# taz.de -- Fragen und Antworten zum Brexit: Brexit means … äh … | |
> Was bedeutet der Brexit-Deal? Was wird aus EU-Bürgern im Königreich? | |
> Tritt die Premierministerin zurück? Ein Q & May. | |
Bild: Zu ihrer Zukunft sagte Theresa May, sie mache weiter, weil sie es für ri… | |
1 Was ist in dieser Woche passiert? | |
Die Brexit-Unterhändler Großbritanniens und der EU haben sich nach langen | |
Verhandlungen am 12. November auf den Entwurf eines Abkommens geeinigt. Es | |
regelt die Modalitäten des britischen EU-Austritts am 29. März 2019. Das | |
Dokument umfasst 585 Seiten, davon 300 Seiten Vertragstext und 285 Seiten | |
Anhänge. | |
2 Was steht im Brexit-Deal? | |
Während einer Übergangszeit bis Ende 2020 gilt EU-Recht in Großbritannien | |
uneingeschränkt weiter, obwohl Großbritannien nicht mehr in den | |
EU-Institutionen vertreten ist. Bis 1. Juli 2020 ist es möglich, diese | |
Übergangszeit zu verlängern. | |
Britische Bürger in EU-Staaten und EU-Bürger in Großbritannien behalten auf | |
Lebenszeit ihre bis zum Ende der Übergangszeit erworbenen Rechte. | |
Großbritannien nimmt bis Ende 2020 am EU-Haushalt teil und zahlt danach | |
jährlich Haushaltsverpflichtungen ab, die in der Zukunft anfallen; | |
britische Anteile an gemeinsamen EU-Organen werden im gleichen Rhythmus | |
erstattet. Die jeweiligen Summen legt die EU fest. | |
Großbritannien bleibt der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs | |
(EuGH) in allen Fällen unterworfen, die bis Ende 2028 eingereicht werden. | |
Die EU-Kommission kann Großbritannien bis Ende 2024 vor dem EuGH verklagen. | |
Ein paritätisch besetztes „Gemeinsames Komitee“ überwacht dauerhaft die | |
Einhaltung des Brexit-Vertrages und richtet eine 25-köpfige Schiedsstelle | |
ein. Bei Rechtsfragen entscheidet in letzter Instanz der EuGH. | |
Die EU und das Vereinigte Königreich (Großbritannien und Nordirland) bilden | |
nach Ende der Übergangszeit ein „Gemeinsames Zollgebiet“. Diese | |
„Backstop“-Regelung, zusammengefasst in einem eigenen 29-seitigen Protokoll | |
mit fast 150 Seiten Anhängen, soll gewährleisten, dass keine | |
Warenkontrollen an der zukünftigen EU-Außengrenze zwischen der Republik | |
Irland nötig werden – und auch nicht zwischen Nordirland und Großbritannien | |
innerhalb des Vereinigten Königreichs. Sie ist nur „vorübergehend“, gilt | |
aber „außer und bis“ sie von einem anderen Abkommen abgelöst wird, oder b… | |
beide Seiten sie einvernehmlich beerdigen. Theoretisch könnte sie also | |
endlos gelten. | |
Im „Gemeinsamen Zollgebiet“ gelten ausschließlich EU-Zollregeln; für | |
Nordirland bleiben zusätzliche Regeln des EU-Binnenmarktes in Kraft. Das | |
könnte weitere Kontrollen innerhalb des Vereinigten Königreiches nach sich | |
ziehen. Großbritannien darf keine eigenen Zollregeln erlassen, muss seine | |
Außenhandelspolitik an die der EU angeglichen lassen und bestehende | |
Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards der EU einhalten. Die EU kann | |
einseitig Brüche feststellen und sanktionieren. | |
Weitere Protokolle regeln den Status von Gibraltar und der britischen | |
Militärbasis auf Zypern. | |
Eine „politische Rahmenerklärung“ von acht Seiten skizziert, wie ein | |
Abkommen über die zukünftigen Beziehungen in allen Bereichen aussehen | |
könnte. Die Rahmenerklärung ist noch nicht fertig, soll aber bis Ende | |
November abgeschlossen sein. | |
3 Was bemängeln die Gegner? | |
Die Gegner des Deals kritisieren, dass die Backstop-Regelung keine Frist | |
des „Gemeinsames Zollgebiets“ festschreibt. Damit würde Großbritannien bis | |
auf Weiteres die wirtschaftspolitische Unabhängigkeit geraubt. Auf | |
Ablehnung stößt in London außerdem die EU-Sicht, wonach das „Gemeinsame | |
Zollgebiet“ nicht nur eine Übergangslösung ist, sondern der Rahmen für die | |
zukünftigen Handelsbeziehungen. Ein weiterer Punkt ist das Ausmaß der | |
zukünftigen Gültigkeit von EuGH-Rechtsprechung in Großbritannien. | |
4 Wie reagiert die Politik in London? | |
Allein am Donnerstag, nach Veröffentlichung des Deals, traten – trotz | |
vorheriger Billigung durch das Kabinett – sieben Mitglieder der Regierung | |
der konservativen Premierministerin Theresa May [1][zurück]. Die beiden | |
wichtigsten: Brexitminister Dominic Raab und die Arbeitsministerin Esther | |
McVey. | |
Im Parlament gab es selbst aus der Regierungsfraktion mehr Kritik als | |
Unterstützung. Nach Rechnung der Kritiker werden mindestens 84 der 316 | |
konservativen Abgeordneten im Unterhaus gegen den Deal stimmen, sofern er | |
nach dem für den 25. November vorgesehenen EU-Gipfel zur Ratifizierung | |
vorgelegt wird. Im Unterhaus sitzen insgesamt 650 Abgeordnete. Da alle | |
anderen Parteien sowieso mit Nein stimmen dürften, ist ein Scheitern des | |
Deals im Parlament derzeit sicher. | |
Da die EU Neuverhandlungen ablehnt, setzen die Kritiker des Deals jetzt auf | |
einen Sturz der Premierministerin durch die eigene Partei – ein neuer | |
Regierungschef könnte neue Gespräche einfordern oder einen Brexit ohne | |
Vereinbarung vorantreiben. Am Freitag hieß es, dass Kritiker ein | |
parteiinternes Misstrauensvotum gegen May am kommenden Dienstag | |
einleiteten. | |
May reagiert defensiv, was die Inhalte angeht, und offensiv, was ihre | |
Person betrifft. Zum Text des „Deals“ sagte sie am Donnerstag im Parlament, | |
er sei das Beste, was ausgehandelt werden konnte, und die Alternativen | |
seien ein chaotischer Brexit ohne Deal oder gar kein Brexit. Zu ihrer | |
Zukunft sagte sie am Donnerstagabend vor der Presse, sie mache weiter, weil | |
sie es für richtig halte. | |
Die Labour-Opposition lehnt den Deal ab – Labour-Chef Jeremy Corbyn sprach | |
im Parlament von einem „riesigen und schädlichen Scheitern“ – und setzt | |
darauf, dass ein Scheitern der Ratifizierung zu Neuwahlen führt. Alternativ | |
könnte Labour ein zweites Brexit-Referendum befürworten, was die kleineren | |
Oppositionsparteien bereits tun. | |
5 Was sagen Dublin, Belfast, Edinburgh und Cardiff? | |
Irlands Regierung ist hochzufrieden. Von der Anbindung Großbritanniens an | |
die Zollunion würden irische Unternehmen profitieren, sagte der | |
konservative Premierminister Leo Varadkar. Darüber hinaus garantiere die | |
Auffangregelung für Nordirland, dass die Grenze zu Nordirland in jedem Fall | |
offen bleibe. Das Kabinett erklärte, dass man keinen Neuverhandlungen mit | |
einem eventuellen May-Nachfolger zustimmen würde. | |
Nordirlands größte Partei, die protestantische Democratic Unionist Party, | |
eigentlich Verbündete von Mays Konservativen, wertet den Deal als Sieg | |
Dublins und wird dagegen stimmen. | |
Schottlands Regionalregierung, geführt von der separatistischen Scottish | |
National Party, ist neidisch auf Nordirland und verlangt für Schottland | |
ebenfalls den Verbleib im EU-Binnenmarkt. Der Brexit sei schon schlimm | |
genug, sagte Premierministerin Nicola Sturgeon; wenn die schottische | |
Wirtschaft dann zukünftig auch noch mit dem bevorzugten Nordirland | |
konkurrieren müsse, sei das nicht akzeptabel. | |
In Wales verlangte Labour-Regionalpremier Carwyn Jones ein neues | |
Referendum, falls May gestürzt wird und keine Neuwahlen stattfinden. Auch | |
die walisische Unabhängigkeitspartei Plaid Cymru will ein neues Referendum. | |
6 Und die Brexit-Nerds? | |
Militante Brexit-Befürworter und militante Brexit-Gegner sind sich einig: | |
Sie lehnen den Deal ab. | |
John Longworth von der Pro-Brexit-Kampagnenorganisation „Leave Means Leave“ | |
sagt: „Mays Deal ist der schlechteste der Geschichte. Er bedeutet, dass wir | |
eine EU-Kolonie ohne Austrittsmöglichkeit bleiben. Wir brauchen einen | |
anderen Deal, oder gar keinen Deal, und kein Deal ist kein Problem – das | |
ist unsere Botschaft, mit der wir durch das Land ziehen. Wenn es | |
schiefgeht, wird es riesige Wut und Unruhen geben, weil dann die Demokratie | |
gescheitert ist.“ Er rechnet damit, dass Theresa May entweder gestürzt wird | |
oder ihr Deal im Parlament durchfällt. | |
Barney Scholes von der Anti-Brexit-Kampagnenorganisation „People’s Vote“ | |
sagt: „Mays Deal stellt niemanden zufrieden. Er ist eine Totgeburt. Die | |
meisten Briten halten ihn Umfragen zufolge für einen schlechten Deal, egal | |
ob sie für den Verbleib oder den Austritt sind. Der beste Ausweg ist ein | |
endgültiges Votum des Volkes. Sogar manche Austrittsbefürworter stimmen uns | |
darin zu.“ | |
16 Nov 2018 | |
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[1] /Ruecktritte-in-Grossbritannien/!5550976 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
Ralf Sotscheck | |
Daniel Zylbersztajn | |
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