# taz.de -- Kritik an Forschung der Uni Hannover: Avatar soll EU-Grenzen sichern | |
> Es gibt Protest, weil sich die Uni Hannover an einem Projekt beteiligt, | |
> das Kontrollen an EU-Grenzen durch Künstliche Intelligenz effizienter | |
> machen soll. | |
Bild: Das erste Gesicht bei der Einreise in die EU: animierter Grenzschützer | |
Hannover taz | „Die Leibniz Universität Hannover hilft der EU bei der | |
Abschottung“, lautet der Vorwurf, der auf Plakate gedruckt nun überall im | |
Hochhaus auf dem Conti-Campus in Hannover hängt. Der Allgemeine | |
Studierenden Ausschuss (Asta) der Uni hat am gestrigen Dienstag, | |
unterstützt von anderen Gruppen wie dem Flüchtlingsrat Niedersachsen, | |
Campus Grün, Solinet oder dem Friedensbüro Hannover, einen offenen Brief | |
übergeben, indem er die Uni dafür kritisiert, dass sie sich an einem | |
EU-Projekt für effizientere Grenzkontrollen beteiligt. | |
[1][Das Projekt iBorderCtrl], das die EU derzeit an den Grenzen von Ungarn, | |
Griechenland und Lettland testet, steht in der Kritik, weil es eine Art | |
Lügendetektortest für Einreisende aus Nicht-EU-Staaten beinhaltet. | |
Menschen, die die europäische Grenze überqueren möchten, müssen vorher mit | |
einem Avatar sprechen und Fragen beantworten. Der sieht aus wie ein | |
animierter Grenzschützer und soll an das Geschlecht, die Herkunft und die | |
Sprache der Reisenden angepasst sein. | |
Anhand von Gesten und kleinsten Regungen im Gesicht sowie Bewegungen der | |
Augen, die von einer Kamera aufgezeichnet werden, beurteilt ein | |
Computerprogramm selbstständig, ob ein Mensch verdächtig oder ehrlich | |
wirkt. | |
## Intensiverer Check für Hochrisiko-Reisende | |
Zudem übermittelt der Reisende seine Daten online an die EU. Das Programm | |
prüft die Dokumente, aber auch, ob das Foto auf dem Pass und das Gesicht im | |
Video derselbe Mensch sind. Aus allen gesammelten Daten bildet die | |
Künstliche Intelligenz einen Score, also eine Punktzahl, anhand der die | |
Grenzschützer ablesen können, wie intensiv die Einreisenden überprüft | |
werden sollen. | |
Das alles soll die Einreise beschleunigen und die EU-Mitarbeiter entlasten. | |
Die Idee dahinter sei es, dass sich die Grenzschützer bei den Kontrollen | |
auf „high-risk travelers“ konzentrieren könnten, sagt | |
EU-Projektkoordinatorin Anastasia Garbi. Zudem könne das System die | |
Betroffenen darauf hinweisen, wenn es Fehler in den Dokumenten gebe, bevor | |
sie sich auf den Weg zur Grenze machten. | |
Die Unterstützer des offenen Briefes bewerten hingegen die Risiken höher | |
als die Vorteile: „Wir glauben, dass dieses Produkt für problematische | |
Zwecke eingesetzt werden kann“, sagt Brunhild Müller-Reiss vom Friedensbüro | |
Hannover – „für die Selektion von gewünschten und nicht gewünschten | |
geflüchteten Menschen“. So etwas dürfe nicht geschehen, und schon gar nicht | |
automatisch. | |
## Forscher untersuchen ethische Fragen | |
Die Unterzeichner des offenen Briefes halten nichts davon, dass ein | |
Programm nach Anzeichen von Lügen in den Gesichtern der Einreisenden suchen | |
soll. „Sowohl eine Flucht, als auch die Kontrolle selbst kann nervös | |
machen“[2][, heißt es in dem Brief.] „Wir verstehen solche Projekte als | |
eine Kampfansage gegen Menschen ohne EU-Pass, weil ein Generalverdacht | |
hergestellt und extrem weitreichende Überwachung angestrebt wird.“ Die | |
Gruppen fordern von der Universität, „dieses Projekt zu verhindern, anstatt | |
es zu legitimieren.“ | |
In Hannover wird nicht die Technik für das Programm entwickelt. Die | |
WissenschaftlerInnen am Institut für Rechtsinformatik versuchen, | |
[3][ethische und rechtliche Fragen, die das Projekt betreffen], zu klären: | |
Werden Menschenrechte eingeschränkt, wenn Betroffene mit dem Avatar | |
kommunizieren müssen? Werden sie zum Objekt degradiert? Wie kann die EU | |
solchen Problemen entgegenwirken? | |
Die Professorin Tina Krügel ist Mitglied des Projekts in Hannover. Für sie | |
ist es bei der Beantwortung dieser Fragen entscheidend, dass „der Mensch | |
nicht der Entscheidung einer Maschine ausgeliefert ist, die weder | |
nachvollziehbar, noch empathisch ist“. Am Ende entscheide immer ein Mensch, | |
nämlich der Grenzschützer, über die Einreise. | |
Ein solches Computerprogramm dürfe zudem keine diskriminierenden Merkmale | |
wie beispielsweise die Hautfarbe zugrunde legen, wenn es prüfe, ob eine | |
Person verdächtig wirke. „Aber genau deshalb sind wir an Bord“, sagt Krüg… | |
über den Auftrag des Instituts. | |
Es sei wichtig, dass sich die Leibniz Universität an der Forschung | |
beteilige und diese aus öffentlichen Geldern finanziert werde, damit solche | |
kritischen Fragen gestellt würden. Auch den Protest der Studierenden und | |
anderer Gruppen finde sie wichtig. „Es ist richtig, dass man darüber | |
diskutiert“, sagt Krügel und klingt dabei auch ohne Überprüfung durch den | |
Avatar so, als würde sie es ehrlich meinen. | |
## Lügendetektoren an Gerichten verboten | |
Bisher nehmen nur Freiwillige an den iBorder-Kontrollen teil. 2020 endet | |
der Pilotversuch. Ob die Überprüfung mit einem Avatar dann zur Regel werde, | |
sei eine politische Entscheidung, meint Krügel. Dafür seien jedoch | |
Gesetzesänderungen nötig. „Zur Zeit könnte ein solches System nicht | |
eingesetzt werden. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage.“ | |
Gerald Wiese vom Asta der Uni Hannover befürchtet dennoch, dass die | |
Lügendetektoren an der Grenze einmal Standard werden: „Warum sollte die EU | |
sonst Millionen Euro in ein solches Projekt stecken?“ | |
Für Wiese ist das ein Bedrohungsszenario. Daran ändern auch die kritischen | |
Forschungsfragen der Uni nichts. „Es ist äußerst bedenklich, dass eine | |
Künstliche Intelligenz einen Risikoscore für einen Menschen erstellt“, sagt | |
er. Lügendetektoren seien an deutschen Gerichten nicht zugelassen, da das | |
Verfahren unwissenschaftlich sei. „Warum sollte das an der Grenze anders | |
sein?“ | |
Dort gebe es zwischen Grenzschützern und Einreisenden ohnehin schon ein | |
großes Machtgefälle. Wenn ein Mensch einen hohen Risikoscore habe, sei es | |
möglich, dass derjenige von Grenzschützern willkürlicher behandelt werde, | |
weil diese ihn für verdächtig hielten. „Flüchtende können sich dagegen am | |
schlechtesten wehren.“ | |
5 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.iborderctrl.eu/ | |
[2] http://www.asta-hannover.de/2018/12/04/pm-neue-qualitaet-der-einreisekontro… | |
[3] https://www.iri.uni-hannover.de/iborderctrl.html | |
## AUTOREN | |
Andrea Maestro | |
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