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# taz.de -- Werner Schwab an Wiener Theater: Die Rückkehr des Spätpunks
> Am Wiener Akademietheater belebt Nikolaus Habjan den Dramatiker Werner
> Schwab und seine von Österreich deformierten Figuren.
Bild: Das Personal der „Volksvernichtung“ ist keins mehr
Wien taz | So schön der Klang ihres Namens über die Konsonanten rollt, das
Purgatorium der Frau Grollfeuer (Barbara Petritsch) heizt auf Sparflamme.
Es ist nur warme Luft, die den bühnengroßen Folienbauch bläht. Am Wiener
Akademietheater wird das Theaterproblem der vierten Wand pneumatisch
interpretiert. Bühne: Jakob Brossmann)
Dahinter west der unheilige Geist des falschen Lebens. „Volksvernichtung
oder Meine Leber ist sinnlos“ lautet die unfrohe Botschaft. Die Hausherrin
Grollfeuer, eine alte Nazisse im mondänen Seidenkostüm, vergiftet
kurzerhand und mit langer Rede die gesamte Hausgemeinschaft einer Grazer
Mietskaserne, die in der Bühnenfilterblase unter ihr so lautstark
vegetiert.
Der Ennui und ihre rohe Bürgerlichkeit sind keineswegs nur von gestern.
Petritsch aktiviert einen höchst gegenwärtigen Eifer der Besitzenden, der
den Hartz-IV-Empfängern noch die Ration der mildtätigen Tafel neidet. Ihre
Täteropfer, Familie Kovacic, „Deutschösterreicher“ in zweiter Generation,
sind geradewegs dem privaten Kleinbürgerfernsehen entschlüpft. Darunter nur
noch die Mindestrentnerin Wurm und ihr klumpfüßiger Sohn Hermann, der sich
als bildender Künstler imaginiert und dessen besonderer Sensibilität von
Kindes Beinen an mit Gewalt und Vergewaltigung begegnet wurde.
## Fäkaldramen durch die Nase gezogen
Willkommen im Bestiarium des Werner Schwab, dessen kraftstrotzend
expressionistische Dichtung in den 1990er Jahren die deutschsprachige
Bühnen eroberte. Seine „Fäkaldramen“ und „Radikalkomödien“ strafen d…
Kunst der spekulativen Menschendarstellung Lügen. Schönheit konnte nur roh
und dissonant sein. Schwab geriet zum wohligen Gift, das der moribunde
bürgerliche Theaterbetrieb auf der Suche nach dem verlorenen Leben durch
die Nase zog.
Am Neujahrstag 1994 starb er an Alkohol, Österreich und den Verhältnissen.
Das ließ ihn nicht nur im Land der toten Dichter zum Mythos werden. Die oft
abgedruckte Apotheose – Schwab mit dem brennenden Mantel – hatte der
Fotograf Joseph Gallus Rittenberg schon zu Lebzeiten ins Bild gesetzt. Die
Biografen verdichteten es zum romantischen Idol dessen, dem auf Erden nicht
zu helfen war. Schwab machte posthum Karriere als Spätpunk und Lieferant
von Provinzglossen für die Trashästhetik der 1990er Jahre.
Irgendwann hatte auch die letzte Studiobühne das „schwabische“ Idiom
entdeckt, woraufhin es bald wieder verblasste. Aber es gibt Texte, die
„durch“ sind, ohne dass man mit ihnen fertig ist. Sein Posthumanismus, der
Blick auf die „Menschenstümpfe“ (Adorno über Beckett) als das, was
Gesellschaft und Selbsterhaltungszwang aus ihnen gemacht hat, verlangen die
zweite Lektüre und möglicherweise auch, dass man Schwab wieder spielt.
## Gewaltförmig kumulieren und kopulieren
Am Wiener Akademietheater übt sich die hohe Schauspielkunst in neuer
Bescheidenheit. Die Ensemblemitglieder Dorothee Hartinger, Sarah Viktoria
Fritsch und Alexandra Henkel führen behände die Alter Egos ihrer Alter Egos
als Klappmaulfiguren. Das Personal der „Volksvernichtung“ ist keins mehr.
Die Kovacics und Wurms sind kentaurenhafte Hybride aus Körperfragmenten in
schrillen Kostümen (Cedric Mpaka), Pappmachéköpfen, Klappmechaniken und
verstellten Stimmen, die sich immer wieder zu gewaltförmig kumulierenden
und kopulierenden Haufen verdichten, Emanationen eines unerlösten Élan
vital, den Schwab so sehr feiert wie verachtet.
Der Kopf, der die Köpfe führt und gemeinsam mit Manuela Linshalm baut, ist
der Regisseur Nikolaus Fabjan. In Wien bekannt geworden ist er mit einer
solistischen Großtat, dem biografischen Stück über Friedrich Zawrel, der
als Kind in einer Klinik das Euthanasieprogramm der Nazis überlebte und als
Erwachsener seinem Peiniger in der Gestalt eines wohlbestallten
Gerichtsgutachters wiederbegegnete.
In der „Volksvernichtung“ stellt sich über die Einzelskulptur hinaus der
Imaginationsraum zwischen Mensch und Maschine dagegen nicht recht ein. Die
Arbeit des Ins-Bild-Setzens scheiterte am analytischen Umgang mit den
Textgebirgen Schwabs, seine Welten bleiben harmlos und spaßig. Die Genesung
des Theaters durch Klappmaulfiguren fand nicht statt. Aber sie enthalten
ein Versprechen, das das Theater von der Illusion wegführt, selbstbestimmte
Subjekte darzustellen.
2 Dec 2018
## AUTOREN
Uwe Mattheiß
## TAGS
Theater
Punk
Theodor W. Adorno
Österreich
Filmemacher
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