# taz.de -- Abschiebung aus Niedersachsen ins Elend: Nachts kam die Polizei | |
> Bis vor ein paar Tagen lebten Naza und Sime Bajrami in Delmenhorst. Dann | |
> wurden sie abgeschoben. Ihr Sohn ist seitdem auf der Flucht. | |
Bild: Für den Strom reicht das Geld nicht: Sime Bajrami vor „seiner“ Hütt… | |
Bremen/Belgrad/Bujanovac taz | Naza Bajrami bringt kein Wort über die | |
Lippen. Unter der Decke, die sie bis unters Kinn gezogen hat, trägt sie | |
noch ihren Parka. Nur ihr Gesicht lugt hervor, eingerahmt vom Fellimitat | |
ihrer Kapuze. | |
Seit Tagen kauert sie so auf dem zerschlissenen Sofa, das sie und ihr Mann | |
Sime in der kleinen Hütte vorfanden. Manchmal hustet Naza. Sie rührt sich | |
kaum, manchmal weint sie. Zwischen Wellblech und Dachbalken pfeift der | |
Wind, der Putz blättert von den verschimmelten Wänden. Durch die | |
Feuchtigkeit, die sich schon länger in das Gemäuer einsaugt hat, haben die | |
Bodendielen Wellen geschlagen. | |
Keinen Strom, keine Heizung, gibt es hier, nur kaputte Fensterscheiben. In | |
einer Ecke steht ein Küchenofen, aber die Bajramis haben kein Geld für | |
Brennholz. Dabei ist es kalt geworden im Süden Serbiens, die Temperaturen | |
in den letzten Nächten schwankten um den Gefrierpunkt. | |
Bis vor ein paar Tagen lebten die Bajramis noch in Delmenhorst, in der Nähe | |
von Bremen. Dass sie nun in Bujanovac gestrandet sind, können sie selbst | |
kaum glauben. Die Stadt ist nur ein paar Kilometer von der Grenze zum | |
Kosovo entfernt. Handkarren sind im Straßenbild selbstverständlich, viele | |
Menschen sind arbeitslos. Wer eine Anstellung hat, verdient | |
durchschnittlich 250 Euro im Monat. | |
## Nach vier Jahren stehen nachts Polizisten in der Wohnung | |
Durch Vermittlung ihrer Schwägerin fanden die Bajramis Unterschlupf in | |
einer der Roma-Siedlungen am Stadtrand, wo es alles gibt, von schmucken | |
Häusern bis hin zu Bruchbuden wie der ihrigen, wo die Gemeinde anders als | |
im Rest der Stadt die Straßen nicht teert und die Kanalisation nicht | |
ausbaut. Wie so oft in den Gegenden Südosteuropas, in denen Roma leben. | |
Sime Bajrami spricht darüber, was passiert ist, die Erinnerung wühlt ihn so | |
auf, dass er sich wiederholt: Nach vier Jahren in Deutschland wurden er und | |
seine Frau abgeschoben. Was ihnen geschah, kann man wohl als Beispiel | |
nehmen für eine neue Härte im Umgang mit Flüchtlingen. | |
Acht oder zehn Polizisten hätten nachts in ihrer Wohnung gestanden, sagt | |
Bajrami, es sei gegen vier Uhr morgens gewesen. Ihr gerade erwachsener | |
Sohn, der ebenfalls in der Wohnung war, ist durchs Fenster abgehauen und | |
jetzt auf der Flucht. Bajrami wurden Handschellen angelegt. Noch heute | |
trägt er, was er in jener Nacht am Leib hatte: Turnschuhe, graue | |
Jogginghose, Camouflage-Jacke. | |
Vor vier Jahren hatte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) | |
noch erklärt, er wolle „mehr Menschlichkeit in der Flüchtlingspolitik“. P… | |
Erlass verfügte er, dass Familien bei Abschiebungen grundsätzlich nicht | |
mehr getrennt, diese mehrfach angekündigt und nächtliche Abschiebungen | |
vermieden werden sollten. | |
Seitdem ist einiges passiert, die Bundespolitik hat ihre Asylpolitik | |
verschärft und diverse Fortschritte, die auf Länderebene erzielt worden | |
waren, zurückgedreht. | |
## Die meisten Abschiebungen inzwischen nachts | |
Inzwischen finde sogar die Mehrheit der Abschiebungen nachts statt, erklärt | |
Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. „Rabiat“ und „ruppig“… | |
die Wörter, mit denen Weber das aktuelle Klima im Umgang mit Flüchtlingen | |
beschreibt. Der Richtungswechsel ist für ihn ein Nebeneffekt einer Debatte, | |
die vor allem vom CSU-geführten Bundesinnenministerium ausging, das mit | |
einer Kampagne zur verstärkten Abschiebung die Willkommensstimmung von 2015 | |
umgekehrt habe. „Wir stellen fest, dass es in Niedersachsen mittlerweile | |
weniger Rücksicht gibt, Menschen trotz Krankheiten abzuschieben oder | |
Familien auseinanderzureißen“, sagt Weber. | |
Habseligkeiten konnten die Bajramis keine einpacken und auch keine Papiere. | |
Nicht einmal Medikamente. Naza hat Asthma und Diabetes, und sie ist | |
psychisch krank. Zwei Mal hat sie versucht, sich das Leben zu nehmen. Auf | |
einer Bescheinigung des Amtsarztes zur Frage, ob sie die Belastung einer | |
Abschiebung überstehe, heißt es, „reisefähig“ sei Naza Bajrami nur unter | |
bestimmten Bedingungen: „Während der Abschiebemaßnahme ärztliche Begleitung | |
und zusätzliche pflegerische Betreuung möglichst durch Familienangehörige“. | |
So steht es auf dem Papier, damit die Menschenrechte gewahrt bleiben. Und: | |
„Im Heimatland Sicherstellung von ärztlicher und pharmakologischer | |
Behandlung sowie hauswirtschaftliche und pflegerische Versorgung.“ | |
Aber mit Menschenrechten und Papier ist es so eine Sache. Tatsächlich sei | |
bei der zwangsweisen Abreise in Delmenhorst noch ein Arzt da gewesen, | |
erklärt Sime Bajrami. Als der Mediziner seine Frau sah, habe er gesagt, man | |
könne sie in diesem Zustand nicht mitnehmen. Doch die anwesende Chefin der | |
Ausländerbehörde habe Anweisung gegeben, fortzufahren. | |
Eigentlich hatte die Familie die Abschiebung mit ihrem Anwalt Jan Sürig zu | |
verhindern versucht und psychologische Atteste eingereicht. Doch bevor | |
Bajrami seinem Anwalt die Bescheinigung vom Amtsarzt weitergeleitet hatte, | |
standen da schon die Polizisten. Laut Sürig weigerten sich die Behörden | |
danach, ihm mitzuteilen, wo sich seine Mandanten befinden – und wohin sie | |
gebracht wurden. | |
Dass es für die beiden nicht einfach werden würde, in Deutschland zu | |
bleiben, war klar. Denn Serbien, das Kosovo und weitere Staaten | |
Ex-Jugoslawiens gelten als „sichere Herkunftsländer“. So steht es seit 2014 | |
auf einem Papier, genauer in der Anlage II zu Paragraf 29a des | |
Asylgesetzes. | |
## Das Leben in Serbien ist für Roma nicht sicher | |
Für wen und wie sicher es wirklich ist, steht auf einem anderen Blatt. Denn | |
das Leben von Roma wie den Bajramis ist in Serbien nicht sicher. Offene und | |
subtile Vorurteile sind an der Tagesordnung, es herrscht Misstrauen – auch | |
bei den Behörden, der Polizei und selbst bei Ärzten. | |
Regelmäßig kommt es zu Angriffen von Neonazis. Die Arbeitslosenquote unter | |
Roma ist vier Mal höher als im Durchschnitt, zwei Drittel der Roma-Kinder | |
leben unter der Armutsgrenze. Nur wenige Roma gehen mehr als vier Jahre zur | |
Schule. Sie trifft ein Mosaik aus Diskriminierungen, vielfach empirisch | |
belegt, von Deutschland aber ignoriert. | |
Während der Abschiebung sei seine Frau „nicht da“ gewesen, sagt Bajrami. | |
„Sie wusste nicht, wo sie war.“ So, wie sie sich nun auf dem Sofa in ihren | |
Parka hüllt, hat man den Eindruck, als wisse sie es immer noch nicht. | |
Während der Fahrt zum Flughafen habe eine Polizistin versucht, seine Frau | |
zu beruhigen, erzählt Bajrami. „Sie war gut zu uns.“ Danach aber habe es | |
keine ärztliche Betreuung gegeben. Im Flugzeug bat er einen Polizisten um | |
Hilfe, der daraufhin erklärte habe, dass auch er sehe, wie schlecht es | |
seiner Frau gehe, er aber nur für die Sicherheit zuständig sei. So erzählt | |
es Bajrami. | |
Die Leiterin der Ausländerbehörde selbst will sich zu der Abschiebung nicht | |
äußern. Sie verweist an die Pressestelle der Stadt Delmenhorst, wo man aus | |
Datenschutzgründen die Auskunft zum Einzelfall verweigert. Die in | |
Braunschweig ansässige Landesaufnahmebehörde Niedersachsen schließlich | |
stellt die nächtliche Abschiebung anders dar. | |
Einen Einspruch des Arztes habe es demnach nicht gegeben: „Die Rückführung | |
ins Heimatland Serbien von Frau Bajrami ist am 6 .11. 2018 um 3.15 Uhr in | |
Delmenhorst begonnen worden“, heißt es aus der Pressestelle. „Vor Ort hat | |
ein Arzt keine Reiseunfähigkeit festgestellt und einer Betreuung durch | |
einen Rettungssanitäter während der Fahrt zum Flughafen Düsseldorf | |
zugestimmt.“ Während des Fluges sei ein Arzt anwesend gewesen. | |
Man kann sich fragen, wie vertretbar es ist, jemanden abzuschieben, der | |
währenddessen medizinisch betreut werden muss. Hilfe, wie vom Amtsarzt | |
gefordert, haben die Bajramis seit ihrer Ankunft in Serbien jedenfalls | |
keine erhalten. Eines der Antipsychotika, die seine Frei benötigt, konnte | |
Bajrami in der Apotheke nicht bekommen. Es sei in Serbien gar nicht | |
registriert, sagte man ihm dort. | |
Dennoch versichert die Landesaufnahmebehörde von Braunschweig aus: „Die | |
fachärztliche und pharmakologische Behandlung sowie hauswirtschaftliche und | |
pflegerische Versorgung wird von der zuständigen Ausländerbehörde bzw. dem | |
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisiert. Diese treten in | |
Kontakt mit dem Verbindungsbüro vor Ort, wo dann die notwendige Versorgung | |
sichergestellt wird.“ | |
Die Auskunft ist eine Farce. Als die Bajramis am Flughafen „Nikola Tesla“ | |
in Belgrad ankamen, wurden sie durchsucht. In Sorge um seine kranke Frau | |
habe er sich an die Polizisten gewandt, erzählt Bahrami. Die aber hätten | |
ihn nur fortgeschickt. Auf Nachfrage am Flughafen bestätigt eine Polizistin | |
seine Schilderung: In Wahrheit hätten die Rückkehrer in Serbien Häuser und | |
würden in Deutschland nur Geschichten erzählen, um an Geld zu kommen, sagt | |
sie uns. Wenn „die Leute“ am Flughafen ankommen, würden sie deshalb | |
weggeschickt. | |
Auf dem Papier soll es freilich anders laufen. Am Belgrader Flughafen sitzt | |
in einer Ecke ein „Büro für Rückkehrer“, mit Flyern, die Hilfen | |
versprechen. Um das Büro zu finden, muss man hartnäckig nachfragen. Die | |
Bajramis haben nie davon gehört. | |
## Der Zugang zur Sozialhilfe ist aussichtslos | |
Eigentlich gibt es in Serbien auch einen kleinen Betrag an Sozialhilfe. | |
Etwa 70 Euro im Monat für einen Alleinstehenden, rund 150 Euro für eine | |
mehrköpfige Familie, erklärt Milan Radojev von der Belgrader | |
Menschenrechts-Organisation „Praxis“. | |
Verschiedene Dokumente müssten vorgelegt werden, Ausweise, eine | |
Registrierung und Bestätigung des Vermieters. Ein komplizierter Prozess, | |
der Wochen, oft Monate dauern könne, sagt Radojev. Besonders für Roma, die | |
oft in inoffiziellen Siedlungen lebten und dort keine Registrierung | |
erhielten. Für Menschen mit geringer Bildung sei es ohne rechtlichen | |
Beistand aussichtslos, Sozialhilfe zu erhalten. | |
Sime Bajrami steht in seiner Hütte, greift immer wieder in seine Tasche und | |
holt die deutsche AOK-Karte hervor. Er hält sich fest an dem Stück Plastik, | |
das ihm nun nichts mehr nützt. Sozialhilfe? Derzeit könnte er nicht einmal | |
die Antragsgebühren für die nötigen Dokumente bezahlen. Der Vermieter will | |
ihm auch keine Bestätigung für die Wohnung ausstellen, vermutlich, weil er | |
die Räume nicht offiziell vergeben darf. | |
100 Euro zahlen Sime und Naza Bajrami ihm pro Monat. Mit insgesamt 200 Euro | |
in der Tasche waren sie in Belgrad gelandet. Für den Bus, der sie in sechs | |
Stunden gen Süden zu ihrer Schwägerin brachte, legte Bajrami rund 50 Euro | |
hin. Das Asthma-Spray für seine Frau kostet samt Pumpe 35 Euro, Strom 70 | |
Euro. Aber so viel hatten sie nicht mehr. Deshalb sitzen sie jetzt im | |
Dunkeln. | |
Den ganzen Schwerpunkt zur „neuen Härte“ bei Abschiebungen finden Sie in | |
der taz am Wochenende am Kiosk oder [1][hier]. | |
23 Nov 2018 | |
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