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# taz.de -- Kolumne German Angst: In Richtung Demarkationslinie
> An der Grenze verdichten sich Fantasien von Macht, Herrschaft und
> völkischer Homogenität. Wo Grenze ist, gibt es keine Solidarität.
Bild: Grenzen sind wieder in: Hier müssen Österreicher sich bei der Einreise …
„Über euer scheiß Mittelmeer käm' ich, wenn ich ein Turnschuh wär‘“, …
die Goldenen Zitronen schon vor einiger Zeit. Dass für die Ware, anders als
für den Menschen, die nationale Grenze keine Realität hat, ist ein Gesetz
des Kapitalismus. Diese Zeile ist nicht erst aktuell, seit wir im
Mittelmeer in Sichtweite der Frachter tausende von Menschen ersaufen
lassen, weil sie bloß Menschen sind. Ich denke an sie, wenn ich zur
Passkontrolle anstehe.
Selten sieht man Menschen so geduldig und ruhig in einer Schlange stehen
und warten. Dem ergeben, was die Idee der nationalen Homogenität, diese
bösartige und gefährliche Fantasie, für einen Moment zur Realität werden
lässt. Natürlich, die Passkontrolle zum Beispiel am Flughafen markiert eine
fantastische, keine echte Grenze. Und ohnehin wissen wir um deren soziale
Konstruiertheit. Schritt für Schritt rückt man so voran auf dieser Mental
Map des Wir und Ihr in Richtung Demarkationslinie.
Dort verdichten sich Macht und Herrschaft. Hier materialisiert sich die
Fantasie der ethnischen Homogenität, die in den letzten Jahren vom so
genannten Balkan vorgerückt ist, wohin Westeuropa sie seit den brutalen
Kriegen der 1990er externalisiert hatte. Sie ist zurück als Wunsch nach
Eindeutigkeit, nach einer Abstammungsgemeinschaft, die sich an einem Ort
verbinden kann: der Grenze. Und die etablierten Parteien tun gerade alles
dafür, dass diese Fantasie auch zur tristen Realität wird. Und apropos Ware
– in Großbritannien ist der Wunsch nach der Grenze so stark, dass dafür
sogar der Freihandel geopfert wird.
Auch in Deutschland ist die Illusion der homogenen Gemeinschaft längst zu
einer Alternative zur solidarischen Gesellschaft geworden. Das Volk als
unser Wir ist von ganz rechts bis weit nach links Konsens geworden. Von den
sozialen Forderungen ist das geblieben: Die anderen sollen nicht mehr haben
als wir.
## Meilenstein zum mörderischen Nationalismus
Der jugoslawische Autor Ivan Čolović sagte einst über die Sozialproteste im
Serbien der späten 1980er: Sie sind als Arbeiter gekommen und als Serben
gegangen. Diese Proteste, die so genannte „antibürokratische Revolution“
gegen die da Oben – angeführt vom ersten europäischen Populisten Slobodan
Milošević –, war ein Meilenstein auf dem Weg zum mörderischen
Nationalismus, dem Wunsch nach ethnischer Homogenität. Die Unzufriedenheit
ging auf in einem nationalistischen Kollektivismus.
Der Weg dorthin erinnert an das, was in Deutschland nach Pegida kam. Eine
Bewegung derer, die schon die Vielheit des Alltags als so bedrohlich
empfinden, dass sie sich in der kollektiven Einheit einrichten. Noch nie
ging es jenen Unzufriedenen um Verteilungs-, immer schon um
Abgrenzungskämpfe. Mit Neonazis, Identitären, Reichsbürgern und
bürgerlichen Rechten verbindet sie die verrückte Idee, die Fremdbestimmung
ende, wenn Deutsche wieder Deutsche sein könnten.
Wer also vom Volk spricht, hat den Forderungen nach Partizipation bereits
eine Absage erteilt. Es ist dieser Moment, an dem die Grenze brutale
Realität wird.
9 Oct 2018
## AUTOREN
Sonja Vogel
## TAGS
Pass
Völkisch
Grenze
Proletariat
Serbien
German Angst
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Protest
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