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# taz.de -- Debatte Sport und Politik: Einfach springen lassen
> Profisport ist Teil der globalen Unterhaltungsindustrie und hoch
> profitabel. Warum sollte man das noch mit öffentlichen Geldern
> unterstützen?
Bild: Der Mensch liebt den Profisport, trotz aller Skandale
Professioneller Leistungssport hat sowohl in Deutschland als auch in großen
Teilen der Welt eine herausragende gesellschaftliche, mediale und
ökonomische Bedeutung. Die Branche generiert Jahr für Jahr
Milliardengewinne, wobei Korruption, Steuerhinterziehung und Formen der
organisierten Kriminalität eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
Erfolgreiche Spitzensportler, Vereine und Nationalteams sorgen für
regionale oder nationale Identifikation und sind somit optimale
Projektionsflächen für Werbebotschaften aller Art. Erfolge oder Misserfolge
können die politische Stimmung in einem Land beeinflussen.
Mächtige Sportverbände sind sich dessen bewusst und spielen schamlos ihre
Macht aus. Bei der Vergabe von Großereignissen wie Weltmeisterschaften oder
Olympischen Spielen pochen sie auf die Gewährung eines weitgehend
rechtsfreien Raumes in den Ausrichterländern. Das betrifft unter anderem
Steuerbefreiungen, die partielle Aussetzung [1][von arbeitsrechtlichen],
sozialen und Umweltstandards, unbegrenzte Geldtransfers und ein
wettbewerbswidriges Monopol bei der Vermarktung dieser Events bis hin zu
den in Stadien angebotenen Getränkemarken.
[2][Autokratisch regierte Staaten] haben damit wenig Probleme, sie nutzen
diese Veranstaltungen zur Aufpolierung ihres Images. Doch auch in den
westlichen Demokratien wird gerne ein Auge zugedrückt, da man sonst keine
Chancen bei der Standortentscheidung seitens der mächtigen, korrupten
Verbände hätte.
Das alles könnte man eigentlich mit einem Schulterzucken quittieren.
Profisport ist ein gewichtiger, hoch profitabler Teil der global agierenden
Unterhaltungsindustrie. Auf der Grundlage der Einhaltung nationaler
gesetzlicher Vorgaben könnte man den Profisport als Teil des
privatwirtschaftlichen Sektors einfach springen lassen und davon sogar
durch Steuern und Gebühren fiskalisch profitieren.
## Profisport wird systematisch vergesellschaftet
Doch Bund, Länder und Kommunen stecken Jahr für Jahr Milliarden in diesen
Zirkus. Finanziert werden unter anderem „Sportkompanien“ der Bundeswehr
sowie zahlreiche Stellen bei der Bundespolizei und anderen Behörden, wo
Spitzensportler als freigestellte Mitarbeiter ihrer Profession nachgehen
können. Direkt aus dem Haushalt finanziert werden hierzulande rund 20
Olympiastützpunkte sowie diverse Leistungszentren. Ferner werden
Großereignisse mit erheblichen Summen subventioniert, sei es durch
kostenfreie Bereitstellung von Sportstätten, Infrastruktur und Logistik
oder den Einsatz von Polizeikontingenten zur Absicherung der
Veranstaltungen. Begründet wird dies alles mit der herausragenden Bedeutung
des Spitzensports und der wichtigen „Vorbildfunktion“ erfolgreicher
Sportler.
Das System der „Vergesellschaftung“ des kommerziellen Profisports treibt
skurrile Blüten. Eine eigentlich Abscheu erregende Kultur der
Selbstverstümmlung wird dabei zum bewundernswerten Heroismus umgedeutet.
Ein gewisser Andreas Toba avancierte zum Nationalhelden, als er bei Olympia
2016 in Rio de Janeiro trotz Kreuzbandriss den Mannschaftswettkampf zu Ende
turnte, um der Mannschaft die Finalteilnahme zu ermöglichen. Als Ikone
wurde auch der Diskuswerfer Robert Harting verehrt, dessen zerschlissene
Bänder und Sehnen jahrelang multimedial inszeniert wurden.
[3][Nahezu lächerlich ist] der viel beschworene, auch staatlich finanzierte
„Kampf gegen Doping“ für einen „sauberen Sport“, der längst zu einem
albernen Wettlauf zwischen „innovativen“ Pharmaproduzenten und
Kontrolleuren geworden ist, mit immer raffinierteren
Verschleierungsmethoden nebst massiven Eingriffen korrupter
Verbandsfunktionäre. Für den Profisport wurde eine – ebenfalls öffentlich
geförderte – Spielart der „Sportmedizin“ entwickelt, der es nicht um
Heilung und Prophylaxe geht, sondern um monströse Formen der
„Leistungsoptimierung“, ohne die Athleten bei internationalen Wettbewerben
chancenlos wären.
Reformieren lässt sich dieser globale Milliardenzirkus nicht. Daher wäre
ein harter, kompromissloser Schnitt notwendig: die komplette Privatisierung
des Profisports. Werbetreibende Konzerne sollen ihre kostbaren
Zirkuspferde, also auch deren Ausbildung, „Optimierung“ und ökonomische
Absicherung marktwirtschaftlich selbst finanzieren, sei es durch
Anstellungsverträge oder Förderung von Freiberuflern, ohne zugeschossenes
Steuergeld. Konsequenterweise sollte dann die Verabreichung
leistungssteigernder Mittel weitgehend freigegeben und dem Obliegen der
Sportkonzerne überlassen werden, unter Einhaltung des Arzneimittelrechts
und des Jugendschutzes.
Nationale und globale Eventvermarkter müssten sich so ein freiwillig
zahlendes Publikum suchen. Dort, wo das nicht gelänge, würden sie vom Markt
verschwinden. Die Trennung vom Profisport müsste auch für die
gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Medien gelten, die nach wie vor
Milliardensummen für Übertragungsrechte ausgeben, selbst für so übel
beleumundete Veranstaltungen wie die „Tour de France“. Wer das noch
unbedingt anschauen will, kann auf das reichhaltige Angebot von
Privatsendern und Streaminganbietern zurückgreifen. Ein System, das sich
bereits etabliert hat, mindestens im Fußball.
Natürlich muss die Sportförderung besonders beim Schul- und Breitensport
eine möglichst auskömmlich finanzierte Aufgabe der öffentlichen
Daseinsvorsorge bleiben. Und natürlich sollte der Wettkampfgedanke einen
angemessenen Platz einnehmen, so wie ihn Zehntausende Amateurfußballer in
Deutschland an fast jedem Wochenende zelebrieren. Wer dieses Hobby zum
Beruf machen möchte, sollte dies auch tun können, hat aber keinerlei
Anspruch auf öffentliche Alimentierung. Und so wäre die radikale
Privatisierung des Profisports eines der ganz wenigen Beispiele für die
Kompatibilität von freier Marktwirtschaft und Sozialstaatsorientierung.
2 Jan 2019
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## AUTOREN
Rainer Balcerowiak
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Schwerpunkt Korruption
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