# taz.de -- Kommentar CDU und Merkel: An der Seitenlinie | |
> Wenn das Kind aus dem Haus geht, ist und bleibt man im Herzen bei ihm. | |
> Nicht anders wird es Angela Merkel mit ihrer Partei ergehen. | |
Bild: Die Raute der Macht | |
Als Angela Merkel vor vier Wochen in einer historischen Pressekonferenz | |
erklärt hatte, beim Parteitag ihrer CDU nicht mehr als Vorsitzende | |
kandidieren zu wollen, meinten viele Beobachter, bei ihr eine neue | |
Gelöstheit zu erkennen. Geradezu befreit habe die Kanzlerin gewirkt, auch | |
in der Wortwahl. Es sei ihr eine „Herzensangelegenheit“, sagte Merkel an | |
jenem 29. Oktober, ihrer Partei die Freiheit zur Neuaufstellung zu geben. | |
Was jetzt komme – die Kandidaturen, die Debatten, schließlich die | |
Entscheidung beim Parteitag in Hamburg –, empfinde sie als „sehr schönen | |
Prozess“. Als Phase, an der die Mitglieder und die Delegierten „dann vor | |
allem auch Freude haben sollten“. | |
Mit Verlaub, aber wenn Angela Merkel gefühlig wird, stimmt was nicht. | |
[1][Seit wann hat diese gut kontrollierte Frau Freude an ergebnisoffenen | |
Prozessen?] Zumal an solchen der politisch weitreichenden Sorte? | |
Der Verdacht liegt also nahe, dass Merkel sich [2][in dieser letzten Phase | |
ihrer Macht] autosuggestiv einzureden versucht, dass das mit ihrer CDU, mit | |
der aktuellen Regierung, dem Land und der Europäischen Union schon | |
irgendwie gut gehen wird. Dass sie sich also zur Zurückhaltung zwingt, und | |
zwar gleich ab dem Start in ihre politische Schlussrunde. Gelänge ihr das, | |
würde sie als erste Kanzlerin ohne politische Selbstvergewisserungsattitüde | |
in die Geschichte eingehen. Zuzutrauen wäre es ihr, Merkel ist nicht eitel. | |
Aber leicht wird das nicht. | |
## Eher Uckermark als United Nations | |
Es könnte ja sein, dass Angela Merkel ihre Partei als eine Art erwachsen | |
gewordenes Kind betrachtet, das man schließlich auch irgendwann loslassen | |
muss, auf dass es seinen Platz in der Welt finden möge. Geradezu | |
mütterliche Gefühle mag die Parteivorsitzende da hegen. Aber im wahren | |
Leben verhält es sich ja auch nicht so, dass man die Haustür öffnet, dem | |
jungen Erwachsenen in die Jacke hilft, ihn wegschickt und sagt: „Mir egal, | |
was aus dir wird, hab einfach vor allem Freude.“ | |
Im wahren Leben begleitet man den Abkömmling noch ein Stück seines Weges. | |
Man hilft dabei, erst mal eine Wohnung und eine Aufgabe zu finden, sich | |
nicht von Versicherungsberatern zuquatschen zu lassen, und wenn es in der | |
Liebe kriselt, macht man zu Hause das Gästebett bereit. Vor allem aber | |
bleibt man miteinander im Gespräch. Wie soll es für dich weitergehen? Was | |
willst du vom Leben? Was möchtest du anders machen? So was. | |
Angela Merkel hat bislang nicht zu erkennen gegeben, dass sie Derartiges | |
vorhätte. „Ich habe keine Sorge, dass mir nix einfällt“, hat sie auf der | |
Rücktritts-Pressekonferenz auf die Frage nach ihren persönlichen Plänen | |
gesagt. Und: „Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren, und das habe ich auch | |
nie vergessen.“ Es klang eher nach Uckermark als nach United Nations. | |
Vielleicht liegt es daran, dass sie selbst all die Jahre das zweifelhafte | |
Vergnügen hatte, von ihrem Vorgänger im Parteiamt wie auch im Staatsamt | |
immer mal wieder ungebetene Ratschläge zu bekommen. Noch vor vier Jahren – | |
Merkel war gerade mit 41 Prozent zum dritten Mal ins Kanzleramt eingeritten | |
–, veröffentlichte Helmut Kohl ein Buch mit dem sprechenden Titel „Aus | |
Sorge um Europa“, Untertitel: „Ein Appell“. | |
## Mit dem Herzen beim Kind | |
An wen der CDU-Heilige appellierte, war unschwer zu erraten. Sein „Mädchen“ | |
aus Ostberlin, das seiner überlieferten Einschätzung nach nicht einmal | |
„richtig mit Messer und Gabel essen“ konnte, machte eine andere | |
Europapolitik als er. Und sie fragte ihn auch nicht dauernd um Rat. Auf den | |
Fotos von Kohls Beerdigung 2017 erkennt man diese geballte Kohl’sche | |
Herablassung gegenüber dessen Nachfolgerin. Kohls Witwe Maike Kohl-Richter | |
schaut Merkel nicht einmal an, als die ihr kondoliert. | |
Wenn das Kind aus dem Haus geht, ist und bleibt man im Herzen bei ihm. Es | |
ist schließlich nicht egal, was aus ihm wird: Dealer oder Sozialarbeiter. | |
Nicht anders wird es Angela Merkel mit ihrer Partei ergehen. Aber schlaue | |
Eltern halten sich im Hintergrund, bis sie wieder gebraucht werden. Und das | |
werden sie garantiert. | |
2 Dec 2018 | |
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## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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