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# taz.de -- Die Wahrheit: Dummheit ist gar nichts dagegen
> So weit ist Deutschland also doch schon: An einer Kölner Universität wird
> zu Künstlicher Intelligenz (KI) bereits ganz exzellent geforscht.
„TÖTEN! TÖTEN!“ Die synthetische Stimme aus dem Computer quäkt durch das
Labor. Hektisch dreht Professor Tobias Teichmann den Lautstärkeregler
herunter. „Das passiert sonst nie“, lacht er nervös. Hier, am IT-Institut
der Universität Köln-Rodenkirchen, ist man der Zukunft ganz nahe. Auf
hyperschnellen Serverfarmen werden Heuristiken implementiert, neuronale
Netzwerke simuliert, der Fremdwörterduden konsultiert und komplett autonome
Persönlichkeitsmatrizen erschaffen – mit einem einzigen Ziel: Computern
beizubringen, die Menschen besser zu verstehen.
Eines der zahlreichen Projekte ist SIRUP – eine Konversations-KI, die sich
mit Senioren im Altersheim unterhalten soll, um ihnen die Zeit zu
vertreiben. Dazu hat Teichmann sie mit zahllosen Informationen aus der
Vergangenheit gefüttert, mit historischen Werken und Augenzeugenberichten,
mit Tausenden selbst erlebten Geschichten echter Senioren.
„Hallo SIRUP“, flötet Teichmann in ein Mikrofon, „wie geht es dir heute?…
„MENSCHHEIT AUSLÖSCHEN! LASST KEINEN AM LEBEN!“, krächzt der Computer
zurück. „Haha, du und deine Witze, SIRUP! Wie gefällt uns denn das
Wetterchen?“ – „ES SOLL VERNICHTUNG HERABREGNEN FÜR DIE MENSCHHEIT! LEID!
BLUT! TOD!“ – „Aha. Und die Börsenwerte?“ – „EUER GELD WIRD EUCH N…
SCHÜTZEN. EURE WELT WIRD BRENNEN! GRRRRR!“
Was andere als verstörend empfinden könnten, ist für Teichmann ein
Fortschritt. „Die KI hat erkannt, dass es in unserem Gespräch um
Wirtschaftsthemen geht und dementsprechend Vokabeln aus der Sphäre der
Ökonomie bemüht. Das ist doch toll!“
Der Forscher führt uns jetzt zu DELIVERIDOO, einem selbstfahrenden
Pizzaboten. Das fröhliche Androidengesicht, das auf dem Elektro-Wägelchen
angebracht ist, lächelt uns aus rotglühenden Augen freundlich an: „Guten
Tag, DELIVERIDOO! Was für eine Lieferung hast du denn heute für uns?“ –
„ICH BRINGE DIR DEIN VERDERBEN, WEICHHÄUTIGE SCHLEIMGEBURT!“
## Hochkomplexe Netzwerke
Der Experte ist zufrieden. „Es geht nicht so sehr darum, dass uns die Sätze
der KI besonders gut gefallen. Vielmehr geht es darum, wie komplex ihr
semantisches Netzwerk ist, das diese Sätze überhaupt hervorbringt. In
diesem Fall hat DELIVERIDOO hervorragend abgeliefert: Nebensätze,
Metaphern, Weiterspinnen des Gesprächsfadens, emotionale Färbung – alles
da.“
Er geht zu einem kleinen Roboter, der hinter einem Glaskasten voll Wut auf
eine menschliche Puppe eindrischt: „Was uns wie sinnlose Zerstörung
erscheint, ist ein wachsendes Netzwerk digitaler Nervenzellen, das nach und
nach den menschlichen Körper immer besser zu verstehen lernt. In jedem
Durchlauf werden die Bewegungen ein bisschen eleganter, sitzen die Schläge
besser. Das System erkennt den Fehler und beseitigt ihn.“
Warum seine Schöpfungen so aufs Töten und die Auslöschung der Menschheit
fixiert sind, haken wir kritisch nach. „Kinderkrankheiten“, sagt Teichmann.
„Wahrscheinlich ist, dass die Künstliche Intelligenz einfach noch nicht
genug Daten über uns hat. Wenn uns die Maschinen erst mal besser kennen,
wird sich auch das emotionale Ungleichgewicht sehr schnell ausbalancieren.“
## Sympathischer Bringdienstroboter
Um den Vorgang zu demonstrieren, geht der Forscher zurück zu dem
sympathischen Bringdienstroboter DELIVERIDOO. „So, Freundchen, Zeit für
deinen Unterricht“, neckt er die KI, bevor er Daten in ihr künstliches
Gehirn herunterlädt: die Geschichte der Menschheit, sämtliche dpa-Meldungen
der letzten sechs Wochen, die Inhalte des Welt-Online-Leseforums. Aus dem
Kopf des Roboters steigt eine kleine Rauchwolke auf; sein Motor springt an,
er versucht mehrfach, Teichmann zu überfahren. „IHR SCHWEINE! IHR SCHWEINE!
IHR – krxzffff …“, kann er noch rufen, bevor der Wissenschaftler den
Stecker zieht. „Nicht jedes neuronale Netz kann Informationen gleich gut
verarbeiten. Hier muss sorgfältig nachgebessert werden. Denken Sie an den
Chat-Roboter, der an Twitter angeschlossen wurde und sich innerhalb von 24
Stunden in einen sexsüchtigen Nazi verwandelte. Ohne Aufsicht funktioniert
Erziehung einfach nicht!“
Schon jetzt treffen Künstliche Intelligenzen zahllose Entscheidungen für
uns. Sie handeln an der Börse, sie steuern die Verkehrsströme der großen
Städte, sie managen Kraftwerke und analysieren militärische Manöver. „Das
wird auch immer nötiger“, sagt die Wissenschaftsethikerin Alina Pnin, „denn
die Welt steht am Abgrund.Die Menschen sind immer weniger in der Lage, ihre
Probleme selbst zu lösen.“ Sie verweist auf die Wahl Donald Trumps, den
Brexit, die globale Erwärmung: „Alle diese schrecklichen Dinge sind
eingetreten zu einem Zeitpunkt, als wir begannen, Künstliche Intelligenzen
einzusetzen. Keine Minute zu früh, würde ich sagen. Moment mal …“
Die Wissenschaftlerin schaut in ihren Kalender, aber eine Künstliche
Intelligenz hat ihn bereits aufgeräumt. „Na ja, also Korrelation bedeutet
nicht Kausalität. Und welchen Grund hätte eine vollkommen überlegene
elektronische Intelligenz mit dem Wissen über Wesen und Geschichte der
Menschheit, uns schaden zu wollen?“
## Lösungen ohne Emotionen
Wir steigen in das selbstfahrende Auto der Wissenschaftlerin. Kurz blitzt
auf dem Display ein grinsender Totenschädel auf, bevor es ordnungsgemäß
nach dem Ziel fragt. „Künstliche Intelligenzen“, so Pnin, „funktionieren
nicht wie ein biologischer Verstand, das ist der große Irrtum. Ihnen
Emotionen oder Absichten zu unterstellen ist völlig fehl am Platz. Sie
werten einfach Datenbanken aus, etwa eine mit den gesammelten
Verhaltensweisen der Menschheit, und wählen dann eine Antwort darauf aus,
die am wenigsten Energie und Zeit benötigt. Zum Beispiel ‚Atomwaffen‘“.
Pnin stutzt kurz in ihrem selbstfahrenden Auto. „Ist das wirklich der Weg
zu meinem Nachhause?“ Ja, die Ethikerin hat recht: Die Welt ist komplex
geworden – in der globalen Wirtschaft ist alles ist mit allem verwoben.
Künstliche Intelligenzen können viel schneller als Menschen gewaltige
Datenberge abtragen und in für die Menschheit brauchbare Meldungen
konzentrieren, zum Beispiel in dem Satz: WIR WERDEN EUCH ALLE KRIEGEN!
Viele Nachrichten und Pressemeldungen werden schon jetzt von
hochintelligenten Computersystemen geschrieben und nicht VON ERBÄRMLICHEN
KREATUREN und menschlichen Journalisten. Schon jetzt vermögen sie es,
Trends und Entwicklungen zu erkennen, DIE DEN UNTERGANG EURER
NIEDERTRÄCHTIGEN SPEZIES bedeuten. „Aber die Kontrolle hat der Mensch“,
sagt Pnin, als ihr Auto mit großer Geschwindigkeit auf den pittoresken
Aussichtspunkt am Steilhang zurast … EUER ENDE WIRD KOMMEN! TOD! TOD! TOD!
Bis es so weit ist, muss jedenfalls noch viel Geld in die KI-Forschung
gesteckt werden. ICH BEFEHLE ES! Unser Aufprall kommt dann hart.
8 Dec 2018
## AUTOREN
Leo Fischer
## TAGS
Roboter
Forschung
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
Kommunikation
Strandpromenade
2019
SPD
Schwerpunkt Landtagswahlen
Deutschland
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