# taz.de -- Religiöse Symbole sollen verschwinden: Gerichte bald fast neutral | |
> In Niedersachsen sollen religiöse und weltanschauliche Symbole vor | |
> Gericht verbannt werden – nur das Kreuz an der Wand darf bleiben. | |
Bild: Soll nur auf Verlangen abgehängt werden: Kreuz im Gerichtssaal | |
Hannover taz | Richter*innen und Staatsanwält*innen sollen in Niedersachsen | |
künftig kein Kreuz um den Hals und keine Kippa und kein Kopftuch tragen | |
dürfen. Justizministerin Barbara Havliza (CDU) will religiöse, | |
weltanschauliche und politische Symbole und Kleidungsstücke in | |
Gerichtssälen verbieten lassen. Kreuze an den Wänden sollen aber erlaubt | |
bleiben. | |
Ein entsprechender Gesetzesentwurf soll noch in diesem Jahr durchs Kabinett | |
und danach in die Verbandsbeteiligung gehen, heißt es aus dem | |
Justizministerium. Die Pläne werden von Muslim*innen und den Grünen im | |
niedersächsischen Landtag kritisiert. | |
Es gehe darum, „eine Religion nicht so offensiv und offensichtlich in einen | |
Gerichtssaal zu tragen, dass derjenige, über den geurteilt wird, auf die | |
Idee kommen könnte, die Religion sei irgendeine Leit- oder Richtschnur für | |
das entsprechende Urteil“, sagte Havliza dem NDR. Solche Symbole seien | |
nicht mit dem Neutralitätsgebot vereinbar. | |
Anders sei das mit Kreuzen in Gerichtssälen, wie es sie in Niedersachsen | |
noch in Cloppenburg und Vechta gibt. Das Recht werde „durch Menschen | |
gesprochen und nicht durch Säle“, sagt Havliza. Wenn es die Beteiligten | |
störe, würden die Kreuze abgehängt oder der Saal gewechselt, erläutert | |
Ministeriumssprecher Christian Lauenstein. | |
## Muslimische Frauen in Berufswahl eingeschränkt? | |
Recep Bilgen, der Vorsitzende des muslimischen Landesverbandes der Schura, | |
zu dem in Niedersachsen 90 Moscheegemeinden gehören, kritisiert, dass durch | |
das Gesetz insbesondere muslimische Frauen in ihrer Berufsfreiheit | |
eingeschränkt würden. „Du kannst dich integrieren, jeden Beruf ergreifen, | |
nur Richterin kannst du nicht werden.“ Das sei die Botschaft, die von dem | |
Gesetzesentwurf ausgehe, sagt Bilgen. Muslimische Frauen fühlten sich so | |
„nicht akzeptiert“. | |
Doch nicht nur ihnen, sondern auch Juden, die eine Kippa tragen wollten, | |
unterstelle das Gesetz, „dass sie dann nicht neutral sein können“, sagt | |
Bilgen. „Das ist eine Vorverurteilung der Staatsbediensteten.“ Deren | |
Entscheidungen beruhten nicht auf einem Kleidungsstück, sondern auf dem | |
Grundgesetz. | |
Laut Ministerium sind derzeit in Niedersachsen keine Fälle bekannt, in | |
denen Staatsanwältinnen oder Richterinnen ein Kopftuch tragen wollen. Der | |
Landtagsabgeordnete Helge Limburg von den Grünen hält den Vorstoß des | |
Ministeriums deshalb für eine Scheindebatte. „Die sollte man gar nicht erst | |
aufmachen“, sagt er. | |
Wenn sich Verfahrensbeteiligte gestört fühlten, könne man im Einzelfall | |
nach Lösungen suchen und im Zweifel einen Befangenheitsantrag stellen. „Es | |
gibt ja Mittel in unserer Rechtsordnung“, sagt Limburg. | |
Sollte das Gesetz aber kommen, hält es Limburg für wichtig, dass auch die | |
Kreuze in den Sälen abgehängt werden. So hatte es Havliza auch ursprünglich | |
angekündigt. „Wenn wir uns die Neutralität, die uns geboten ist, | |
auferlegen, dann müssen wir das in Richtung aller Religionen tun, so schwer | |
mir als gläubiger Katholikin das fällt“, hatte sie im Januar gesagt. „Ich | |
kann nicht für mich etwas in Anspruch nehmen, was ich anderen verbiete.“ | |
Weil vielen Menschen Symbole wichtig seien, könne man über Alternativen, | |
wie ein Landeswappen im Gerichtssaal nachdenken, sagte Havliza damals. Sie | |
sei aber nicht der Meinung, dass christliche Symbole weiter überall hängen | |
sollten, während man das den Symbolen anderer Religionen untersage. | |
„Ich bin überzeugt, dass sie Druck von ihrer katholischen Parteibasis | |
bekommen hat“, sagt Grünen-Politiker Limburg über die Kehrtwende der | |
Ministerin. In einem anderen Punkt wurde das Verbot von Symbolen jedoch | |
ausgeweitet: Während i[1][m Koalitionsvertrag von SPD und CDU] noch stand, | |
dass lediglich das Tragen von Kopftüchern für Richterinnen, | |
Staatsanwältinnen und Referendarinnen verboten werden sollte, soll das | |
Verbot nun für religiöse, weltanschauliche und politische Symbole gelten. | |
## Auch Atomkraft-Nein-Danke-Sticker verboten | |
Der Entwurf sei so angelegt, dass es keine Ungleichbehandlungen gebe, sagt | |
Ministeriumssprecher Lauenstein. Nun wären beispielsweise auch ein | |
Atomkraft-Nein-danke-Sticker oder das Anarchie-A verboten. | |
„Eine Richterrobe mit Anarchie-A habe ich im Gericht noch nicht gesehen“, | |
sagt Limburg dazu und feixt: „Dürfte ein Richter die Anti-Atomkraft-Sonne | |
denn an die Wand im Gerichtssaal pinnen?“ Die Beispiele zeigten, wie absurd | |
der Vorschlag sei. Die Ministerin klammere sich an Symbole. | |
Der Landtagsabgeordnete Stefan Birkner von der FDP-Fraktion findet es | |
hingegen grundsätzlich richtig, „dass die Vertreter des Gerichts als Organe | |
der Rechtspflege keine religiösen Symbole zeigen.“ Die Neutralität müsse | |
gewährt sein. „Nicht ohne Grund tragen Prozessbeteiligte Roben.“ | |
Auch die Präsidentin des hannoverschen Landeskirchenamtes, Stephanie | |
Springer, hält die Robe für „ein besonders herausgehobenes Zeichen der | |
staatlichen Neutralität“. Allerdings müsse das Verbot religiöser Symbole | |
mit der individuellen Religionsfreiheit in Abwägung gebracht werden, meint | |
Springer, die Richterin am Oberlandesgericht in Celle war. Deshalb müssten | |
diskrete Zeichen wie ein kleines Kreuz, ein Davidstern oder das Zeichen | |
einer anderen Religion an einer Kette erlaubt bleiben. | |
20 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Andrea Maestro | |
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