# taz.de -- Amtsantritt von López in Mexico: Protestant des Volkes | |
> Mexikos neuer Präsident ist kein Linker. Demokratische Prozesse bedeuten | |
> ihm wenig, die Marktwirtschaft mag er gern. Moralisch gilt er als | |
> unbefleckt. | |
Bild: Im Kampf gegen das organisierte Verbrechen setzt der 64-Jährige auf mili… | |
MEXIKO-STADT taz | Fünf Monate hat [1][Mexikos gewählter Präsident] bereits | |
faktisch mitregiert. Am 1. Dezember übernimmt Andrés Manuel López Obrador, | |
kurz AMLO, nun auch offiziell sein Amt. | |
Gleich nachdem ihm die MexikanerInnen am 1. Juli mehrheitlich ihre Stimmen | |
gegeben haben, legte der 64-Jährige los. Seine Vertreter diskutierten mit, | |
als es galt, mit US-Präsident Trump einen neuen Freihandelsvertrag zu | |
vereinbaren. AMLO initiierte Foren, auf denen Angehörige von Gewaltopfern | |
mit künftigen Regierungsmitgliedern über die katastrophale | |
Menschenrechtslage sprachen. Seine Morena-Partei organisierte | |
Volksbefragungen, in denen das Ende eines im Bau befindlichen Flughafens | |
beschlossen wurde. Niemand interessierte sich noch für seinen regierenden | |
Vorgänger Enrique Peña Nieto von der ehemaligen Staatspartei PRI. AMLO | |
stahl ihm die Show. | |
Dazu gehört nicht viel. 125.000 Menschen sind in Peña Nietos Amtszeit | |
ermordet worden, Zigtausende verschwunden. Der Drogenkrieg ging in | |
unverminderter Härte weiter, die Lebenshaltungskosten stiegen immens. Zudem | |
war er in einen Korruptionsskandal verwickelt und verhinderte gezielt, dass | |
die Rolle von Soldaten und Bundespolizisten bei der Verschleppung von 43 | |
Studenten des Lehrerseminars Ayotzinapa aufgeklärt wird. Peña Nietos | |
Beliebtheitsgrad war vor den Wahlen in den einstelligen Bereich gesunken. | |
Das sind die Gründe dafür, dass López Obrador [2][53 Prozent aller Stimmen] | |
gewinnen konnte und seine Morena-Partei Parlament und Senat dominiert. Er | |
hat allen alles versprochen: den Opferangehörigen, dass ihre Fälle | |
aufgeklärt und die Straflosigkeit beendet wird; indigenen Gemeinden, dass | |
sie über die Nutzung ihres Lebensraumes bestimmen können: Unternehmern, | |
dass sie weiterhin zum Zug kommen, internationalen Investoren, dass sie in | |
ihren Fabriken günstig produzieren können. Und dass Korruption und | |
Militarisierung des Landes beendet werden. Das Militär werde zu einer | |
„Friedensarmee“, behauptete er. | |
## Ein ehrlicher Kapitalist | |
Nein, López Obrador ist kein Linker. Auch wenn aufgeregte Konservative ihn | |
mit Venezuelas Ex-Präsident Hugo Chávez vergleichen und linke Aktivistinnen | |
ihn gern so gesehen hätten. AMLO glaubt an einen ehrlichen Kapitalismus, | |
seine Beliebtheit ist nicht zuletzt auf seine protestantische Ethik | |
zurückzuführen. Man hält ihn für eine ehrliche Haut, und in der Tat ist er | |
einer der wenigen hochrangigen Politiker, dem keine Korruption vorgeworfen | |
werden kann. Er will nicht in den Präsidentenpalast einziehen, verzichtet | |
auf die Hälfte seines Gehalts und eine militärische Leibgarde. Diese | |
Austerität fordert er auch von der Verwaltung. Wer dem Volk dient, muss | |
künftig sechs Tage die Woche arbeiten und auf Privilegien wie eine bessere | |
Sozialversicherung verzichten. Viele Stellen des aufgeblähten Apparats | |
sollen abgebaut werden. | |
Die Aufregung, die das unter staatlichen Angestellten hervorruft, gehört zu | |
den kleineren Problemen, die AMLO haben wird. Der Versuch, | |
Unternehmerinteressen und die Respektierung der Menschenrechte unter einen | |
Hut zu bekommen, wird seine Amtszeit dominieren. Um Arbeitsplätze zu | |
schaffen, will er wirtschaftliche Sonderzonen für internationale Investoren | |
entwickeln. Indigene Gemeinden wehren sich schon lange gegen solche | |
Projekte auf ihrem Boden. Für linke Basisorganisationen ist das ein Grund, | |
ihm den Rücken zu kehren, denn Weltmarktfabriken, Bergbau- und andere | |
Megaprojekte führen oft zu Menschenrechtsverletzungen. | |
Zugleich lässt der Politiker noch vor Amtsantritt entscheiden, dass ein | |
Flughafen nicht gebaut wird – per Volksbefragung ohne verfassungsrechtliche | |
Legitimität. Unternehmer, die bereits Millionen investiert haben, stehen | |
Kopf. Indigene und Linke, denen das Projekt schon lange ein Dorn im Auge | |
ist, sind dagegen zufrieden. | |
Angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse kann López Obrador | |
tun, was er will. Zumindest, solange die Morena-Partei mitmacht, die ihre | |
Existenz im Wesentlichen ihm verdankt. Das birgt große Gefahren, zumal | |
AMLOs Legitimität vor allem eine moralische ist. Viele haben ihn gewählt, | |
weil sie ihn für einen guten Menschen halten, der das Beste für sein Volk | |
will. AMLO kommt aus der alten PRI-Schule, einer autoritären Struktur, in | |
der demokratische Entscheidungsfindungen keine Rolle spielen. Auch er ließ | |
bislang nicht erkennen, dass er darauf Wert legt. | |
Menschenrechtsverletzungen sollen konsequenter verfolgt werden, weil er | |
oder „das Volk“ es will, nicht weil eine demokratische Institution das | |
einklagt. Wer seine Forderungen durchsetzen will, ob Flughafengegner oder | |
Investoren, muss sich mit dem Präsidenten gut stellen. | |
## Militäreinheit gegen Kriminalität | |
Die Konsequenzen dieser Haltung sind schon jetzt zu spüren. So weigert sich | |
AMLO, der Generalstaatsanwaltschaft einen autonomen Status zuzugestehen – | |
deren Regierungsnähe blockierte alle Ermittlungen über das Verschwinden der | |
Ayotzinapa-Studenten. López Obrador will statt dessen für diesen Fall eine | |
Wahrheitskommission ins Leben rufen. Zugleich wird er entgegen seinen | |
eigenen Versprechen das Land weiter militarisieren und eine neue, 50.000 | |
Personen starke militärische Einheit gründen, die gegen die kriminellen | |
Kartelle vorgehen soll. | |
Indigene, soziale, feministische und andere Bewegungen werden also weiter | |
Druck machen müssen, um ihre Anliegen durchzusetzen. Im Gegensatz zu seinem | |
Vorgänger dürfte AMLO ein offenes Ohr für deren Forderungen haben, zumal | |
einige Vertreter seiner Regierung diesen Gruppen nahestehen. Die zweite | |
gute Nachricht: López Obrador ist kein aufgeregter Demagoge wie Chávez. Er | |
wird nicht versuchen, Widersprüche zuzuspitzen, und bestenfalls für mehr | |
Gerechtigkeit sorgen. In einem Land, das durch den Terror der organisierten | |
Kriminalität und andere strukturelle Gewalt ständig zu explodieren droht, | |
hat das fast etwas Beruhigendes. | |
30 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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