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# taz.de -- Bachelor-Studium für Hebammen: Jens Spahn, ein Freund der Frauen?
> Jens Spahn will die EU-Richtlinie umsetzen: Geburtshilfe soll ein
> Studienberuf werden. Das ist gut, aber nicht das drängendste Problem des
> Berufsstandes.
Bild: Hebammen sind wichtig – egal ob mit oder ohne Bachelor
Wenn man in einer Partei ist, die es gerade nicht leicht hat, sagen wir die
CDU, und dazu noch in einem Ministeramt steckt, wie beispielsweise Jens
Spahn, dann muss man ab und zu mal was ganz Verrücktes machen. So wie
gerade der Gesundheitsminister. Er will das Image der Hebammen aufpeppen,
ihnen zu mehr Anerkennung verhelfen. Spahns Idee: Wer heute
Geburtshelfer*in werden will, muss künftig studieren. „Die Anforderungen an
Geburtshilfe“, sagt Spahn, „steigen ständig.“
Da hat der Gesundheitsminister recht. Aber anders, als er es sich
vielleicht vorstellt. Schaut man sich an, wie Babys heute zumeist [1][auf
die Welt kommen], scheint eine Geburt keine natürliche Sache mehr zu sein.
Die Kreißenden hängen an Schläuchen, auf Monitoren zeichnen sich
Wehenkurven ab, immer öfter werden wehenfördernde Mittel gespritzt. Eine
Geburt als Intensivmedizin. Statt Hebammen holen immer öfter Ärzt*innen die
Babys auf die Welt, in Klinikräumen mit dem Charme von OP-Sälen.
Dabei könnte es so einfach sein: Eine Hebamme ist da, massiert der Frau im
Wehenschmerz den Rücken, hält ihre Hand. Holt das Baby, nabelt es ab, legt
es der Mutter auf die Brust. Aber immer weniger Hebammen tun das. Weil die
Haftpflichtversicherungen, die Hebammen zur Absicherung von Geburtsrisiken
haben müssen, immer teuer geworden sind. Die 7.639 Euro im Jahr können sich
viele Hebammen nicht leisten, bis 2020 könnten sich die Versicherungskosten
auf fast 10.000 Euro im Jahr erhöhen.
Die Folge: Immer mehr Hebammen steigen aus der Geburtshilfe aus,
Geburtshäuser schließen. Hinzu kommt das Gesundheitsmanagement:
Krankenhäuser werden mittlerweile geführt wie Unternehmen an der Börse,
Rentabilität scheint mehr zu zählen als der Mensch. Kreißsäle machen wegen
steigender Kosten und sinkender Geburtenzahlen dicht – und weil ihnen die
Hebammen fehlen. Laut der Bonner Initiative Mother Hood finden 98 Prozent
der Entbindungen in gewöhnlichen Krankenhäusern statt.
## Spahns Idee greift viel zu kurz
Und was machen die Hebammen? Bieten vor allem Rundumwohlfühlpakete für
Schwangere und junge Mütter an: Atem- und Massagetechniken, Babypflege,
Rückbildungsgymnastik. Um Missverständnissen vorzubeugen:
Schwangerschaftsvor- und Nachsorge sind ebenso wichtig wie Intensivmedizin
bei komplizierten Entbindungen. Aber wie will der Gesundheitsminister
erklären, dass Hebammen heute ihrer ureigenen Berufsaufgabe schlicht nicht
mehr nachkommen können, weil eine sündhaft teure Versicherung sie daran
hindert?
Das „Hebammendilemma“ führt zu Fällen wie jenem, über den der Spiegel im
Frühjahr berichtet hatte: Eine junge Frau mit Presswehen wird von einem
Krankenhaus weggeschickt, weil alle Kreißsäle belegt sind. Sie bekommt ihr
Baby im Auto auf dem Krankenhausparkplatz.
Spahns Idee, die Hebammenausbildung aufzuwerten, sie mit mehr akademischem
Inhalt zu füllen, ist gut und richtig. Hebammenverbände fordern das schon
seit Jahren. Es spricht nie etwas dagegen, die moderne Technik, derer sich
medizinisches Personal bedient, breit zu verstehen und handhaben zu können.
Doch verändern sich seit einiger Zeit die werdenden Eltern und ihre
Ansprüche an den Entbindungsvorgang: Mütter sind älter, wenn sie ihr erstes
Kind bekommen, es werden öfter Kaiserschnitte gewünscht oder sind nötig.
Solchen Trends müssen sich Hebammen anpassen.
Reicht das? Will Jens Spahn wirklich ein Freund der Frauen werden, ist er
gut beraten, nicht nur an [2][die Hebammenausbildung] zu denken. Er sollte
sich vielmehr etwas zur Finanzierung der Berufshaftpflicht einfallen
lassen. Was haben die Hebammen von einer akademisierten Ausbildung, wenn
sie den Beruf am Ende gar nicht ausüben können?
17 Oct 2018
## LINKS
[1] /Geburtshilfe-in-Berlin/!5479489
[2] /Neuer-Studiengang-in-Hamburg-geplant/!5502855
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Hebammen
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