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# taz.de -- Kolumne Latin Affairs: Ein Haudegen als Verlagschef
> Der Autor Paco Ignacio Taibo II soll den mexikanischen Staatsverlag
> leiten. In seiner Euphorie verstieg er sich zu vulgären Äußerungen.
Bild: Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II hat mit deftigen Sprüchen Unmut auf…
Es waren Tage, die eine neue politische Kultur einläuteten: Bei seiner
Amtsübernahme kniete der mexikanische Staatschef Andrés Manuel López
Obrador vor einer Delegation von Indigenen nieder und versprach, das Volk
niemals zu betrügen. Schon vorher, am Morgen dieses 1. Dezembers, wurde der
Präsidentenpalast „Los Pinos“ den Bürgern des Landes als Kulturzentrum
übergeben.
Schnell kursierte in den sozialen Netzwerken das Foto einer Großfamilie aus
dem verarmten Bundesstaat Guerrero, die es sich in einem opulenten Zimmer
des Anwesens gemütlich gemacht hatte, das bislang Mexikos Präsidenten als
Wohnsitz diente. Noch beseelt vom Rauch indigener Reinigungszeremonien
betonte López Obrador, kurz AMLO, er sei für alle da, egal welcher
Hautfarbe, welchen Geschlechts, welcher sexuellen Orientierung und so
weiter.
Auch im Kulturapparat sorgte der Staatschef für neuen Wind. Als
Staatssekretärin für kulturelle Vielfalt wurde die zapotekische Dichterin
Natalia Toledo eingesetzt, der Autor Mario Bellatin soll den Nationalen
Kulturfonds leiten. Ein guter Einstieg für die neue Regierung. Nur einer
schlug quer.
Auf der Internationalen Buchmesse von Guadalajara (FIL) musste der
Schriftsteller, Historiker und notorische linke Haudegen Paco Ignacio Taibo
II klarstellen, was längst ausgemachte Sache war: dass er künftig die
staatliche Verlagsanstalt Fondo de Cultura Económica (FCE) leiten werde.
Ein attraktiver Job für einen linken Überzeugungstäter, denn der FCE
verfügt über ein großes Vertriebsnetz, Büchereien und Geld, um Literatur
und Bildungsmaterial zu verteilen.
## Taibo II wolle „Verräter als Verräter“ bezeichnen
López Obrador hatte ihm die Stelle bereits zugesichert. Nur ein kleiner
Schritt war noch zu bewältigen: Ein xenophobes Gesetz schreibt vor, dass
die Leitung nur übernehmen darf, wer in Mexiko geboren ist. Taibo II, Sohn
eines spanischen Einwanderers, ist aber erst mit zehn Jahren in das Land
gekommen. Angesichts der Senatsmehrheit von AMLOs Koalition wäre auch eine
nötige Verfassungsänderung kein Thema. Von einem „Taibo-Gesetz“ war die
Rede.
Um aber unmissverständlich klar zu machen, wer jetzt im Land das Sagen hat,
schöpfte der Schriftsteller aus dem umfangreichen Reservoir sexistischer,
homophober und vulgärer Formulierungen, die die mexikanische Umgangssprache
zu bieten hat. Der Wahlsieg gebe ihm das Recht, „Verräter als Verräter“ u…
„Arschlöcher als Arschlöcher“ zu bezeichnen. Sollte das „Taibo-Gesetz“
nicht durchgehen, werde López Obrador die Sache eben dekretieren, betonte
er. Jene, die die Reform verhindern wollten, werde man „doppelt in den
Arsch ficken“.
Solche Sätze aus dem Mund eines Mannes, der eine der angesehensten
staatlichen Verlagsanstalten Lateinamerikas leiten soll, kamen schlecht an.
„Einen Sieg damit zu assoziieren, jemanden gewaltsam zu penetrieren, ist
schon jämmerlich“, reagierte der Schriftsteller José Esteban.
## López Obrador hat ihm verziehen
Das in einem Land zu tun, in dem sexuelle Gewalt und Frauenmorde eine
historischen Höhepunkt erreicht hätten, sei noch schlimmer. Taibo II
entschuldigte sich auf Twitter. Seine Äußerungen würden ihm leidtun,
schrieb er, und kritisierte zugleich, dass sie als Angriff gegen Feminismus
und die Schwulen-Community interpretiert würden. Nur: Wie sonst? Selbst
Vertreter von AMLOs Morena-Partei überzeugte das zunächst nicht. Die
Abstimmung im Senat wurde aufgeschoben.
Trotzdem sollte Taibo II recht behalten. Der Autor habe sich ja
entschuldigt und sei ein Mann mit Überzeugungen, befand López Obrador
wenige Tage später. Offensichtlich um ein Dekret ihres Chefs zu verhindern,
entschieden sich schließlich auch die Morena-Abgeordneten, die Debatte um
das „Taibo-Gesetz“ wieder aufzunehmen. Der FCE-Leiter in spe ließ sich
derweil schon mal als „Beauftragter des Präsidenten“ im Verlag blicken, um
„die Kontrolle über den Apparat zu übernehmen“. Das erinnert dann doch an
eine politische Kultur, die nicht ganz neu erscheint.
16 Dec 2018
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Mexiko
Andrés Manuel López Obrador
Paco Ignacio Taibo II
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Paco Ignacio Taibo II
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