber nebenan sind schon Bulldozer dabei,
leerstehende Gebäude abzureißen. Es entsteht eine riesige Grube voller
Schrott, eine Brachfläche, schwarz vom Kohlestaub, auf der sich Wasser in
riesigen Pfützen sammelt. Die Gleise der ehemaligen Grubenbahn sind
überwuchert und von Plastiktüten und alten Autoreifen bedeckt.
30 Kilometer weiter östlich, auf der anderen Seite von Kattowitz,
präsentiert Patryk Białas, was er für die Zukunft des „polnischen
Ruhrgebiets“ in Oberschlesien hält: Sein „Euro-Zentrum“ im Gewerbepark v…
Kattowitz ist eine Provokation aus Stahl, Beton und Solarpaneelen. Das
Gebäude produziert Sonnenstrom auf dem Dach und heizt seine Büros mit
Erdwärme, während in seiner Nachbarschaft dicker schwarzer Qualm aus den
Kaminen steigt.
## „Die Menschen brauchen eine Vision“
Eine Zumutung für die polnische Kohleregion ist diese Denkfabrik für
Öko-Technologie und Energieeffizienz auch, weil sie mit EU-Mitteln und
privatem Kapital errichtet wurde und keine Staatsindustrie ist wie Kohle
und Stahl. Die größte Herausforderung für die polnische Politik aber ist
Białas selbst, ein schmaler Mann mit leiser Stimme, der im „Euro-Zentrum“
Gäste empfängt und sagt: „Wir zeigen den Menschen, dass es Alternativen zu
den Arbeitsplätzen in der Kohle gibt.“
Aber wie sehen die aus?
Darüber wurde jetzt zwei Wochen lang in einem Gebäude diskutiert, das
ziemlich genau in der Mitte zwischen der Kohlegrube Pokój und dem
„Euro-Zentrum“ in Kattowitz liegt und aussieht, als habe ein Ufo eine
Bruchlandung hingelegt: [1][Auf der 24. UN-Klimakonferenz] im
Kongresszentrum von Kattowitz geht es für die meisten Delegierten darum,
neue Regeln für den Klimaschutz zu finden. Aber es gibt auch Leute, die ihr
Land und speziell Oberschlesien vor dem Klimaschutz schützen wollen.
Einer davon ist Michał Kurtyka. Der Mann mit Glatze und grauem Dreitagebart
ist Staatssekretär im polnischen Energieministerium und [2][Präsident der
UN-Konferenz]. „Wie sagt man fünf Millionen Menschen in siebzig
schlesischen Städten: Verschwindet, eure Zeit ist vorbei?“, fragte Kurtyka
in seiner Eröffnungsrede. „Die Menschen brauchen eine Vision, sie brauchen
die Zusicherung, dass wir sie nicht alleinlassen. Und sie brauchen
Unterstützung.“
Der 45-Jährige ist das freundliche Gesicht der nationalistischen
PiS-Regierung. Er ist zugänglich und offen, führt die Verhandlungen im
Plenum der Konferenz mit ruhiger Stimme und breitem Lächeln. Er spricht
ausgezeichnet Englisch, ist sicher auf dem internationalen Parkett und gilt
als einer der wenigen Energieexperten der PiS. Kurtyka hat auch unter den
Machern der deutschen Energiewende viele Freunde. Bei der Konferenz ist er
allgegenwärtig: auf dem Podium, beim Interview, beim Fototermin, als Leiter
der Verhandlungen hinter verschlossenen Türen.
Kurtykas Ernennung zum Chef der Konferenz ist ein kleiner Sieg der Reformer
über die Hardliner in der polnischen Regierung. Viermal leitete ein Pole
die Konferenz. Beim letzten Mal, 2013 in Warschau, organisierte die
Regierung noch parallel zur Konferenz demonstrativ einen „Kohle-Gipfel“ mit
der Industrie. Heute redet sie über den „gerechten Übergang“ zu neuer
Energie. Für viele Umweltschützer ist das schon ein riesiger Fortschritt.
Im UN-Sprech heißt diese Idee „Just Transition“. Soll heißen: Bei einem
politisch gewollten Strukturwandel muss es gerecht zugehen, Arbeiter müssen
für verlorene Jobs entschädigt werden. Eine gute Idee, finden auch viele
Umweltschützer. Sie könnte aber zu einem Sprengsatz für die Klimapolitik
werden, wenn Bergleute und Ölstaaten ihre Interessen durchsetzen und sich
zu Opfern des Klimawandels stilisieren. Das könnte dazu führen, dass das
knappe Geld in die Regionen fließt, die die Probleme verursacht haben. Aus
diesem Grund wurde auf der Konferenz die „Schlesien-Deklaration zu
Solidarität und gerechtem Übergang“ der polnischen Regierung nur mit
spitzen Fingern angenommen. Der Text erwähnt die Probleme der Kohleregionen
und verspricht neue, grüne Jobs. Vor allem aber konstatiert er, ein
gerechter Übergang und gute Arbeitsplätze seien für die Akzeptanz der
Energiewende nötig.
Nichts wird in Kattowitz beim Pausenkaffee so heiß debattiert wie die
Proteste der Gelbwesten in Frankreich. Was tun, wenn sich die Bevölkerung
gegen höhere Belastungen wehrt, die mit Öko-Argumenten verkauft werden?
Patryk Białas, der Chef des Euro-Zentrums, hat gelernt, sich auf die
eigenen Ideen zu konzentrieren. Mit seiner Gruppe „Kattowice Smog Alarm“
hat er der Stadt mit 300.000 Einwohnern in den letzten Jahren klargemacht,
dass sie ein Problem hat: Die Atemluft ist so schlecht für die Gesundheit,
als würden alle, auch Babys und alte Leute, fünf Zigaretten am Tag rauchen.
Von den 50 dreckigsten Orten in der Europäischen Union liegen 36 in Polen.
Und weil die Grenzwerte für die Luftverschmutzung in Polen deutlich höher
liegen als im Rest Europas, sprechen Umweltschützer sarkastisch von den
„polnischen Eisenlungen“, die angeblich mehr aushalten: „Es gibt Werte, da
herrscht in Paris Smogalarm“, kommentieren die Aktivisten von „Krakau Smog
Alarm“, „in Krakau gehen wir da joggen.“
## Kohleförderung ist unrentabel geworden
Białas hat mit anderen Aktivisten die dreckige Luft zum Thema gemacht, hat
demonstriert, aufgeklärt und nachgebohrt. Jetzt haben sie ihn im Oktober in
den Stadtrat gewählt. Zum Treffen kommt er ganz seriös im dunklen Anzug,
vor lauter Erzählen und Gestikulieren schafft er es kaum, sein Pilzrisotto
zu essen. Der Aktivist, dessen Großvater noch in den heimischen Kohlegruben
arbeitete, hat Angst davor, dass die Regierung auf der Konferenz ihre
eigene Agenda durchsetzt: „Ich fürchte, Polen wird versuchen, der Welt
beizubringen, wie ökologisch wir Kohle verbrennen.“
Die Auftritte des polnischen Umweltministers und des Präsidenten, die die
Kohle lobten, geben ihm recht. Tatsächlich ist kaum ein Land so abhängig
von der dreckigen Energie wie der Gastgeber der diesjährigen
Klimakonferenz. Rund 80 Prozent des Stroms in Polen kommt immer noch aus
der Kohle. Die Steinkohle in Oberschlesien und die Braunkohle im Westen des
Landes haben die Industrialisierung befeuert. Atomkraft ließ die
Sowjetunion nicht zu, Gas gibt es kaum, und abhängig von russischem Gas
wollen die Polen nicht sein. Erneuerbare Energien galten lange als
unzuverlässige Öko-Spinnerei.
Aber der Abbau des „schwarzen Goldes“ ist inzwischen so teuer, dass die
Industrie trotz hoher Subventionen vor der Pleite steht. Ein Großteil des
Brennstoffs wird importiert – ausgerechnet aus Russland. Zwar wurde gerade
wieder, rechtzeitig zur Klimakonferenz, die Eröffnung einer neuen Mine
angekündigt. Aber solche Projekte können nur laufen, wenn die EU ihnen
staatliche Hilfen garantiert. Ohnehin gehen gerade die letzten neuen
Kohlekraftwerke nur deshalb ans Netz, weil es noch teurer wäre, die
Baustellen als Investitionsruinen stillzulegen. Das gibt der größte
Energiekonzern, Polska Grupa Energetyczna (PGE) ganz offen zu.
Mit der Kohle geht es lange schon bergab. Allein zwischen 1990 und 1999
verlor Schlesien ein Drittel seiner Kohleproduktion und 230.000 Kohlejobs.
Die Region reagierte: In der „Sonderwirtschaftszone Kattowitz“ wurden nach
offiziellen polnischen Angaben seit Mitte der 90er Jahre 350 Firmen mit
76.000 Jobs angesiedelt und knapp 8 Milliarden Euro investiert. Der
Stromkonzern PGE sagt, man habe „Verantwortung für Zehntausende von
Arbeitsplätzen und Familien“. Aber das Unternehmen kann auch rechnen. Kohle
ist nicht mehr sicher und nicht mehr billig.
Die Regierung hat im November mit zwei Jahren Verzögerung ihren Energieplan
vorgelegt. Von einer „Netto-Null“, dem Abschied von den fossilen
Brennstoffen, den gerade die EU-Kommission gefordert hat, ist da nicht die
Rede. Auch 2040 sollen noch 60 Prozent des Stroms aus der Kohle kommen. Und
das auch nur, wenn bis dahin neue Atomkraftwerke am Netz sind. Viele
Experten sagen allerdings voraus, dass das Aus für die Kohle schneller
kommt, als es die Regierung den Bergleuten versprechen möchte.
Die alte Welt ist noch da, die neue zeigt sich an manchen Orten schon.
Manche Straßen in Nowy Bytom werden von braungrauen Häusern gesäumt, an
denen der Putz bröckelt und die Balkone wackeln, in anderen Gegenden sind
die roten Backsteinhäuser liebevoll restauriert und Plattenbauten
wärmegedämmt. Neben dem Hochofen von Huta Pokój ist ein schöner Park
angelegt worden, mit Kinderspielplatz und Hundegebiet; gleich dahinter
beginnt eine Brachfläche mit Betontrümmern und wilden Müllkippen. In den
Außenbezirken von Kattowitz reihen sich Trümmergrundstücke an verwahrloste
Siedlungen, im Stadtzentrum glitzern die Hochhäuser.
Schlesien hat eigentlich kein Problem mit der Arbeitslosigkeit. Im
polnischen Kohlerevier herrscht praktisch Vollbeschäftigung, weil die
polnische Wirtschaft auch jenseits der Kohle brummt. „In der Minenindustrie
arbeiten nur noch 52.000 Menschen, aber es gibt vielleicht 100.000 neue,
moderne Jobs“, wirbt Patryk Białas für einen Umstieg.
Für ihn ist der Abschied von der Kohle rund um Kattowitz in vollem Gang –
und erfolgreich. Viele Betriebe, etwa Autozulieferer, suchten nach
Arbeitskräften. Man müsse die Leute qualifizieren und ihnen reinen Wein
einschenken. „Wenn wir auf der Straße mit den Menschen reden, wollen sie
vor allem, dass ihnen jemand sagt, in welche Richtung es geht“, sagt der
neugewählte Stadtrat. Ein „gerechter Übergang“ müsse fair für alle sein:
für die Menschen, aber auch für die Gemeinden und die Umwelt.
Gerechter Übergang? Wenn man Izabela Zygmunt nach dem bisherigen
Strukturwandel fragt, hört man ein bitteres Lachen. Die Aktivistin der
Gruppe „Bankwatch“ sagt: „Der Übergang war keine planvolle Politik. Es w…
Glück, weil die Wirtschaft läuft und die Menschen bei uns in Polen sehr
viele Ideen für neue Geschäfte haben.“ Zygmunt nennt die Schattenseiten der
Entwicklung: „In Kattowitz gibt es kaum Arbeitslose. Aber schon 20 Minuten
entfernt sind es 25 Prozent.“ Dazu komme: Viele junge Leute hätten die
Gegend verlassen. Und keiner wisse, was komme. „Es gibt keinen offenen
Dialog mit den Betroffenen“.
Von den 60 Milliarden Euro Staatshilfen, die die ostdeutschen Länder für
den Ausstieg aus der Braunkohle fordern, können die polnischen Kommunen
nicht einmal träumen. „Die Regierung traut sich nicht, von diesem Übergang
zu sprechen, dabei sind wir schon mittendrin“, sagt Zygmunt. „Von den fünf
Gruben in Kattowitz gibt es nur noch zwei. Die Leute suchen sich andere,
schlechter bezahlte Jobs oder wandern ab.“ Amazon hat ein Logistikzentrum
mit 6.000 Jobs aus dem Boden gestampft. Aber es sind eben Amazon-Jobs,
keine Rede von gutem Lohn und Stolz wie in den Kohlegruben. Auch andere
Studien, etwa aus Großbritannien, zeigen: Ein Kohleausstieg führt nicht zu
blühenden Landschaften, neue Arbeitsplätze sind oft geringer bezahlt.
Der stillgelegte Hochofen von Huta Pokój hat bereits seinen Platz in der
Geschichte. Ein Schwarz-Weiß-Bild zeigt die Anlage mit einer
Hakenkreuzfahne. Das Bild hängt im „Schlesischen Museum“ in Kattowitz, in
der Ausstellung über die wechselvolle Geschichte der Region, die unter den
Nazis wichtiger Lieferant für Kohle, Stahl und Soldaten war. Das Museum
liegt im vierten Stock unter der Erde, mitten in der Innenstadt von
Kattowitz. Bis 1999 hackten die Bergleute in der „Ferdinandgrube“ in 400
Meter Tiefe insgesamt 120 Millionen Tonnen Steinkohle aus der Erde. Jetzt
tagt hier die Klimakonferenz.
14 Dec 2018
## LINKS
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[2] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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