| # taz.de -- Nach Merkels Parteivorsitz-Verzicht: Tick, tack | |
| > Angela Merkel versucht ihren Abschied aus der Politik selbst zu lenken. | |
| > Fragen und Antworten zu ihrer Restmacht. | |
| Bild: Ist es realistisch, dass Merkel bis 2021 Kanzlerin bleibt? | |
| ## Ist Merkel jetzt eine Lame Duck? | |
| [1][Nach Angela Merkels eigenen Maßstäben ist ihr Rückzug vom Amt der | |
| CDU-Vorsitzenden] „ein Wagnis, keine Frage“. Auf die Journalistenfrage, ob | |
| sie nicht ab sofort eine politische lame duck, eine lahme Ente, sei, | |
| antwortete sie in der Pressekonferenz am Montag: „Alles hat seine Vor- und | |
| Nachteile. Ich habe mich jetzt für diese Variante entschieden.“ | |
| Ein typischer Merkel-Satz mit jeder Menge Interpretationsspielraum. Klar | |
| ist aber, dass die Entscheidung viel früher gefallen ist, als die | |
| parteiinternen Planungen das vorgesehen hatten. Demnach sollte sich Merkel | |
| nicht nur ein weiteres Mal als CDU-Vorsitzende bestätigen lassen. Auch die | |
| Übergabe an eine neue Kanzlerkandidatin oder einen Kanzlerkandidaten war | |
| erst zum Jahreswechsel 2020/21 vorgesehen. | |
| ## Kann sie ab jetzt kraftvoller regieren? | |
| Merkels ziemlich abrupte Strategieänderung war zum einen dem nicht länger | |
| zu ignorierenden politischen Druck auf sie geschuldet. Gleichwohl wirkte | |
| sie bei der Verkündung ihrer Entscheidung erleichtert. [2][Nach den | |
| heftigen Stimmverlusten bei allen zurückliegenden Landtagswahlen] und der | |
| Bundestagswahl 2017, dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen, den Querelen | |
| in der Großen Koalition sowie dem auf der Person Merkel basierenden Hass im | |
| Osten musste Merkel einsehen, dass ihr Verbleib an der Macht ihrer Partei | |
| und dem Land mehr schadet denn nützt. Es bestand die Gefahr, beim Parteitag | |
| gestürzt zu werden. | |
| Insofern ist die Aufgabe des Vorsitzes eine deutliche Schwächung ihrer | |
| politischen Kraft. Zum anderen jedoch ist Merkel bemüht, ihren Rückzug als | |
| freie Gewissensentscheidung darzustellen. Da ist was dran. Eine | |
| Regierungschefin, die keine allzu großen Rücksichten mehr auf ihre Partei | |
| nehmen muss, ist freier in ihren Entscheidungen. Gut möglich, dass das | |
| Kabinett dies bald zu spüren bekommt. | |
| ## Welche Herzensthemen könnte Merkel jetzt noch abarbeiten? | |
| Mit dem Rückzug vom Parteivorsitz zählt Angela Merkels Uhr rückwärts. Sie | |
| weiß, dass ihre Zeit abläuft, und hat deshalb guten Grund, sich ein paar | |
| ihrer Lieblingsthemen zuzuwenden. In den dreizehn Jahren ihrer | |
| Kanzlerschaft hat sie noch jedem ihrer Außenminister erfolgreich das | |
| Terrain streitig gemacht. | |
| Möglich, dass sie nach der vergeigten Chance, mit Frankreichs Präsident | |
| Macron die Europäische Union zu reformieren, doch noch einmal die | |
| Initiative ergreift. Auch beim Thema Brexit könnte sie – befreit von | |
| parteipolitischen Zwängen – einen gesichtswahrenden Kompromiss für die | |
| Briten aushandeln. Weitere Themen sind die Künstliche Intelligenz, die seit | |
| ihren Chinareisen zum Mantra in allen ihren Reden geworden ist. Und | |
| natürlich Afrika und der Konflikt mit Russland. US-Präsident Donald Trump | |
| doch noch von der Notwendigkeit diplomatischer Mindeststandards zu | |
| überzeugen – dafür dürfte der Pragmatikerin Merkel nun schlicht der Langmut | |
| fehlen. | |
| ## Ist es realistisch, dass sie bis 2021 Kanzlerin bleibt? | |
| Denkbar ist das, aber nicht wahrscheinlich. Merkel hat immer die These | |
| vertreten, dass beide Ämter, der Parteivorsitz und die Kanzlerschaft, in | |
| einer Hand liegen müssten. Der oder die neue CDU-Vorsitzende ist | |
| automatisch auch ein Kanzler im Wartestand. Dass sich zum Beispiel ihr – | |
| soeben zur Kandidatur bekennender – [3][Intimfeind Friedrich Merz als neuer | |
| Parteichef] gütlich mit ihr arrangieren würde, ist schwer vorstellbar. Er | |
| stünde für einen marktliberalen, erzkonservativen Kurs und hätte an einem | |
| von Merkel dominierten Regierungshandeln kein Interesse. Viel zu | |
| sozialdemokratisch. | |
| Eine Erinnerung: Gerhard Schröder, der wegen seiner Agenda 2010 unter Druck | |
| geraten war, gab im Februar 2004 den SPD-Vorsitz an den damaligen | |
| Fraktionschef Franz Müntefering ab. Eineinhalb Jahre später war er auch den | |
| Job als Kanzler los. Merkel bezeichnete den Schritt Schröders damals | |
| übrigens als „Autoritätsverlust auf ganzer Linie“. Der Tag seines | |
| Rücktritts vom Parteivorsitz sei zugleich „der Anfang vom Ende von | |
| Rot-Grün“. | |
| ## Warum ist es richtig, dass sie keine Nachfolgerin, keinen Nachfolger | |
| empfiehlt? | |
| Mit dem Montag dieser Woche ist der Sturz von Angela Merkel eingeläutet. | |
| Das Ringen um ihre Macht wird umso gnadenloser, je länger sie sich noch im | |
| Kanzleramt halten kann. Merkel kennt so was. Vor 18 Jahren, am Anfang ihrer | |
| Zeit als Parteivorsitzende, galt die politisch unbelastete Frau aus dem | |
| Osten als Übergangspäpstin zwischen Helmut Kohl und einem neuen, noch | |
| auszukungelnden Mann aus dem Westen. Schon damals hatten die CDU-Jungs | |
| Merkel unterschätzt. Sie war gekommen, um zu bleiben. | |
| Diese Erfahrung vor Augen, hält sich Merkel nun mit Empfehlungen für ihre | |
| Nachfolge zurück. Schaut man sich die bislang bekannten KandidatInnen Jens | |
| Spahn, Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer an, scheint klar, dass | |
| Merkels Favoritin die Generalsekretärin ist. Aber wie es so ist bei einem | |
| offenen Rennen: Wichtig ist nicht nur Tempo, sondern auch Ausdauer. Und | |
| manchmal gewinnt auch ein Außenseiter, den noch niemand auf dem Zettel hat. | |
| Was ist zum Beispiel mit Armin Laschet? | |
| In der CDU gebe es nun die Chance auf eine offene Debatte über den Vorsitz, | |
| hat Angela Merkel am Montag erklärt. „Die hatten wir 18 Jahre nicht“, | |
| scherzte sie auf ihre eigenen Kosten. Sollte sich dabei die mit so viel | |
| Freiheit nicht vertraute Partei anfangen zu zerfleischen, wäre ihre | |
| Exvorsitzende Merkel dafür nicht verantwortlich. | |
| ## Was heißt das für die Performance der Großen Koalition? | |
| Die Groko steht ja jetzt schon so vertrauenerweckend da wie eine Garage | |
| voller Benzinfässer. In der SPD hat keiner Lust auf das Bündnis, Andrea | |
| Nahles und Olaf Scholz natürlich ausgenommen, und die CSU wird das Trauma | |
| ihres Bedeutungsverlustes in Bayern irgendwann wieder öffentlich ausleben. | |
| Der bevorstehende Machtkampf in der CDU macht die Lage noch instabiler. Als | |
| werfe jemand ein paar Fackeln in die Garage. Kann man machen, ist aber | |
| keine gute Idee. | |
| Die Kandidaten für die Merkel-Nachfolge müssen sich bis zum CDU-Parteitag | |
| im Dezember gegeneinander profilieren. Jens Spahn muss klarmachen, dass er | |
| der Richtige ist, um der CDU einen modernen Konservatismus zu verpassen | |
| (wenn es den überhaupt gibt). Friedrich Merz auch. Und Annegret | |
| Kramp-Karrenbauer wird sich tunlichst von der Kanzlerin emanzipieren, die | |
| sie als Generalsekretärin aus dem Saarland nach Berlin geholt hat. Bei | |
| diesem Wettkampf werden Sticheleien gegen die mitregierende SPD nicht | |
| ausbleiben. Schließlich murren viele Christdemokraten auch deshalb über | |
| Merkel, weil sie die CDU sozialdemokratisiert hat. | |
| Auch nach dem Parteitag muss es nicht besser werden: siehe oben. Die Lage | |
| in der Groko wird also volatiler. Horst Seehofer konnte der Kanzlerin | |
| zuletzt so auf der Nase herumtanzen, weil sie schon nicht mehr die Kraft | |
| hatte, ihn zu entlassen. Masterplan, Flüchtlinge und so. Künftig werden die | |
| Fliehkräfte noch stärker. Eine irrlichternde CSU auf der einen, eine | |
| zusehends verzweifelte SPD auf der anderen Seite. Und in der Mitte eine | |
| Königin ohne Land, die nicht mehr als Ruhepol taugt. | |
| ## Apropos Seehofer. Was kann er aus Merkels Teilrückzug lernen? | |
| Dass es möglich ist, in Würde und selbstbestimmt abzutreten. Dass man dafür | |
| viel Respekt erntet – von Freunden und Feinden. Dass Rücktritte befreien, | |
| ja: Spaß machen können. Seehofer könnte es wie Merkel machen. Aber | |
| natürlich besser: Komplettrücktritt, CSU-Vorsitz und Bundesinnenministerium | |
| in einem Aufwasch. Und dann geht die Party ab in München und Berlin. | |
| [4][Na, Herr Minister? Wie wär's?] | |
| ## Und was macht jetzt die SPD? | |
| Die Konservativen machen Revolution, die SPD macht einen Fahrplan. | |
| ## Wenn alles getan ist – was könnte aus Angela Merkel noch werden? | |
| Elder Statesmen, die via Spiegel oder Bild-Zeitung das selbstredend | |
| jämmerliche Wirken ihrer politischen NachfolgerInnen kommentieren, gibt es | |
| ausreichend. Für Merkel käme erschwerend hinzu, dass sie mit ihrem | |
| protestantischen Ethos und der mäandernden Sprache kaum in der Lage wäre, | |
| pointiert zu lästern. Das fällt also schon mal aus. | |
| Vielleicht lernt sie als Exkanzlerin und Exparteivorsitzende deshalb noch | |
| mal richtig gut Englisch, Russisch spricht sie bekanntlich fließend. Es | |
| trifft sich, dass ihre Mutter Herlind Kasner, 90, seit diesem Semester | |
| wieder Englisch für Fortgeschrittene an der Volkshochschule Templin | |
| unterrichtet. Die Kursnummer lautet XT46B299. | |
| 30 Oct 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
| Ulrich Schulte | |
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