| # taz.de -- Medien in der Ukraine: Mit anderen Worten | |
| > Per Gesetz sollen Printmedien auf Ukrainisch publizieren, als Zeichen | |
| > gegen das dominante Russisch. Zeitungen in der Ukraine fürchten um ihr | |
| > Bestehen. | |
| Bild: Mutter-Heimat-Statue in Kiew: Seit dem Maidan wird Sprache wieder stärke… | |
| Kiew taz | Über den nächtlichen Versuch, in ihr Büro einzubrechen, wissen | |
| sie nicht viel. Die Kratzer von der Bohrmaschine auf dem Metall des | |
| Schlosses sind noch zu sehen, ebenso ein tiefes Loch neben dem | |
| Schließzylinder, den sie haben austauschen lassen. Die Polizei glaube | |
| nicht, den oder die Täter finden zu können, sagt Oksana Romaniuk. Sie ist | |
| die Direktorin des Instituts für Masseninformation in der ukrainischen | |
| Hauptstadt Kiew. | |
| Ihre Organisation tritt für Pressefreiheit ein und ist der lokale Partner | |
| von [1][Reporter ohne Grenzen] im Land. Vor dem Versuch des Einbruchs in | |
| das Büro hatte Romaniuk Hunderte Hassbotschaften von prorussischen | |
| Facebook-Profilen per Messenger erhalten – Drohungen, ihrer Familie zu | |
| schaden, sie zu vergewaltigen. Sie hatte zuvor auf Facebook einen früheren | |
| ukrainischen Minister kritisiert, der heute in Russland lebt. „Solche | |
| Dinge werden zunehmen“, sagt Romaniuk, „wir haben im nächsten Jahr Wahlen.… | |
| Vor fünf Jahren, am 21. November 2013, protestierten Menschen auf dem | |
| Maidan, dem zentralen Platz in Kiew, zum ersten Mal dagegen, dass ihre | |
| Regierung ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht | |
| unterzeichnen wollte. Nach Monaten der Demonstrationen, bei denen über | |
| hundert Menschen zu Tode kamen, verließ der damalige Präsident Wiktor | |
| Janukowitsch im Februar 2014 das Land. | |
| Noch im selben Monat begann der Krieg mit von Russland unterstützten | |
| Separatisten im Osten des Landes. Die Ukrainer*innen wählten den Oligarchen | |
| Petro Poroschenko, der unter anderem viele Schokoladenfabriken besitzt, zum | |
| Präsidenten. Im März 2019 werden die Wähler*innen entscheiden, ob er | |
| weitere fünf Jahre im Amt bleibt. Auf den Wahlplakaten mit seinem Bild | |
| steht der Slogan „Armee, Sprache, Glaube“. | |
| ## Gesetz Nummer 5670-d | |
| Die Sprache ist seit dem Maidan ein immer wichtigerer Punkt der politischen | |
| Auseinandersetzung geworden. Wenn Oksana Romaniuk davon spricht, dass | |
| „solche Dinge zunehmen werden“, dann meint sie auch: „populistische | |
| Vorschläge, die versuchen, vom Patriotismus und vom Krieg zu profitieren“. | |
| Ein solcher Vorschlag ist in ihren Augen der Gesetzentwurf mit der Nummer | |
| 5670-d, den das ukrainische Parlament im Oktober in erster Lesung | |
| angenommen hat. Käme der Vorschlag in seiner bisherigen Form durch, müssten | |
| alle ukrainischen Printmedien und auch alle Publikationen im Internet ihre | |
| Inhalte immer zusätzlich auf Ukrainisch veröffentlichen. | |
| Seit der Entwurf bekannt ist, fürchten [2][Journalistinnen Einschränkungen | |
| ihrer Arbeit] oder sehen die Existenz ihrer Medien gefährdet. Man verstehe | |
| zwar die schwierigen Umstände in der Ukraine, die zu dem Gesetz geführt | |
| hätten, schreibt Johann Bihr von Reporter ohne Grenzen der taz in einer | |
| Mail, „aber wir sorgen uns um die potenzielle Bedrohung, die es für | |
| fremdsprachige Medien darstellt und auch für solche, die in | |
| Minderheitensprachen erscheinen.“ | |
| ## Gefährdung der Medienlandschaft | |
| „Wenn der Entwurf so durchkommt, stellen wir vielleicht den Verkauf in | |
| Supermärkten und Kiosken ein und beliefern nur noch unsere Abonnenten“, | |
| sagt Vitalij Sych, der Chefredakteur von Novoe Vremya, dem wichtigsten | |
| Nachrichtenmagazin des Landes, das unter anderem für seine Recherchen zur | |
| Korruption im Militär bekannt ist und auf Russisch erscheint. Er sagt, es | |
| koste zu viel, das Magazin auch noch in Ukrainisch drucken zu lassen. | |
| Ausschließlich in Ukrainisch will er nicht veröffentlichen, „weil uns das | |
| Publikum gerade in den großen Städten auf Russisch liest“. Sie sehen das | |
| unter anderem auf ihrer Webseite, die bereits zweisprachig erscheint, dort | |
| wollen nur 26 Prozent der Leser*innen ukrainische Texte lesen. „Außerdem | |
| sind Medien nicht dazu gedacht, Menschen zum Gebrauch einer Sprache zu | |
| erziehen“, sagt Sych, „das ist Aufgabe von Staat und Schulen.“ | |
| Auch englischsprachige Medien sehen sich bedroht. „Wir nehmen besorgt zur | |
| Kenntnis, dass der Gesetzentwurf in seiner gegenwärtigen Form Medien | |
| gefährdet, die in Englisch oder anderen Sprachen der EU veröffentlicht | |
| werden“, schreiben die Autor*innen eines offenen Briefes. Viele von ihnen | |
| arbeiten für englischsprachige Medien wie die in der Hauptstadt | |
| erscheinende englischsprachige Kyiv Post, die sich an Menschen im Ausland | |
| richtet. | |
| ## Sprache ist ein Politikum | |
| „Eine ukrainische Version zu drucken wäre finanzieller Selbstmord“, sagt | |
| Olga Rudenko, Vizechefin der Kyiv Post. „Wir bräuchten einen zweiten | |
| Newsroom und müssten die Geschichten, die in letzter Sekunde kommen, mit | |
| Lichtgeschwindigkeit übersetzen lassen.“ Auch die Onlineausgabe könne man | |
| nicht mal eben so durch den Google-Übersetzer laufen lassen. | |
| „Die Ansprüche eines ukrainischsprachigen Publikums sind anders, der Stil | |
| ist anders, wir müssten die Geschichten umschreiben lassen“, sagt Rudenko. | |
| Das sei auch mit mehr Geld nicht zu lösen, von dem der Eigentümer der | |
| Zeitung, der in Syrien geborene Oligarch Adnan Kivan, einiges hat. | |
| Je länger der Krieg im Osten des Landes dauert und je mehr Menschen dort | |
| sterben, desto politischer wird die Frage, welche Sprache jemand spricht | |
| und ob etwas in Russisch oder Ukrainisch veröffentlicht wird. In der | |
| Ukraine wachsen die meisten zweisprachig auf, sie sprechen Ukrainisch und | |
| Russisch. Unterhaltungen, bei denen eine Person russisch redet, die andere | |
| ukrainisch, sind nicht ungewöhnlich. | |
| ## Ukrainisch wurde systematisch unterdrückt | |
| [3][Seit dem Maidan] wird das Ukrainische hörbar dominanter. Das ist auch | |
| Teil der Wiederentdeckung und Neuerfindung einer ukrainischen Identität. | |
| Als die Ukraine zum Russischen Zarenreich und später zur Sowjetunion | |
| gehörte, unternahmen die Mächtigen in Moskau einiges, um die ukrainische | |
| Sprache zu unterdrücken. | |
| Sie verboten 1863, öffentlich Ukrainisch zu sprechen, Russisch war | |
| Amtssprache; Bücher, Zeitschriften und Filme erschienen in Russisch. Es | |
| galt als die Sprache der Gebildeten in der Stadt, Ukrainisch als Idiom der | |
| Hinterwäldler auf dem Land. In der Folge erscheinen heute noch fast alle | |
| ukrainischen Printmedien auf Russisch. | |
| „Nur jemand, der blind oder taub ist, kann behaupten, es gebe kein Problem | |
| mit der ukrainischen Sprache in meinem Land“, schreibt Iryna Podolyak | |
| von der konservativen Samopomich-Partei auf Anfrage per Facebook-Messenger. | |
| Sie ist eine der Autor*innen des Gesetzes. „Der Kreml hat die russische | |
| Sprache lange als Waffe der Propaganda und Manipulation benutzt. Wir | |
| kämpfen nicht gegen die russische Sprache, wir kämpfen gegen die | |
| Russifizierung der Ukraine.“ | |
| ## Ein Bann über russische Produkte | |
| Auch wenn sie nicht so harsch reden würden wie Podolyak, sagen auch die | |
| Gesetzesgegner*innen Oksana Romaniuk, Olga Rudenko und selbst der | |
| Novoe-Vremya-Chef Vitalij Sych, sie seien dafür, den Gebrauch der | |
| ukrainischen Sprache zu unterstützen. „Es gab einen Lingozid, einen | |
| Versuch, die ukrainische Sprache auszulöschen“, sagt Romaniuk und erzählt, | |
| wie sie in der Schule von anderen Kindern gemobbt wurde, weil sie aus einer | |
| Kleinstadt kam und als Einzige Ukrainisch sprach. „Aber wir machen nichts | |
| besser, wenn wir heute die Menschen, die Russisch sprechen, dazu zwingen, | |
| sich bei uns fremd zu fühlen.“ | |
| Iryna Podolyak hingegen schreibt weiter, das Gesetz solle auch verhindern, | |
| dass Nationalisten etwas noch Brachialeres fordern. Was sie damit meint, | |
| lässt sich in den Gebieten Lwiw, Shitomir und Ternopil beobachten, wo die | |
| Verwaltungen eine Art Bann über russische kulturelle Produkte ausgesprochen | |
| haben, in dessen Folge unter anderem das zweisprachige Kulturmagazin Sho | |
| nicht mehr in Lwiw erscheint. | |
| So etwas sei dumm und gegen die Verfassung, findet Podolyak. Sie rechnet | |
| mit weitgehenden Änderungen am eigenen Gesetz, es gebe bereits sehr viele | |
| Vorschläge. Was bisher von diesen Vorschlägen bekannt ist, lässt darauf | |
| schließen, dass es Ausnahmen geben könnte – für Publikationen auf Englisch | |
| und andere Sprachen der Europäischen Union. Für russischsprachige Medien | |
| eher nicht. | |
| 23 Nov 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/ukraine/ | |
| [2] /Repression-gegen-Medien-in-der-Ukraine/!5443089 | |
| [3] /Gedenkmarsch-fuer-den-Maidan/!5019304 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Schulz | |
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