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# taz.de -- Kolumne Latino Affairs: Kulturrevolution in Mexiko
> Paco Ignacio Taibo II ist Schriftsteller, hat einen Detektiv erfunden und
> Biografien geschrieben. Jetzt will er in die Politik.
Bild: Der mexikanische Schriftsteller Paco Ignacio Taibo II will Kulturminister…
Die meisten kennen Paco Ignacio Taibo II, weil er Héctor Belascoarán Shayne
ins Leben gerufen hat – jenen integren Detektiv, der sich vornehmlich in
den proletarischen Abgründen von Mexiko-Stadt herumtreibt. Andere lesen mit
Begeisterung seine Biografien über Che Guevara oder den mexikanischen
Revolutionär Pancho Villa. Aber wenn der 68-Jährige nicht am Schreibtisch
sitzt, widmet er sich der ganz realen Welt von heute: Als Verfechter des
Kandidaten Andrés Manuel López Obrador mischt er im
Präsidentschaftswahlkampf mit.
Und wenn alles gut geht, wird er bald Kulturminister der mexikanischen
Hauptstadt. Denn dort wird parallel zur Bundes- auch die Stadtregierung am
1. Juli neu gewählt. Der Schriftsteller hat große Chancen, dieses Amt für
Lopez Obradors Partei Morena zu übernehmen. Deren Bürgermeisterkandidatin,
Claudia Sheinbaum, will den Posten mit ihm besetzen.
Sollte das gelingen und Taibo II Wort halten, stehen Mexiko-Stadt
attraktive Zeiten bevor. 300 soziale Zentren will er eröffnen, zahlreiche
neue Bibliotheken sollen entstehen und allein im ersten Jahr seiner
Amtstätigkeit sollen tausend Festivals in den verschiedenen Vierteln der
Riesenmetropole stattfinden.
Außerdem verspricht der Autor ein „enormes“ kostenloses Rockkonzert auf dem
zentralen Zócalo-Platz sowie ein Frauenfestival „in einer Stadt, in der der
Machismus in die Ecke gedrängt wird“. Auf Häuserwänden sollen zudem Bilder
der 43 linken Studenten projiziert werden, die 2014 von Polizisten und
Kriminellen verschleppt wurden und seither verschwunden sind. Auch eine für
alle zugängliche Radiostation verspricht Taibo II. Sheinbaum hat
angekündigt, für diese Projekte den Kulturhaushalt zu verdoppeln.
Freilich ist diese „kulturelle Revolution“ auch Teil des Wahlkampfs für
López Obrador, den alle nach seinen Insignien schlicht AMLO nennen. Rund
fünf Wochen vor der Wahl wollen Sheinbaum und Taibo II nun auf dem Zócalo
eine Million Bücher verschenken. Eine feine Sache, die aber an eine Praxis
erinnert, mit der Mexikos Parteien sich schon immer Stimmen sicherten: Sie
verteilen in den verarmten Dörfern und Stadtteilen Baumaterial, Bohnen oder
andere dringend benötigte Waren.
Zweifellos ist Taibo II so integer wie sein Detektiv Belascoarán Shayne.
Aber AMLO, der Präsidentschaftskandidat? Der Politiker tritt bereits zum
dritten Mal an. Einmal wurde er wohl durch Wahlbetrug von der
Präsidentschaft ferngehalten. Derzeit führt er jedoch in den Umfragen so
eindeutig, dass solche Manöver schwerfallen dürften.
Ob er aber seine Versprechungen – soziale Umverteilung, Garantie der
Menschenrechte, Kampf gegen Korruption und der Privatisierung – auch nur in
Teilen umsetzen kann, bleibt fraglich. Weil es dieses Mal einfach klappen
muss, hat der 64-Jährige ziemlich zweifelhafte Partner ins Boot geholt:
Unternehmer, korrupte Gewerkschafter und eine Splitterpartei, die sich
gegen Abtreibungen stark macht.
## Korrupte Vereinigung
Auch darüber hinaus erinnert vieles an ihm an die Einbindungspolitik der
ehemaligen Staatspartei PRI, der er selbst lange Jahre angehörte. Einige
Männer, die dieser durch und durch korrupten Vereinigung entstammen, hat er
für sein künftiges Kabinett vorgesehen, und jener Bürgermeister, der mit
für das Verschwinden der 43 Studenten verantwortlich ist, zählte einst zu
seinen wichtigen Wahlkämpfern. Kritiken von links bezeichnet er als Teil
einer organisierten Hetzkampagne.
Viele Menschenrechtler, Feministinnen und Bewegungslinke setzen dennoch
vorsichtig auf López Obrador. Das ist nicht zuletzt Leuten wie Taibo II
geschuldet, die dem von Morden, Massengräbern und Verschwundenen
gezeichneten Land wenigstens einen Funken Hoffnung vermitteln, dass ein
anderes Mexiko möglich ist.
„Eine Linke, die nicht lacht, ist eine maskierte Scheiß-Rechte“, sagte
Taibo II, als er sein Kulturprojekt vorstellte. Bleibt zu hoffen, dass den
Mexikanern unter AMLO nicht trotzdem bald das Lachen schon wieder vergeht.
27 Apr 2018
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Paco Ignacio Taibo II
Mexiko Stadt
Andrés Manuel López Obrador
Mexiko
Mexiko
El Chapo
Mexiko
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