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# taz.de -- Kolumne German Angst: Die ganz große Kleine-Leute-Koalition
> Wir haben die kleinen Leute verlassen, um noch kleinere Leute zu werden.
> Und wir haben Sehnsucht – aber wir haben nichts zu bieten.
Bild: Sehr gelb, sehr wütend, sehr „wir“?
„Wir haben die kleinen Leute verlassen, um noch kleinere Leute zu werden“ �…
so kommentiert ein Freund die frisch entflammte Liebe vieler Linker und
Liberaler [1][zu den Gelbwesten], diesen kleinen Leuten
Denn: Sind nicht gerade jene, denen jetzt das Herz aufgeht, aus der
Provinz, der kleinen Welt dieser Leute geflohen? Ich habe das auch getan.
Weil ich es konnte. Gelandet bin ich in einer noch kleineren Provinz –
nicht [2][so]
Charlotte-Roche-digital-detox-totale-Entschleunigung-kein-Arzt-kein-Bus-juc
huh-mäßig, sondern, um mein Leben zu finanzieren. Hört sich groß an, ist
jedoch furchtbar klein.
Wir haben die kleinen Leute verlassen, um noch kleinere Leute zu werden.
Diese kleinen Leute bleiben Sehnsuchtsort und Maß im Sinne dieses
gesellschaftlichen Zusammenhalts. Der hieß mal Volksgemeinschaft, Einheit
und jetzt nur noch Demokratie. Horst Seehofer sagte zum [3][Antritt], die
neue Regierung werde „eine große Koalition für die kleinen Leute“ sein. D…
Sozialdemokratie hat sie verraten, die AfD hat sie entdeckt, die Seite 3
möchte sie verstehen: Wer sind sie, was wollen sie, warum so angry? Sie
sind eine Klasse, die durch die Rede von oben herab geformt wird.
Wir haben die kleinen Leute verlassen, um noch kleinere Leute zu werden.
Das Unwohlsein, der Klassendünkel, schwingt immer mit, wenn wir über sie
sprechen. Von „der sozialen Verachtung, die dieser Bewegung
entgegenschlägt“ schrieb Édouard Louis in seinem [4][viralen] Text „Wer s…
beleidigt, beleidigt meinen Vater“. So sind die kleinen Leute Heilige wie
Huren, eben auch Pack, die Homophoben, Rassistinnen und Wutbürger, feuchter
Traum der globalisierten Rechten, jene, die aus berechtigter Empörung über
Chancenlosigkeit von der sozialen zur nationalen Frage kommen. Ist es da
klein, sich radikal abzugrenzen oder – ist Solidarität genau das: sich mit
einem Kampf gemein machen, der nicht der eigene ist?
## Dieses unser Scheitern
Wir haben die kleinen Leute verlassen, um noch kleinere Leute zu werden.
Darin steckt noch etwas anderes als der Hass auf die sozial
Benachteiligten, die unserem konkurrenzförmigen Dasein eigen ist. Dürfen
wir, die qua Geburt Privilegierten und doch Gescheiterten, uns überhaupt
mit einer so grundsätzlichen Sache wie dem Aufbegehren aus existenzieller
Not gemein machen?
Und was bedeutet dieses unser Scheitern am Bruch mit der Provinz, der
Spießigkeit, die wir doch tief im Herzen tragen. Das Scheitern daran, es
besser zu machen. Dabei, sich dieses prekäre Leben nicht einzugestehen,
helfen uns die kleinen Leute. Das Scheitern daran, es besser zu machen. Und
eben das Scheitern an der Einlösung des Privilegs. Wie Robin Hood können
wir uns mit ihnen solidarisieren, ohne dabei etwas anbieten zu können.
Es ist wohlfeil, fernab (Frankreich) mit der Wut der anderen zu
sympathisieren oder sie abzutun (Dresden, Chemnitz). Es ist einfacher, mit
dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der am Ende nur der Sturm auf die da oben
ist, mitzugehen, als sich die eigene Kleingeistigkeit, die Unfähigkeit,
irgendetwas – sei es Widerstand, sei es Utopie – anbieten zu können,
einzugestehen. Wir sind eben nicht die kleinen, wir sind die kleineren
Leute.
11 Dec 2018
## LINKS
[1] /Gelbwesten-Protest-in-Frankreich/!5557594
[2] https://sz-magazin.sueddeutsche.de/charlotte-roche-jetzt-koennte-es-kurz-we…
[3] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-03/koalitionsvertrag-pressekon…
[4] https://www.lesinrocks.com/2018/12/04/actualite/edouard-louis-chaque-person…
## AUTOREN
Sonja Vogel
## TAGS
Proletariat
Populismus
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